Das GANZE Werk - Presseschau
Der Hörsturz
Von Thomas Assheuer
Fünfzig Jahre lang waren die Kultursendungen Flaggschiffe auf den Wellen des ARD-Hörfunks, jetzt ist die Weltreise vorbei. Viele Sendungen werden nassforsch verschrottet, andere in ihre Einzelteile zersägt oder zu einem Schnelldampfer umgerüstet. Doch was als Reform verkauft wird, ist ein Umsturz. Die Anstalten verabschieden sich vom alten Einschaltradio und suchen ihr Heil beim Kulturbegleitmagazin mit „Durchhörcharakter“. Auf Hochdeutsch: Die ARD konzentriert sich auf Hörer, die sich beim Zuhören nicht konzentrieren. Das sind Menschen bei ihren Nebentätigkeiten, beim Kochen und Bügeln, Waschen und Naschen, also Menschen, die eine Kultursendung nicht gezielt einschalten, sondern auf einer Welle „hängen bleiben“ und so lange „durchhören“, bis diese im Schlick einer „Spezialsendung für Minderheiten“ versickert.
Kurzum, wem künftig eine öffentlich-rechtliche Kultursendung zu Ohren kommt, soll auf keinen Fall den Eindruck bekommen, sie habe etwas mit Kultur zu tun. Sollte aus der Oberfläche einer Kulturwelle dennoch ein anstößiges Wortelement auftauchen, darf es niemanden stören. So ist von einem norddeutschen Reformkommissar die Sentenz überliefert: „Das Wort darf nicht zum Hinhören zwingen.“ Ein Witz? Nein, auch der MDR, der noch nie im Verdacht stand, seine Gebühren für die geistige Überforderung des Publikums zu verschwenden, frisiert seine Kultursendungen und startet zeitgleich mit dem WDR ab Januar ein schadstoffarmes Tagesbegleitmagazin mit Grundversorgungsanteilen. Wer es fassen kann, der fasse es: Die neue Kultur-Dauerwelle, die „elitäre“ Zöpfe abschneiden will, trägt den Namen Figaro. Schon jetzt lässt die ondulierte Anstaltsprosa, mit der MDR-Frisöre ihre Taten anpreisen, das Schlimmste befürchten. Es duftet nach Event-Radio mit Wellness-Komponente. „Einmal föhnen und legen.“
Noch allerdings schrecken einige Sender vor ihrer finalen Selbstverdünnung zurück. Der Bayerische Hörfunk stellt einige „Einschalt-Inseln“ unter Naturschutz, auch SWR 2 leistet Widerstand gegen das „Durchhör-Radio“. Und der Hessische Rundfunk, der gerade sein berühmtes Abendstudio im Main versenkt hat, bietet neben einer leicht verplätscherten Kulturwelle lange Gespräche und zuweilen großartige Sendungen, wie in alten Zeiten. Schließlich war man gewarnt, hat doch der reformierte NDR sein Ansehen im Kulturmilieu unlängst steil nach unten reguliert.
Und warum glaubt die ARD, naturtrübe Tagesbegleitkultur sei erfolgreicher als intelligente? Weil die Hörer angeblich zu alt und die Einschaltquoten zu niedrig sind. Zwei Prozent pro Sendegebiet, das sind zwar bis zu zweihunderttausend Hörer, aber den Anstaltskommissionen reicht es nicht. Dafür gräbt sich der Hörfunk nun das eigene Grab. Wenn bundesweit nur noch Kulturmagazine zu hören sind, die einander gleichen wie ein Ei dem anderen, kann man den Föderalismus gleich ganz abschaffen. Dann genügt eine nationale Kulturwelle. Eine für alle. In diesem Sinne: Weiter so.