Das GANZE Werk - Presseschau
"Reißwolf" nimmt Reißaus
Am 21. Dezember endet ein Stück NDR-Radiogeschichte
Von Karin Franzke
Hamburg - So ein Abschied klingt ernüchternd: "Wir bedanken uns für Ihre engagierte Mitarbeit und freuen uns, dass Sie uns bis zum Ende des Jahres auch weiterhin als Autor zur Verfügung stehen." Der Absender des Briefes ist NDR Kultur, die Adressaten sind allesamt Mitarbeiter der satirischen Sendungen "Reißwolf" und "Zeitlupe". Sie haben es nun schriftlich: Zum Jahresende endet ein Stück Radiogeschichte.
Im Oktober 1983 wurde der "Reißwolf" ins Funk-Leben gerufen, und zwar von Wolfgang Knauer. Der war damals schon 20 Jahre NDR-Redakteur, hatte kurz zuvor die Hauptabteilung Unterhaltung beim NDR übernommen. Sieben Jahre später wechselte er nach der Hörfunkreform des NDR als Chef zur neuen Kultur- und Klassikwelle, seinen "Reißwolf" nahm er selbstverständlich mit. Die Fan-Gemeinde gewöhnte sich sogar an die ungewohnte Sendezeit um 12.05 Uhr am Sonntag: sozusagen Süß-Saures zum Mittagessen aufgetischt. Doch jetzt geht mit Knauer auch das satirische Wochenmagazin in Rente. Wenn auch nicht ganz freiwillig...
Und wieder hat das Ganze mit einer Rundfunkreform zu tun. Knauer, der Anfang des Jahres an dem neuen Konzept von NDR Kultur (davor Radio 3) mitgearbeitet hatte und gerade auch jüngere Hörer für sein klassisches Programm gewinnen wollte, bat im April um die Entbindung von seinen Aufgaben als Wellenchef. Seine Reform war Hörfunk-Programmdirektor Gernot Romann und NDR-Intendant Jobst Plog nicht weit genug gegangen, Knauer selbst wollte aber NDR Kultur nicht tiefer legen. Jetzt soll die neue Kulturchefin Barbara Mirow (48) das Gewünschte umsetzen: verlässlich, eingängig. Nach dem Motto: NDR Kultur soll auch als Nebenher-Hörprogramm Erfolge haben.
Platz für Scherz, Satire, Ironie scheint es da nicht mehr zu geben. "Auch Radioprogramme unterliegen von Zeit zu Zeit inhaltlicher Überprüfungen und Veränderungen", heißt es in dem Schreiben von NDR Kultur zum Ende von "Reißwolf" und "Zeitlupe", zusammengestellt von Hörspiel-Chef Andreas Wang. Dagegen wehrt Knauer sich gar nicht, mit einer Einschränkung: "Das Prinzip, Politik und Zeitgeschenen durch die ironische Brille zu sehen, kann nicht zu Ende gehen." Vielleicht ja, so die leise Hoffnung, "wird etwas Neues in der Richtung erfunden".
In seiner letzten "Reißwolf"-Sendung am 21. Dezember jedenfalls will sich der Neu-Rentner nicht mit Bosheiten von seinen Hörern verabschieden. Nachtreten ist seine Sache nicht, auch wenn es schmerzt, dass man ihn offensichtlich leichten Herzens gehen lässt. Obwohl doch seine Stimme das Programm des NDR geprägt hat. Kleiner Trost: "Ich bin zur Pensionärs-Weihnachtsfeier eingeladen."
Hamburger Abendblatt, 20. November 2003