Das GANZE Werk - Presseschau

Zitat:

(...) die innere Selbstprivatisierung von ARD und ZDF, das unablässige Starren auf die Quote. Denn was ist der Glaube an die Quote anderes als der Glaube an den Markt? Es ist der Glaube, das Publikum sei eine dumpfe einförmige Masse. Eine Anhäufung aus mittleren Bürgern mit mittleren Bedürfnissen, die in Zuschauerumfragen abgeklopft und mit passgenauen Programmkomponenten in einer öffentlich-rechtlichen Bedürfnisanstalt befriedigt werden können.

Eigentlich könnte man von ARD und ZDF erwarten, sie würden ihr Gebührenprivileg dafür nutzen, die Welt mit ihrer Neugier zu überfallen oder alles Sinnen und Trachten auf Themen und Formen zu lenken. Tatsächlich aber scheint es sich genau anders zu verhalten. Die Sender nutzen ihren Freiraum, um sich mit aller Kraft auf die Quote zu konzentrieren und die „Einschaltimpulse“ nach oben zu treiben. (...)

Allein die Quote zählt, also die „Ökonomie der Aufmerksamkeit“: Ohne diese Glaubensformel könnte man gar nicht verstehen, mit welcher Inbrunst die Sender derzeit ihre Programme aufrüschen und flottmachen, wie sie ihre Hörfunkkultursendungen zu wortfeindlichen „Tagesbegleitmagazinen“ mit „Durchhörqualität“ im Wellenformat umrüsten. Eilig werden neue „Präsentatoren“ angeworben, die das Kulturprogramm wellen- und quotentauglich „verkaufen“ sollen. Hauptsache, der Redakteur, der seinen Themen in alter Liebe ergeben ist, hält den Mund. Hinhaltenden Widerstand gegen die Programmausdünnung leistet nur eine Hand voll Kulturkonservativer beim Deutschlandfunk und beim Bayerischen Rundfunk, während andere Sender den Wellenreiter spielen und vorwegeilen, weil sie fürchten, den Anschluss an den Zeitgeist zu verpassen.

DIE ZEIT (Nr.3), 8. Januar 2004

Kopfsprung ins Seichte

Die drei Legenden der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten:
- ARD und ZDF sind frei von kommerziellen Einflüssen.
- Sie sind zweitens frei von politischer Fremdeinwirkung.
- Und sie sind drittens ein Hort von Bildung und Kultur.

Von Thomas Assheuer

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Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steckt in der Krise. Immer stärker bedrohen Kommerz und Politik die journalistische Unabhängigkeit. Der Bildungsauftrag ist bloß noch lästiges Beiwerk, das Programm wird flott banalisiert.

So still war es in ihren Anstalten schon lange nicht mehr. Schweigen ist Gold. Es gibt Abteilungsleiter bei ARD und ZDF, die strikte Anweisung haben, ihre Zunge zu hüten, sollte ihnen ein unbefugter Journalist über den Weg laufen. Der Intendant ist nervös, die Lage gespannt. Dafür plaudern die Redakteure in den fußballfeldgroßen Kantinen umso lieber. Sie erzählen sich Geschichten aus besseren Tagen. Damals, Anfang der achtziger Jahre, als im Hessischen Rundfunk (HR) ein netter Kollege zur gewinnbringenden Nutzung seiner Arbeitszeit immer freitags die Runde machte und Wein aus eigenem Anbau verkaufte, einen schönen Rheinhessen mit perligem Abgang.

Im HR erinnern sich Ältere noch gern an eine zauberhafte Fernreise nach Nordamerika und Japan. Zwei Wochen zog es 1986 siebzehn Gremienmitglieder und zehn HR-Führungskräfte unter Einschluss ihrer selbst zahlenden Ehefrauen in die Ferne, um „Medieneinrichtungen“ aus der Nähe zu betrachten. Ganz oben auf dem Programm stand das Musical Cats am Broadway, der Besuch einer Ananasfarm auf Hawaii und eine Geisha-Show in Tokyo. Fast eine halbe Million Mark kostete die Bildungsreise; für jeden Wissbegierigen 17.000 Mark. Die Hälfte kam direkt aus dem Gebührentopf, den Rest zahlte eine Tochterfirma des HR.

Auch die Redakteure, die damals zu Hause bleiben mussten, hatten alle Hände voll zu tun. Wenn Zeit übrig war, spielten sie „Ein Mikrofon wäscht das andere“. Das Spiel, dem die ARD später einen Riegel vorschob, ging so: Ein Redakteur schrieb Beiträge für den Kollegen eines befreundeten Senders und wurde mit einem ordentlichen Honorar vergütet. Aus reiner Dankbarkeit schickte der Kollege dann einen selbst gestrickten Beitrag zurück. Und wieder gab es Honorar.

Geschichten wie aus Tausendundeiner Rundfunknacht, bei ARD und ZDF gibt es viele davon. Sie sprechen nicht gegen ein Gebührenfernsehen, erst recht nicht gegen dessen großartige Idee - die Idee nämlich, dass Rundfunk und Fernsehen nicht dem Staat oder einem Wirtschaftsunternehmen gehören dürfen, sondern der Allgemeinheit, allein ihren Interessen, ihren Wünschen und ihrer Neugier verpflichtet sein sollen. Ein Medium für Information und Willensbildung, das „staatsfern“ ist und ganz und gar unabhängig von den heimlichen Begehrlichkeiten der politischen Macht.

Trotz der Misere seines Unterhaltungsprogramms, einer faden Kopie der privaten Konkurrenz, ist das deutsche Gebührenfernsehen noch immer eine ansehnliche Veranstaltung, vergleicht man es zum Beispiel mit dem Fernsehen in Frankreich. Die politischen Magazine hierzulande nehmen kein Blatt vor den Mund. Außerdem existiert Phoenix, ein Spartenkanal, der sich ausschließlich dem politischen Geschehen der Republik widmet. Und wer hätte es vermutet, dass so charmante Sendungen wie Kanzlerbungalow (WDR) oder Extra-Drei (NDR) auf einem ARD-Acker überhaupt gedeihen könnten? Ein Enthüllungsbericht über die Machenschaften des Leichenpräparators Gunther von Hagens (MDR) oder eine Reportage aus dem multikulturellen Alltag einer Hamburger Hauptschule (NDR) hätten in einem privaten Quotensender nicht die geringste Chance. Doch zu sehen sind solche Sendungen vornehmlich dann, wenn das öffentlich-rechtliche Wellness-TV verplätschert ist und der Musikanten-Treck mit Marianne und Michael jodelnd geendet hat.

