Das GANZE Werk - Presseschau
Braunschweiger Zeitung, Salzgitter Zeitung und Wolfsburger Nachrichten vom 10. September 2004
Schiefes Bild? Der NDR und die Musik-Festivals
Zaghaft kritisieren norddeutsche Veranstalter die Bevorzugung des Promi-Festivals in Schleswig-Holstein
Von Harald Likus
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Mensch, Alfredo! Da hatte er doch Michaela Kaune, die blonde Sopranistin, angesagt. Und wer kam dann auf die Bühne der vollbesetzten Ostseehalle, neulich beim Abschlusskonzert des Schleswig-Holstein-Musik-Festivals? Mischa Maisky, der Cellist mit dem tiefschwarzen Bart. Nun ja. „Auch ein alter Profi wie ich kann in der Zeile verrutschen“, entschuldigte sich Alfred Biolek charmant. Und tatsächlich taugt ja die Frage nach solch kleiner Verrutschung weniger zur Erregung der Gemüter als die, inwieweit der Unterhaltungs-Profi Biolek die geeignete Hauptfigur des Abschlusskonzertes eines renommierten Festivals ist. Doch was Veranstalter und Freunde norddeutscher Musikfeste noch mehr erregt als Bio, ist die grundsätzliche Bevorzugung des starselig meerumschlungenen Groß-Festivals in Schleswig-Holstein durch den Norddeutschen Rundfunk.
Wichtig ist dabei zweierlei: zum einen die Bewerbung und Übertragung der Konzerte in Radio und Fernsehen, zum anderen die begehrten Auftritte der beiden großen, finanziell unschlagbaren NDR-Orchester. Wobei zumindest als problematisch empfunden wird, dass der für die Orchester der Rundfunkanstalt zuständige Rolf Beck gleich auch Intendant des Schleswig-Holstein-Musikfestivals ist.
Die Zahlen sind recht deutlich: 14 Konzerte wurden diesmal von NDR-Sinfonieorchester, NDR-Radiophilharmonie, NDR-Chor oder NDR-Bigband gestaltet, wohingegen man sich vor der Amtszeit Becks an gerade mal sechs NDR-Auftritte pro Sommer erinnert. Auch die Vielzahl dieser Auftritte ermöglicht die Star-Besetzung, die 2004 durch die Namen Nagano, McFerrin, Pecková, Glass, Seiffert, Brendel, Hampson, Eschenbach, Gergiev und Ashkenazy markiert sei. Und von 18 durch NDR und Deutschlandfunk aufgezeichneten und übertragenen Konzerten wagen andere Veranstalter sowieso kaum zu träumen.
Deren Reaktionen pendeln zwischen stiller Missachtung und vorsichtiger Kritik. „Es ist ausgesprochen schwierig“, sagt Hans-Christian Wille vom Braunschweig-Classix-Festival, „da gibt's schon ein Ungleichgewicht.“ Fast genau diese Formel, die vom „problematischen Ungleichgewicht“, lässt sich auch Hannovers Kulturdezernent Harald Böhlmann im Dienste der Festwochen Herrenhausen entlocken. „Wir würden uns mehr Zusammenarbeit wünschen“, sagt er - ebenso wie Martina Fragge für die Niedersächsischen Musiktage, die übrigens von früher zehn Mitschnitten auf drei zurückgestuft wurden.
Und der NDR? Teilt trocken mit, man richte sich nach der Bedeutung der Veranstaltungen. Die Zusammenarbeit mit dem größten Festival sei zufriedenstellend. Wörtlich: „Diese positive Bewertung trifft uneingeschränkt auch auf die in Personalunion wahrgenommenen Aufgaben von Rolf Beck und die daraus resultierenden Synergie-Effekte zu.“
So weit, so klar. Doch Ärger hat der Sender auch im Festival-Paradies Schleswig-Holstein. 300 Besucher eines Konzertes in Hasselburg sollen einen Aufruf der Initiative „Das ganze Werk“ unterschrieben haben, die sich eifrig reibt am so seicht gewordenen Häppchen-Programm von NDR-Kultur. Womit ein höchst empfindlicher Punkt berührt ist - wie allein schon die gereizte Reaktion des Programmdirektors Gernot Romann im Klassik-Club-Magazin beweist, der Kritiker des Programms gar als „selbst ernannte Kultur-Ajatollahs“ beschimpft.