Das GANZE Werk - Presseschau

DIE ZEIT, 23. September 2004 (Nr.40)

Leider traten Vertreter von ARD und ZDF monatelang auch noch wie Monarchen gegen Ende des Absolutismus auf. Ludwig XV. von Frankreich und der Preuße Friedrich der Große konnten sich im 18. Jahrhundert schwer vorstellen, dass etwas ihre Herrschaft hinwegfegen könnte. Nun erinnert der Mainzer Lerchenberg so wenig an Versailles wie die NDR-Zentrale an Schloss Sanssouci, doch Monarchen und Intendanten beriefen sich gleichermaßen leidenschaftlich auf die jeweils letzte Instanz ihrer Zeit: die einen auf Gott und die anderen auf das Bundesverfassungsgericht. So blieben sie jedes öffentlichen Selbstzweifels enthoben.

ARGUMENT

Keiner wird gewinnen

In Willkür und Halsstarrigkeit geht der Streit um Fernsehgebühren zu Ende. Den Schaden haben ARD und ZDF

Von Götz Hamann

War was? Eineinhalb Jahre lang haben die für Medienpolitik zuständigen Ministerpräsidenten mit den Intendanten von ARD und ZDF über die Rundfunkgebühr diskutiert. Sie drohten einander. Intrigierten. Polemisierten. Nun haben einige Länder am vergangenen Montag willkürlich festgesetzt: 86 Cent zusätzlich müssen die Gebührenzahler von April 2005 an monatlich zahlen - es sind dann 17,01 Euro. Was noch fehlt, ist die offizielle Bestätigung aller Ministerpräsidenten und Landtage.

ARD und ZDF hatten mehr verlangt, aber sie werden das Ergebnis vermutlich akzeptieren. Wie zwischen Fürsten der Vormoderne, die müde sind, weil ihr Krieg in immer kleineren Scharmützeln verläppert, ohne dass noch viel gewonnen wird, geht es nun zu. Die Zeit für einen Frieden ist gekommen, und manchem Beteiligten möchte man ein Zitat Ludwigs XV. in den Mund legen: "Kann mir jemand noch mal erklären, warum ich hier Krieg führe?"

Leider ist das nicht komisch. Im Gegenteil. Die Art, wie die Gebührendebatte gerade endet, trägt dazu bei, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wie wir ihn kennen, zu zerstören.

Die entscheidende Macht, die das quasifeudale Treiben in Deutschland verfolgt, ist die EU-Wettbewerbsbehörde. Die Beamten versuchen seit langem, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Europa stärker zu kontrollieren. Dabei ist es für sie unerheblich, dass er zu den wertvollsten Teilen der Vierten Gewalt in den westlichen Demokratien zählt.

Hierzulande lassen Nischenkanäle wie Phoenix die Bürger unmittelbar am Regierungsgeschehen teilhaben. Redakteure in Funk und Fernsehen führen ihr Publikum in den Rest der Welt. Sie erziehen Kinder und prägen unsere Vorstellung vom Schönen und Modernen und nicht zuletzt auch davon, was eine ästhetisch vollendete Show oder Dokumentation ist.

In diesen Kategorien denken die Kartellwächter nicht. Für sie sind Fernsehen und Radio vor allem zwei Dienstleistungen, die auf einem Markt angeboten werden, auf dem auch private Anbieter wirtschaften. Rundfunkgebühren sind in diesem Umfeld eine vom Staat organisierte Finanzierung, von einigen auch Beihilfe genannt.

Lange war den EU-Beamten der Zugriff auf die Sender verwehrt. Mehrere Regelwerke, zuletzt die Europäische Fernsehrichtlinie und ein Protokoll zu den Amsterdamer Verträgen aus dem Jahr 1997, hinderten sie daran. Doch seither dehnen sich die Öffentlich-Rechtlichen in Gebiete aus, in denen sie dem Zugriff der Wettbewerbshüter ausgesetzt sind. Sie betreiben wachsende, privatwirtschaftlich organisierte TV-Produktionsgesellschaften, haben 0190-Nummern genutzt, um sich ein wenig dazuzuverdienen, suchen für immer mehr Sendungen einen privaten Sponsor und verlagern ihre Arbeit nach und nach in die digitale Welt, also in das Internet und in digitale TV-Kanäle. All das wird von den bisherigen europäischen Regeln zu ihrem Schutz nicht erfasst.