Hervorgebracht werden solche Raritäten jedoch von einem bürokratischen Organismus, für dessen Wachstumshunger es keine natürlichen Grenzen gibt. Rund 24.000 Festangestellte arbeiten im größten öffentlich-rechtlichen Imperium der Welt. Über dem Ganzen liegt ein weit verzweigtes Flechtwerk aus Rundfunkräten und Verwaltungsgremien, besetzt mit Haupt-, Neben- und Stellvertretern. Alles zusammen erzeugt genügend Unübersichtlichkeit, um sicherzustellen, dass dem Apparat zwischen Pförtner, Formularverwalter und Kabelträger niemals die Arbeit ausgeht. Auch ohne eine einzige Sendung.

Streng genommen kennt der öffentlich-rechtliche Rundfunk, also ARD und ZDF, keine Krise. Er blüht, wächst und gedeiht und führt ein Leben in glücklicher Zuwachserwartung. Über 6,6 Milliarden Euro stammen aus Gebührenerträgen; seit Anfang der neunziger Jahre haben sie sich um die Hälfte vermehrt. Wer einmal das Anstaltswesen von innen gesehen hat, weiß, warum. Ein Sender ist eine Wunschmaschine und seine Grundstimmung die der Begehrlichkeit. Es herrscht Mangel in Hülle in Fülle. Hier gilt es, eine „Nachtlücke“ zu füllen, dort fehlt der Online-Auftritt, und drüben muss rasch ein Programmfenster geschlossen werden. Anschließend ist die Betriebstankstelle zu klein, die Kantine zu voll und der Sendemast zu niedrig. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre haben ARD und ZDF die Zahl ihrer Sendeminuten verdreifacht. Inzwischen existieren 21 TV-Programme, einschließlich der Spartenprogramme wie Arte, Phoenix und 3sat.

Mit Bienenfleiß werden Fernsehproduktionen ausgelagert

Es gibt Anstalten, die besaßen vor zwanzig Jahren drei Rundfunkprogramme und waren damit glücklich. Heute haben sie sieben und träumen gerade vom achten. Kurz vor seinem Abgang ging der ZDF-Intendant Dieter Stolte mit der Idee eines Opern-Kanals in die nächste Planungsrunde. Rein rechnerisch beglückt ein Sender alle fünf Jahre sein Publikum mit einem neuen Programm, inklusive Vollversorgung und Rundumschichtbetrieb. 61 Radioprogramme senden um die Wette. Funkt es so weiter, hätte Deutschland im Jahre 2050 davon gut 200.

Die fälligen Gebühren berechnen die Sender selbst oder, wie die offizielle Sprachregelung lautet, aufgrund „empirisch gesicherter Daten“. Das sind verschlungene Hochrechnungen über die Kosten geplanter Programmerweiterungen, zum Beispiel über den Finanzbedarf für die Fußball-WM-Rechte, für Millionenverträge mit neuen Stars und nicht zuletzt für die neuen Dienstwagen der Intendanten mitsamt den dazugehörigen Zapfsäulen.

In diesen Januartagen ist das Ritual wieder zu erleben. Alle vier Jahre melden die Sender bei der „Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs“, kurz KEF, ihre ausführlich begründeten Gebühren- und Wachstumswünsche an. Die KEF, ein Gremium aus 15 Rechnungsprüfern, nimmt den Wunschzettel feierlich entgegen und verspricht dessen kritische Prüfung. Vielleicht moniert sie Wildwuchs beim Online-Angebot oder eine technische Neuerung, die mehr der Geräteindustrie nützt als dem Gebührenzahler. Oder die Zustände in einer Redaktion, in der mehr Häuptlinge arbeiten als Indianer, also mehr Abteilungsleiter als Angestellte. In der Vergangenheit hat die KEF den Antragstellern stets einen Personalabbau auferlegt, eine generelle „Aufgabenbeschränkung“ ins Stammbuch geschrieben sowie die Vermeidung von unnötigen technischen „Mehrfachkapazitäten“ angemahnt.

Doch dann ist alles wie immer. Die KEF nimmt einen kleinen Abstrich von der öffentlich-rechtlichen Wunschliste vor, streicht ein paar Posten heraus und sagt im Prinzip „Ja“ zur Gebührenerhöhung. Nun müssen nur noch die Landesparlamente zustimmen. Die ganze Prozedur mutet so an, als würde ein Patient zum Hausarzt gehen und sein Idealgewicht fleißig nach oben korrigieren. Und immer lautete der ärztliche Befund: Der Patient leide zwar an Übergewicht, aber auch an Unterernährung. Entsprechend wird zugefüttert und die Rundfunkgebühr erhöht.

Natürlich gibt es Kostensteigerungen, für die die Sender nicht verantwortlich sind. Doch in Wirklichkeit leiden ARD und ZDF nicht an einer Selbstversorgungslücke, sondern an einem Schicksal, von dem alle große Institutionen irgendwann ereilt werden: Sie wissen nicht recht, warum sie noch auf der Welt sind. Sie erinnern an königliche Kuriere, die ihren Auftrag vergessen haben. Sie rasen durch den Äther und wissen nicht mehr, warum. Unablässig flüstern die Kuriere ihre königliche Botschaft, aber diese Botschaft klingt seltsam hohl.

Drei dieser öffentlich-rechtlichen Botschaften verdienen eine nähere Betrachtung. Sie lauten erstens: ARD und ZDF sind frei von kommerziellen Einflüssen. Sie sind zweitens frei von politischer Fremdeinwirkung. Und sie sind drittens ein Hort von Bildung und Kultur.

Legende Nummer eins: Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten sind frei von kommerziellen Einflüssen

Es gibt Zuschauer, die glauben noch immer, ARD und ZDF produzierten ihre Fernsehsendungen selbst. Ein Irrtum. Vom Publikum weitgehend unbemerkt, haben öffentlich-rechtliche Anstalten mit Bienenfleiß einen Teil ihrer Fernsehproduktion ausgelagert, an geliebte „Töchter“ oder private Medienfirmen. Sendungen wie Sabine Christiansen tragen nur noch ein öffentlich-rechtliches Gütesiegel, angefertigt werden sie außer Haus, zum Vorteil der Firma Christiansen. Während der Hessische Rundfunk auf seine „Eigenproduktionsfähigkeit“ Wert legt, hat der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) das Outsourcing am weitesten getrieben. Innerhalb der ARD gilt der MDR nur noch als Gerippe, als ein Potemkinsches Dorf mit öffentlich-rechtlichen Kulissen.

Keineswegs geht die Teilprivatisierung immer zulasten der Qualität. Aber die redaktionelle Kontrolle schrumpft, und das Sumpfgebiet wächst. Es entstehen Seilschaften, Klüngelkreise und Netzwerke. Eine dieser Männerfreundschaften hat, bislang unwidersprochen, der Spiegel aufgedeckt. So hat sich der MDR von der Firma TV-Media die sechsteilige Serie Ein Kessel DDR zuliefern lassen. Praktischerweise ist der Firmengründer, der ehemalige Bild-Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje, durch einen zarten Beratervertrag mit dem MDR-Intendanten Udo Reiter verbunden - einschließlich „Personalberatung“, wie der MDR-Pressesprecher freimütig erklärt. Tiedjes TV-Media ist wiederum eine Tochterfirma von WMP EuroCom, also jener PR-Agentur, die auf Bitte von Florian Gerster für die Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit eine „kreative Kommunikationsdienstleistung“ erbringen sollte. Da trifft es sich gut, dass der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) Aufsichtsratsvorsitzender von WMP ist. Die gebührenpflichtige Quizfrage lautet nun: Wie hieß der Stargast in der Reiter/Tiedje-Sendung Ein Kessel DDR? Richtig, er hieß Genscher.

Ganz andere Ausmaße hat der Versuch der Industrie angenommen, Einfluss auf die Programmgestaltung zu nehmen. Je größer die Finanznot eines Senders, desto mehr ist er verführt, eine gesponserte Sendung einzukaufen oder von freien Produzenten zu erwarten, „Drittmittel“ aus der Industrie herbeizuschaffen, um Kosten zu senken. Zuweilen verlässt auch ein Redakteur seine Anstalt, gründet eine Produktionsfirma und hält dann seine Angel in den öffentlich-rechtlichen Gebührenfluss. Und prompt beugt sich ein Exkollege aus dem Senderfenster und hängt einen dicken Fisch dran.

Der Versuch, auf die Redaktion oder die Produktionsfirma Einfluss zu nehmen, ist keine neue Entwicklung. Schon vor drei Jahren zitierte der Spiegel aus einem ZDF-Papier, wonach Pharmafirmen versuchten, der Ratgebersendung Gesundheit mit Dr. Günter Gerhard als „Kooperationspartner“ Gutes zu tun, und zwar gleich mit mehreren zehntausend Mark. Ins Gerede gekommen ist auch die ZDF-Sendung Praxis - Das Gesundheitsmagazin. Das Muster ist vertraut. Zunächst wird in einem Beitrag über ein körperliches Leiden berichtet, zum Beispiel über nachlassende Spannkraft im mittleren Mannesalter. Anschließend wird dem Zuschauer das erlösende Mittel für neuen „Schwung im Liebesleben“ schmackhaft gemacht. In einem Fall, den die Welt im Oktober letzten Jahres nachzeichnete, handelte es sich um einen Potenzverstärker der Firma Lilly Icos mit längerem „Wirkfenster“, Motto: „Die Frau braucht nicht mehr standby zu sein.“ Während das ZDF den Film ausstrahlte und Lilly Icos die Begleitbroschüre finanzierte, kamen auch der Medical Tribune, der Deutsche Hausärzteverband und die Gesellschaft für Urologie in Schwung und machten Werbung für das neue Hochleistungsprodukt.

„Wetten, dass…?“ - die größte Werbesendung im ZDF

Federführend, so behauptet die Welt, war bei dieser Aktion Medi cine, ein Unternehmen, das zu ZDF enterprises gehört. Gegründet wurde die Medienproduktionsfirma von Dierk Heimann, einem ehemaligen Redakteur des ZDF-Gesundheitsmagazins und Hauptlieferanten für die Medizinratgeber von ZDF und 3sat. Die ebenfalls in der Welt veröffentlichte Konzeptbeschreibung, mit der Mitarbeiter von Medi cine Kunden aus der Pharmaindustrie anwarben, liest sich wie die Anleitung zu einer medial unsittlichen Handlung: „Mit Unterstützung eines interessierten Pharmaunternehmens soll ein wichtiges Gesundheitsthema einerseits in der Bevölkerung, andererseits in involvierten Fachkreisen nachhaltig ins Gespräch gebracht werden.“ Auf die Vorwürfe angesprochen, meint Dierk Heimann, Geschäftsführer von Medi cine, der Artikel in der Welt „stellt Zusammenhänge her, die so nicht zutreffend und damit falsch sind“. Er bestreitet allerdings nicht, dass die zitierten Sätze aus der Konzeptbeschreibung „so oder in ähnlicher Form“ auf einer Präsentation verwendet wurden.