Hier setzen die EU-Beamten an, um die nationalen Medienpolitiker zu entmachten. Ihr gewachsenenes Selbstbewusstein zeigen sie in einem Verfahren gegen den niederländischen Rundfunk. Dieser wollte einige Online-Dienste gründen, um sich den Vorlieben junger Zuschauer anzupassen. Im Prinzip bewegt sich die Anstalt damit auf einer politischen Linie mit der EU, die den Übergang zum Digitalfernsehen bis zum Jahr 2010 fördert - was auch heißt, dass ein Teil des Rundfunks über kurz oder lang im Internet stattfinden und eine dem Medium angemessene Form haben wird. Die EU-Parlamentarierin Ruth Hieronymi zitiert nun die Wettbewerbshüter, denen zufolge es Öffentlich-Rechtlichen nur gestattet sein soll, Dienste im Internet zu erbringen, die nicht von Privaten angeboten werden.

Das kann zur Revolution führen, zur Umkehr aller bislang geltenden Maßstäbe, wonach die Öffentlich-Rechtlichen für eine Grundversorgung zuständig sind. Was die Privaten anboten, war in diesem Zusammenhang bislang egal.

Auch ARD und ZDF bleiben nicht verschont, womit die Gebührendebatte wieder in den Blick kommt: Derzeit läuft ein Auskunftsersuchen der EU, um herauszufinden, wie die Sender mit ihren Gebühren umgehen, und zu prüfen, ob die Zuweisung von jährlich 6,5 Milliarden Euro nachvollziehbar ist. Niemand weiß, wann die Beamten genug gesehen haben, um einen Teil der Gebühren als unrechtmäßig einzustufen und vielleicht im gleichen Zuge die Aufgaben von ARD und ZDF zu beschneiden.

Leider liefert die Gebührendebatte der EU neue Argumente: Eigentlich gibt es eine unabhängige Kommission, besetzt mit Mitgliedern aus den Landesrechnungshöfen, die in monatelanger Arbeit eine Gebührenerhöhung von 1,09 Euro errechnet hatte. Statt der EU nun vorzuführen, wie perfekt dieser Vorschlag war, haben ihn die Länderchefs beiseite gewischt und sich auf 86 Cent geeinigt. Solche Willkür bestärkt jeden Zweifler, der die Grundlage für den Milliarden-Etat von ARD und ZDF infrage stellt.

Die Intendanten tragen jedoch eine erhebliche Mitverantwortung, weil es nicht der eigentliche Antrieb der Ministerpräsidenten war, das Verfahren zu ignorieren. Es gab Kräfte in den Staatskanzleien, die über Strukturreformen diskutieren wollten. Es sollte darum gehen, in Zeiten sinkender Reallöhne, steigender Arbeitslosigkeit und steigender Belastungen für die Verbraucher ein maßvolles Schrumpfen von ARD und ZDF zu organisieren: hier weniger Sponsoring, dort ein paar Radiosender weniger, und, ja, vielleicht auch ein Orchester. Doch die meisten Intendanten ließen diese Diskussion nicht an sich heran, sondern zeigten lieber auf die medienpolitisch ziemlich unerfahrenen Vertreter einiger Länder. Das wiederum ließen diese sich nicht bieten. Et voilà.

Leider traten Vertreter von ARD und ZDF monatelang auch noch wie Monarchen gegen Ende des Absolutismus auf. Ludwig XV. von Frankreich und der Preuße Friedrich der Große konnten sich im 18. Jahrhundert schwer vorstellen, dass etwas ihre Herrschaft hinwegfegen könnte. Nun erinnert der Mainzer Lerchenberg so wenig an Versailles wie die NDR-Zentrale an Schloss Sanssouci, doch Monarchen und Intendanten beriefen sich gleichermaßen leidenschaftlich auf die jeweils letzte Instanz ihrer Zeit: die einen auf Gott und die anderen auf das Bundesverfassungsgericht. So blieben sie jedes öffentlichen Selbstzweifels enthoben.

Immerhin gibt es Anzeichen, dass Ministerpräsidenten und Intendanten ihre Haltung überdenken. Sie öffnen sich dem Gedanken, dass sie die Vorboten einer Revolution erleben. Man werde, erläuterte Ministerpräsident Kurt Beck, Zusätze zu den Rundfunkstaatsverträgen verfassen. Darin gehe es um die Absicht, eine Strukturreform von ARD und ZDF bis zum Jahr 2009 zu erarbeiten und dabei die technische Entwicklung zu berücksichtigen. Insofern steckt in der Misere von heute tatsächlich Hoffnung.