Welche Panik der Welt-Artikel auslöste, zeigt ein Schreiben, mit dem Chefredakteur Nikolaus Brender seine Mitarbeiter warnte, die schönen ZDF-Sendungen dürften nicht Ziel und Transportmittel von Werbung sein. Produktionsfirmen, so zitiert die SZ aus Brenders Herbstbotschaft, hätten in jüngster Zeit versucht, Themen und Medikamente zu lancieren, die von Arzneimittelherstellern verdeckt finanziert worden seien. Und wie ein Eingeständnis liest es sich, wenn ZDF-Intendant Markus Schächter in einer Vorlage an den Fernsehrat beteuert, nach den „Irritationen“ im Fall von Lilly Icos „werden wir diese Form der Kooperation mit Partnern aus dem pharmazeutischen Bereich nicht fortsetzen“. Das Anliegen des ZDF, der „Gesundheitsförderung zu dienen, kann es nicht rechtfertigen, dass durch solche Aktionen die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in das ZDF in Frage gestellt werden“.

Dieses Eingeständnis verblüfft, vertritt Schächter ansonsten gern die Auffassung, die „Nähe zum Markt“ sei gleichbedeutend mit der „Nähe zu den Menschen“. In der Tat ist die Liebe des Zweiten Deutschen Fernsehens zur werbetreibenden Wirtschaft nicht zu übersehen. Hier wird die ZDF-Sendung 1,2 oder 3? hilfreich vom Spielwarenhersteller Lego mit ein paar bunten PR-Klötzchen unterstützt, dort gibt es „Kooperationen“ mit dem Kaufhof, T-Online und der Norddeutschen Klassenlotterie. Und die Sendung Wetten, dass...?, vermutlich die größte Reklamesendung im ZDF-Gebührenfernsehen, wäre ohne Sponsoren wohl kaum in der Lage, ihren eigenen Trailer zu senden.

Allerdings, die ARD ist auch nicht besser. Sogar ihrem Programmdirektor Günter Struve missfällt inzwischen der „unbefangene“ Umgang mit Schleichwerbung und sonstigen „Zweideutigkeiten“. Dabei war es Struve selber, der einst der seriösen ARD das Mieder gelockert und für einen entspannten Umgang mit der Wirtschaft geworben hatte. Zur Last gelegt werden ihm „problematische Kooperationen“ mit Werbepartnern und ein „Diktat der Quote“ (FAS). In der Tat, der zweifelhafte Erfolg von Struves Lockerungsübung liegt offen zutage. Die unlängst vom Saarländischen Rundfunk ins erste Programm gespülte Sendung Wellness-TV ist nach Meinung von ARD-Koordinator Hartmann von der Tann nichts anderes als eine gepuderte „Dauerwerbesendung“. Und als habe er seine journalistischen Prinzipien aufgeweicht und dampfgereinigt, sendet der Hessische Rundfunk ein Porträt der Football-Mannschaft Frankfurt Galaxy, das sinnigerweise vom Sponsor des Vereins mitfinanziert wurde. Reaktion des Programmdirektors Hans-Werner Conrad in einem FAZ-Interview: „Der HR ist nicht käuflich.“

Der Hessische Rundfunk, nicht zuletzt wegen der gerüchteumwehten Pleite seiner Tochterfirma Taunus-Film finanziell angespannt, scheint ohnehin mit der neuen öffentlich-rechtlichen Freizügigkeit blendend zurechtzukommen. Zur Adventszeit tat er sich mit Vertretern der Frankfurter Wirtschaft zusammen und schickte einmal wöchentlich aus einem betongrauen Einkaufszentrum die Yovanto-Schnäppchen-Show in die Welt („Clever helfen - für einen guten Zweck“). Der Clou dieser besinnlichen Weihnachtsfeier: In Zusammenarbeit mit einem kommerziellen Online-Portal hielt eine Moderatorin unter aufopferungsvoller Nennung der Markennamen Espressomaschinen, Teddybären und Handys so lange in die Kamera, bis sich ein Zuschauer erbarmte und das teure Stück ersteigerte. Hauptpreis: Einmal in der ARD-Sendung Tatort die Leiche spielen zu dürfen. Das ist Grundversorgung à la carte, wie auf einem privaten Shopping-Kanal. Der verantwortliche HR-Redakteur äußerte sich gegenüber der SZ ganz entspannt: „Wir sind natürlich darauf bedacht, den öffentlich-rechtlichen Auftrag zu wahren.“

Damit nicht genug. Vor einigen Monaten strahlte der HR im ersten Programm einen dreiteiligen Überblick über den deutschen Reformstau aus, unterfüttert mit saftigen, durchaus überzeugenden Beispielen über horrende Lohnnebenkosten und bürokratischen Regulierungswahn. Schwerlich lässt sich behaupten, die Aufklärungssendung habe einseitig Propaganda für die Gewerkschaften gemacht. Tatsächlich sang sie 135 Minuten lang ein Lied, das Arbeitgeberpräsidenten immer singen, sobald ein Mikrofon in ihrer Nähe steht: Deregulierung, Flexibilisierung und, besonders einfallsreich, die sofortige Lockerung des Kündigungsschutzes. Im Abspann der Hinweis, Videocassetten der Sendung könne der Zuschauer gegen Gebühr bei der Bonner Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) bestellen.

Das Publikum musste sich fragen: Handelte es sich bei dem Dreiteiler um eine gebührenfinanzierte ARD-Sendung oder um die PR-Aktion einer Unternehmerinitiative?

Die Nachforschungen von Volker Lilienthal vom Branchendienst epd-medien ergaben folgendes Bild: Weil der Hessische Rundfunk nicht in der Lage gewesen sei, alle drei Teile zu finanzieren, habe er die Videorechte über den Produzenten der Sendung, den altgedienten Filmemacher Günter Ederer, an die Firma berolino.pr verkauft, einer Tochter der Deutschen Wirtschaft in Köln. Berolino.pr koordiniert die Öffentlichkeitsarbeit der im Abspann genannten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und betreibt „PR-Kampagnen für die deutschen Arbeitgeberverbände“ (epd).

Investigativer Journalismus wird durch Gremien behindert

Auch die Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz behaupten, erst die Unterstützung aus Industriekreisen habe den HR-Dreiteiler über die „Märchen“ der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik überhaupt zum Leben erweckt. „Ermöglicht wurde die Reihe u. a. durch die Zusammenarbeit mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Berolino.pr hat die Videorechte für die Serie erworben.“ Der Hessische Rundfunk hingegen erweckt den Eindruck, er habe vom späteren Abnehmer, der INSM, nichts gewusst. Gegenüber epd-medien versichert er, die Redaktion habe das Filmprojekt eigenständig in Auftrag gegeben und intensiv betreut, völlig „unabhängig“ vom späteren Abnehmer der Videos. Nur am Rande: Filmemacher Günter Ederer erinnert sich an die intensive Dauerbegleitung seiner allzeit bereiten HR-Redakteure laut epd durchaus anders. „Wir saßen da mal zusammen. Meistens haben Redakteure wenig Vorstellungsvermögen, wie man einen solchen Film machen kann.“

Sollte niemand gewusst haben, warum und zu welchem PR-Zweck Drittmittel geflossen sind? Und welche verbandspolitischen Interessen im Spiel waren? Dies glaube, wer will. Gefragt, warum man geschätzte 66.000 Euro in eine Sendung investiert, auf deren politische Stoßrichtung und mediales Konzept man angeblich nicht den geringsten Einfluss genommen habe, meint Tasso Enzweiler von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, der HR sei wie alle öffentlich-rechtlichen Sender nicht in der Lage gewesen, derart anspruchsvolle Produktionen zu finanzieren. Und was das politische Konzept angehe, habe man dem Produzenten Günter Ederer voll vertraut; er sei schließlich Träger des Ludwig-Erhard-Preises und teile die ordnungspolitischen Vorstellungen von INSM. Im Übrigen sei es ja nur legitim, wenn die Initiative ihre politischen Überzeugungen der Öffentlichkeit unterbreite. Dennoch, so Enzweiler, werde künftig das Verfahren geändert. Um nicht ins Gerede zu kommen, sollen Videorechte künftig ersteigert werden. Natürlich nur, so könnte man ergänzen, wenn der handverlesene Produzent zuvor ganze Arbeit geleistet hat.

Es gibt eine journalistische Anstandsregel, welche die ARD in ihren „Richtlinien für die Werbung“ niedergelegt hat, und zwar zwecks „Durchführung der Trennung von Werbung und Programm und für das Sponsoring“. Darin heißt es, „politische, weltanschauliche oder religiöse Vereinigungen dürfen Sendungen nicht sponsern“. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Im Fall des Dreiteilers über die deutschen „Märchen“ aber, darin ist epd-medien zuzustimmen, geriet die Programmautonomie „in eine Grauzone der Fremdfinanzierung“. „Muss sich die ARD, obwohl doch milliardenschwer aus den Gebühren ihrer Zuschauer finanziert, wirklich Geld bei Unternehmerverbänden besorgen, um ihrer Berichterstattungspflicht nachzukommen?“

Legende Nummer zwei: ARD und ZDF sind frei von politischer Fremdeinwirkung

Als die ARD, die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland, im Jahre 1950 gegründet wurde, war die britische BBC ihr leuchtendes Vorbild. Nie wieder sollten Rundfunk und Fernsehen dem Staat in die Hände fallen. Nie wieder, so damals die Besatzungsmächte, dürften Politiker die elektronischen Medien kontrollieren. Stattdessen sollten Rundfunk und Fernsehen die Interessen der Allgemeinheit widerspiegeln und „staatsfern“ zur politischen Willensbildung beitragen.

Dieses Konzept war fabelhaft, hatte aber leider einen Schönheitsfehler. Die Erfinder unterschätzten die Doppelrolle der Parteien im Staat wie in der Gesellschaft. Einerseits haben Parteien Einfluss auf staatliche Macht; andererseits sind sie Teil der gesellschaftlichen Willensbildung. Niemand konnte ahnen, dass die Parteien das Trojanische Pferd sein würden, in dem sich die jeweilige Landesregierung in ihre Sender einschleicht.

Wozu die parteiliche Nähe zwischen Politik und Medien führt, hat die letzte Intendantenwahl im ZDF gezeigt, eines der unwürdigsten Schauspiele, die ein öffentlich-rechtlicher Sender je seinem Publikum geboten hat. Monatelang zerrten die Parteien ihre Kandidaten durch die Manege. Auch dem Wohlmeinenden wurde klar, dass die großen Parteien das Zweite Deutsche Fernsehen nur als eines betrachten: als ihre Beute. Dieser Vorgang, so NDR-Intendant und ARD-Vorsitzender Jobst Plog, habe nicht nur dem ZDF, er habe „dem öffentlichen Rundfunk insgesamt geschadet“.

Noch heute ist das ZDF berüchtigt für politische Einflussnahme, für seine „Freundeskreise“ und die Macht der Gremien. Medienwissenschafler kritisieren den parteipolitischen Filz und die aufgeblähten Gremien mit ihren siebzig Programmkontrolleuren. Das ZDF, so mahnt das Hamburger Bredow-Institut für Medienforschung, habe neben dem Deutschlandradio die „höchste staatliche und staatsmittelbare Vertretungsquote“. So seien im Zweiten Deutschen Fernsehen 34 von 77 Gremienmitgliedern staatlichen Organen zuzurechnen, also annähernd 45 Prozent. Als zwingend geboten gilt vielen Juristen eine Höchstgrenze von einem Drittel Staatsvertreter. Und das Bundesverfassungsgericht hält es für verfassungswidrig, wenn der Staat „mittelbar oder unmittelbar“ einen beherrschenden Einfluss auf einen Rundfunkveranstalter ausübt. Kaum ein Medienwissenschaftler, der nicht inständig eine Reform des ZDF fordert. Und kaum ein Ministerpräsident, der nicht genau das dringend verhindern möchte.

Wiederum steht das ZDF nicht allein. Für den ehemaligen Journalisten und heutigen Bundesminister Wolfgang Clement liegt „der Verdacht nahe, dass bei allen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die über Jahrzehnte gewachsene Parteiennähe die Kreativität gelähmt und ihr Kostenbewusstsein nicht gerade geschärft hat“. Ganz zu schweigen von politischen Einflussnahmen. Es gibt zahllose Politiker, die ernsthaft glauben, ihr Rundfunksender sei eine große Orgel und die Redakteure seien die dazugehörigen Pfeifen.

Die „Schere im Kopf“, sagt Wilhelm von Sternburg, ehemaliger Chefredakteur des HR, sei völlig normal und politische Einflussnahme an der Tagesordnung. „Die gab es in meiner Amtszeit ständig“ - aber ebenso die Möglichkeit, sie zurückzuweisen, wenngleich unter Gefährdung der eigenen Karriere. Im Anstaltsjargon sagt man es lieber so: Wer weiterkommen will, muss sich gehen lassen. Ein Redakteur auf dem Weg nach oben stellt sich vorbeugend auf den Gremienwind ein, auch wenn dieser noch gar nicht weht. Von Sternburg sieht darin eine neue Form des politischen Journalismus, ein „Bündnis der Eliten“, nicht nur bei Rundfunk und Fernsehen. Der regierungsnahe Journalismus mache direkte Einflussnahme überflüssig: „Niemand schert aus.“

Alles andere wäre auch ein Wunder. „An den Schaltstellen in den Rundfunkräten sitzen stets die Parteistrategen“, meint der Medienwissenschaftler Horst Röper vom Dortmunder Formatt-Institut. Sie reden bei Personalentscheidungen das entscheidende Wort mit, und Personalentscheidungen sind Programmentscheidungen. Natürlich finden sich in den Gremien auch Natur-, Tier- und Verbraucherschützer, Lehrer, Musiker, Professoren, Landfrauen, Kirchenmänner, Heimatvertriebene sowie Sport- und Feuerwehrfunktionäre. Aber diese „Gesellschaftsbank“ ist nicht Gleiche unter Gleichen, bei Stichentscheiden geben Parteien oft den Ausschlag. „Ansätze zu investigativem Journalismus“, so kritisierte Jobst Plog schon Anfang der neunziger Jahre, „werden durch Gremien eher behindert als begünstigt.“

Alles in allem ist von der öffentlich-rechtlichen Gründungsidee nicht mehr viel übrig geblieben. Sogar das Bredow-Institut, das noch nie im Verdacht stand, den Gebührensendern am Zeug zu flicken, kommt zu einem ähnlich tristen Ergebnis. Das Konzept der „gesellschaftspluralen Organisation“ habe „sich abgenutzt und an Wirkung verloren“. Es „konnte weder den indirekten staatlichen und den damit verbundenen parteilichen Einfluss eindämmen, noch der dominierenden Stellung des Intendanten gegensteuern (...) Bei einigen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik stellt sich die Frage, ob die Grenze der Verfassungswidrigkeit (…) nicht schon erreicht ist.“

Befreit man diese Sätze von ihrem akademischen Zuckerguss, dann sagen sie kaum anderes als dies: Es gibt Sender, die ihrem politischen Kontrollauftrag nicht mehr nachkommen, weil sie ihrer Landesregierung auf dem Schoß hocken.

Legende Nummer drei: ARD und ZDF sind ein Hort von Bildung und Kultur

ARD und ZDF kennen die Einschätzung des Bredow-Instituts und anderer Medienwissenschaftler. Doch was sollen sie dazu sagen? Sie werden sagen, ihre Anstalten seien Bildungs- und Kultureinrichtungen mit gesetzlichem „Grundversorgungsauftrag“ und damit strikt von der „nackten Wahrheit“ kommerzieller Anbieter unterschieden.

Kulturmagazine? Ja, wenn die Zuschauer längst schlafen

Die Sender hätten damit sogar Recht. Die Mehrheit der Zuschauer gibt an, man könne einen Gebührensender von privaten Veranstaltern klar unterscheiden. Bei den Informationssendungen führen die Öffentlich-Rechtlichen nach wie vor. Zusammengerechnet strahlen ARD und ZDF mehr Kultursendungen als früher aus; eine Sendung wie Kulturzeit, die täglich auf 3sat läuft, wäre vor zwanzig Jahren undenkbar gewesen. Und mit der Unterstützung von Festivals und regionalen Kulturereignissen haben ARD und ZDF manche Wüste zum Blühen gebracht.

So richtig flügge wird die Fantasie der Sender jedoch erst, wenn es darum geht, Kulturmagazine in Spartenprogramme abzuschieben oder im Tagesrandgebiet zu verstecken, am Saum der Nacht oder im Grauen des Morgens. Allen öffentlich-rechtlichen Selbstbekundungen zum Trotz: Ihr Kultur- und Bildungsauftrag wird in erster Linie von 3sat und Arte erfüllt. Was im Hauptprogramm verbleibt, muss um seine Existenz bangen. Handstreichartig hat die ARD ihre sonntägliche Kultursendung um eine halbe Stunde in Richtung Mitternacht verlegt - zugunsten der Tagesthemen, die Gelegenheit bekommen, Beiträge zu wiederholen, die der Zuschauer in der Kurzfassung schon aus den Hauptnachrichten kennt. Für ein Kulturmagazin ist das lebensgefährlich. Sinkt durch die Verschiebung in die Nacht die Quote, läuft es Gefahr, ganz abgeschafft zu werden.

Aber der öffentlich-rechtliche Skandal besteht nicht allein in der Misshandlung von Kulturprogrammen. Der eigentliche Skandal ist der Banalisierungsschub, von dem ARD und ZDF heimgesucht werden, ihre tief empfundene Neigung zu Selbstverdünnung und Schamlosigkeit. Vier zähe Abende hintereinander sitzt das deutsche Steuersparmodell Boris Becker bei Johannes B. Kerner, um ein Buch zu promoten, das zufälligerweise auch bei Bild groß herauskommt. Der MDR lässt Senioren raten, wie viele Meter Toilettenpapier auf einer Rolle aufgewickelt sind. Die Spitzenmeldung in der Politiksendung ARD-Nachtmagazin lautet: Uwe Seeler sei nun Ehrenbürger in Hamburg, herzlichen Glückwunsch. Das frisch abgesetzte „People-Magazin“ Bunte TV (HR) sendet ein Interview mit der Schauspielerin Ursula Karven „nach dem Tod ihres Sohnes“. Frau Karven, haben Sie noch die Stimme Ihres Sohnes im Ohr? Haben Sie seinen Tod als Prüfung Gottes empfunden? Der Trailer zur Sendung verspricht, man könne eine Flasche Sekt gewinnen. Der Anruf ist gebührenpflichtig. Die spätere Sendung war es auch.

Wenn es ein Rätsel zu lösen gibt, dann ist es dies: Wie kommen praktisch unkündbare Redaktionsleiter, die vielleicht über den frühen Wagner oder den späten Dürrenmatt promoviert haben - wie kommen sie auf den Gedanken, ein unschuldiges Publikum mit solchen Sendungen zu quälen? Wie kommen sie dazu, von ihren Angestellten zu verlangen, sich an der öffentlich-rechtlichen Selbstzerstörung zu beteiligen? Und warum erlauben Intendanten ihren Hörfunk-Funktionären, Mitarbeiter mit der Drohung einzuschüchtern, demnächst werde „bei der Kultur“ gespart?

Und dies ist des Rätsels Lösung: Helmut Kohls Postminister Christian Schwarz-Schilling, der für 3,1 Milliarden Mark die Republik verkabeln ließ, hat einmal gestanden, die Christdemokraten hätten sich von der Kommerzialisierung des Fernsehens mehr CDU-Nähe versprochen - und stattdessen viel Abfall bekommen. Schwarz-Schilling hat Recht, aber es ist nur die halbe Wahrheit. Die Christdemokraten haben sogar noch viel mehr bekommen, nämlich die innere Selbstprivatisierung von ARD und ZDF, das unablässige Starren auf die Quote. Denn was ist der Glaube an die Quote anderes als der Glaube an den Markt? Es ist der Glaube, das Publikum sei eine dumpfe einförmige Masse. Eine Anhäufung aus mittleren Bürgern mit mittleren Bedürfnissen, die in Zuschauerumfragen abgeklopft und mit passgenauen Programmkomponenten in einer öffentlich-rechtlichen Bedürfnisanstalt befriedigt werden können.

Eigentlich könnte man von ARD und ZDF erwarten, sie würden ihr Gebührenprivileg dafür nutzen, die Welt mit ihrer Neugier zu überfallen oder alles Sinnen und Trachten auf Themen und Formen zu lenken. Tatsächlich aber scheint es sich genau anders zu verhalten. Die Sender nutzen ihren Freiraum, um sich mit aller Kraft auf die Quote zu konzentrieren und die „Einschaltimpulse“ nach oben zu treiben. Schon die Wortwahl ist verräterisch. Joachim Knuth, Wellenchef von NDR-Info, wünscht einen „musikaffinen Aromabereich“. So entfesselt die innere Angstkonkurrenz mit den Privaten eine absurde Jagd auf den statistischen Durchschnittsmenschen. Im selben Sender kämpft ein Wellenchef gegen den benachbarten Wellenchef und versucht, ihm den letzten Hörer abspenstig zu machen.

Allein die Quote zählt, also die „Ökonomie der Aufmerksamkeit“: Ohne diese Glaubensformel könnte man gar nicht verstehen, mit welcher Inbrunst die Sender derzeit ihre Programme aufrüschen und flottmachen, wie sie ihre Hörfunkkultursendungen zu wortfeindlichen „Tagesbegleitmagazinen“ mit „Durchhörqualität“ im Wellenformat umrüsten. Eilig werden neue „Präsentatoren“ angeworben, die das Kulturprogramm wellen- und quotentauglich „verkaufen“ sollen. Hauptsache, der Redakteur, der seinen Themen in alter Liebe ergeben ist, hält den Mund. Hinhaltenden Widerstand gegen die Programmausdünnung leistet nur eine Hand voll Kulturkonservativer beim Deutschlandfunk und beim Bayerischen Rundfunk, während andere Sender den Wellenreiter spielen und vorwegeilen, weil sie fürchten, den Anschluss an den Zeitgeist zu verpassen.

Einige Intendanten führen sich auf wie Sonnenkönige

In einer Bereitwilligkeit, die niemand von ihnen verlangt hat, verändern die Sender auch die kulturelle Fantasie der Gesellschaft. Damit liegen sie im Trend. Soziologen sprechen davon, westliche Gesellschaften seien derzeit im Begriff, den Inhalt ihrer Einbildungskraft zu korrumpieren, ihr „kulturell Imaginäres“, also Bilder und Zeichen, Träume und Traditionen. Das Alte und Schwierige wird als elitäre „Hochkultur“ verunglimpft und aus dem Programm herausgespült. Anschließend wird es durch das medial erzeugte Weltbild einer Verwertungsgesellschaft ersetzt. Die neuen Leitbilder heißen Geld und Konsum, Sex und Skandal. Übersetzt ins öffentlich-rechtliche Titeldeutsch: SuperIllu-TV, Wellness-TV, Schnäppchen-Show.

Wie können sich ARD und ZDF reformieren?

Seit Jahren fürchten öffentlich-rechtliche Sender nichts heftiger als den Vorwurf flächendeckender Verschwendung. Deshalb haben sie gespart und zwölf Prozent der Stellen abgebaut. Aber die Kritik hält an. Sie haben ihre Verwaltungskosten um einige Prozentpunkte gesenkt, und trotzdem werden sie nicht geliebt. Warum machen sie sich die Reform so schwer, obwohl sie doch ganz einfach wäre? ARD und ZDF müssten sich nur wieder an ihren ursprünglichen Auftrag erinnern.

Die grob gestrickten Sparpläne, welche die Ministerpräsidenten Steinbrück und Stoiber vorgelegt haben, taugen dafür herzlich wenig. Ihr Vorschlag, Arte und 3sat zusammenzulegen, ist eine Schnapsidee, und zu Recht empfinden ARD-Intendanten es als doppelzüngig, wenn ihnen der bayerische Sparlöwe Reformen abverlangt, die er per Landesmedienrecht längst hätte selbst erledigen können. Oder wenn Politiker Programme abschaffen wollen, deren Einführung sie vor wenigen Jahren noch selbst gefordert hatten. Die Gegenfragen der ARD sind berechtigt: Warum werden die Landesmedienanstalten mit zwei Prozent aus der Rundfunkgebühr bezahlt? Warum übernehmen die Landesregierungen nicht die öffentlich-rechtlichen Rundfunkorchester, die sie zur Staatsrepräsentation so gern einsetzen? Andererseits: Warum hat die ARD ihre 26 Klangkörper für diesen Repräsentationszirkus überhaupt hergegeben?

Sobald es um ihre ureigenen Belange geht, laufen öffentlich-rechtliche Intendanten zu großer Form auf. Gestern noch windstille Meister im Konsensdeutsch, treten sie Politikern plötzlich furchtlos entgegen und verbitten sich die Einmischung in ihre innere Angelegenheiten. Nun, das ist immerhin ein Anfang. Wenn sie ihre Anstalten vor einer trüben Zukunft bewahren wollen, sollten sie künftig jeden politischen Einfluss auf das Programm zurückweisen. Das heißt nichts anderes als dies: Die Intendanten von ARD und ZDF sollten sich ein Herz fassen und die Parteien auffordern, alle staatlichen Vertreter, alle „Freundeskreise“ aus den Gremien zurückzuziehen oder durch amts- und mandatslose Parteivertreter zu ersetzen.

Selbstverständlich bleibt es den Parteien unbenommen, von sich aus die Gremien zu verlassen. Dann wäre ihnen der Ruhm sicher, und sie würden als Helden des Rückzugs in die Rundfunkgeschichte eingehen. Ihr Beitrag zur Rettung der journalistischen Fantasie wäre unermesslich. Einer, der weiß, was auf dem Spiel steht, hat dazu das Nötige gesagt. Die „Repräsentanten der Staatsorgane und der politischen Parteien“, so Wolfgang Clement in der ZEIT (Nr. 17/02, Platz für Journalisten), sollten sich wieder „ihren eigentlichen Aufgaben zuwenden und die Sitze in den Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks räumen“.

Natürlich wäre dies nur ein erster Schritt zur geistigen Wiederbeatmung der Sender. Die Anzahl der Gremienmitglieder darf gefahrlos verringert werden; beim ZDF müssen es nicht über siebzig sein, die Hälfte täte es auch. Außerdem bedarf es der Beratung durch Fachleute; die Gremien sind oft nur rechtschaffene Laienspielscharen und außerstande, das öffentlich-rechtliche Betriebssystem zu durchschauen. Es gibt auch keinen Grund, hinter verschlossenen Türen zu tagen. Warum darf die Öffentlichkeit nicht erfahren, wie viel Lorin Maazel, der ehemalige Chefdirigent des BR-Symphonieorchesters, den deutschen Gebührenzahler kostete?

Auch vor den Intendanten dürfte eine Reform nicht Halt machen. Da sich einige von ihnen aufführen wie gebührenfinanzierte Sonnenkönige, sollten sie im Vollgefühl ihrer Souveränität endlich einen Teil ihr feudalen Allmacht abtreten. Mäßigen sie ihren ungebührlichen Einfluss auf das Programm, wird es ihnen das Publikum für immer danken. Ganz nebenbei gewönnen Intendanten viel Zeit, um die höfischen Gehälter ihrer Leitungs- und Spitzenkräfte auf das in Printmedien übliche Maß zu senken. ZDF-Intendant Schächter meldet hier bereits erste Erfolge: „Die Pensionäre verdienen längst nicht mehr besser als die Aktiven.“ Der Rechnungshof NRW monierte schon vor Jahren beim WDR einen „Trend zu höher bewerteten Stellen“. Jetzt wird das Kritische Tagebuch in einem Wellenprogramm versenkt und das Autorenhonorar für die nicht weniger berühmte WDR-Sendung Zeitzeichen um 300 Euro gekürzt.

Im Übrigen dürfen sich ARD und ZDF getrost noch einmal die BBC zum Vorbild nehmen. Jedes Jahr erklärt die BBC der Öffentlichkeit in einem Statement of Promises geduldig, wie viel Geld sie für das Programm ausgeben will, welche Projekte sie plant und welche Qualitätskriterien sie einzuhalten gedenkt. Ein Jahr später wird an diesen Versprechen Maß genommen. Auch dies wirkt beruhigend auf das organische Selbstwachstum der Anstalten.

Und was spricht dagegen, wenn die Rechnungshöfe die Vergabepraxis an private TV-Firmen genauer in Augenschein nähmen? Wenn sie den Klagen nachgingen, die Landesfilmförderung diene bloß zur Umwegfinanzierung von Senderinteressen? Ebenso wenig könnte es schaden, wenn ARD und ZDF sämtliche Medienpartnerschaften und Kooperationen offen legten. Abgesehen von den Sportrechten, wo es wohl nicht anders geht: Ein Verbot des Sponsorings würde niemanden mehr in Versuchung führen und der journalistischen Wahrheitsfindung auf die Sprünge helfen.

Man sieht, die Selbstreform der Gebührensender ist ein abendfüllendes Programm, und die interessierte Öffentlichkeit wird dabei gern behilflich sein. Allerdings, den Mühlstein des Quotenfetischismus müssen die Sender sich selbst vom Halse schaffen. Vielleicht mit Unterstützung ihrer gut bestallten Redakteure, die ja bislang durch Widerstand gegen die allgemeine Programmverdünnung nicht weiter auffällig geworden sind.

Alles andere ergibt sich dann von selbst. Rundfunk- und Fernsehsender, die ihr Selbstbewusstsein nicht aus Macht und Größe, sondern aus der Qualität ihres Programms beziehen, werden sich der finanziellen Grundversorgung sicher sein dürfen. Mehr noch: In einer Gesellschaft, deren Rundfunk nicht länger eine Parteienveranstaltung darstellt, wird sich jeder Bürger danach drängen, seine Gebühren freiwillig zu entrichten. Es wird vermutlich sogar viel Geld übrig bleiben. Schon in naher Zukunft könnten ARD und ZDF ihre aufsässigen Gebühreneintreibungskolonnen abziehen und mit sinnvollen Arbeiten betrauen. Wie immer, vor laufender Kamera.