Das GANZE Werk - Presseschau
RADIOREFORM
Auf dem Weg zu "NDR Kultur"
Bei der Media-Analyse im August konnten sich die NDR Hörfunkprogramme im Wesentlichen gut behaupten. Allerdings musste das Klassik- und Kulturprogramm RADIO 3 Einbußen hinnehmen. "Wir im NDR" sprach mit Hörfunkdirektor Gernot Romann über die Zukunft des Programms.
Das Interview führte RALPH COLEMAN (Pressesprecher des NDR)
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Frage: Bei der MA 2002/II erreichte RADIO 3 nur 1,3 % Hörer gestern im Sendegebiet. Für Hamburg errechneten die Medienforscher noch geringere Zahlen. Gibt es Handlungsbedarf?
Die CATl-MA ist als Maßstab für Minderheiten Programme nur bedingt tauglich. Manche Ergebnisse geben selbst Medienforschern Rätsel auf. So beim Abschneiden von RADIO 3 in Hamburg. Aber wir wollen die Schuld für ein schlechtes Ergebnis nicht nur bei problematischen Erhebungsmethoden suchen. Natürlich sind wir angesichts sinkender Hörerzahlen unzufrieden. Es gibt nicht nur Handlungsbedarf, wir handeln. Das Programm von RADIO 3 wird derzeit gründlich "überholt".
Zentrales Ziel: RADIO 3 muss sich montags bis sonnabends während der Tagesstrecke als ein Begleitmedium positionieren. Es wird künftig ein attraktives, verlässliches Musikangebot sowie an der Begleitfunktion orientierte, verlässliche Information über alle kulturell bedeutsamen Ereignisse bieten. Darüber hinaus wird RADIO 3 durch eine angenehme, einladende sowie unterhaltend-informierende Moderation gekennzeichnet sein. Von besonderer Bedeutung sind dabei die so genannte "Prime Time" am Morgen sowie die "Drive Time" am Nachmittag. In diesen Zusammenhang gehört auch die Verschiebung von einzelnen, bislang im Tagesprogramm vorgesehenen Sendungen in den Abend.
Wenn man über Veränderungen nachdenkt, drängt sich die Frage nach Klassik Radio auf. Dieses machte in den letzten Jahren Boden gut. Wird sich RADIO 3 dem kommerziellen Konkurrenten angleichen?
RADIO 3 wird keine Kopie von Klassik Radio. Wir haben einen anderen Auftrag, einen anderen Anspruch, andere Wurzeln! Diese Feststellung ist frei von Arroganz. Schließlich müssen wir uns die Frage gefallen lassen, wieso Klassik Radio mit seinem Programmangebot deutlich mehr Hörer erreicht. Das bedeutet z. B. für die Musikauswahl bei RADIO 3: Wir brauchen eine nach den Kriterien eines Begleitprogramms ausgerichtete Musikuhr mit einem wiedererkennbaren beliebten Repertoire klassischer und klassikähnlicher Werke. Die eher anspruchsvollen, längeren Stücke werden künftig am Abend zu hören sein. Ein Musikchef trägt in Zukunft die Verantwortung für die Einhaltung der Musikzusammenstellung. Eine erste Auswahl der Werke und Titel hat bereits stattgefunden. Auch was die Information angeht, werden wir künftig aktueller und schneller über die wichtigen kulturellen Ereignisse und Themen berichten. Das Programm arbeitet derzeit an inhaltlichen und formalen Kriterien für die Wortbeiträge.
Eine deutlich verringerte Anzahl von Moderatoren wird durch das Programm führen und damit die Hörerbindung stärken. Erforderlich sind natürlich auch neue Stimmen, die sich am künftigen Format orientleren.
In Bezug auf eine attraktive, professionelle Verpackung des Programms wird das bisherige Thema überarbeitet. Parallel prüfen wir, ob wir ein ganz neues Paket produzieren lassen.
Welche Zielgruppe peilt RADIO 3 in Zukunft an? Soll das Programm jünger werden?
Erkenntnissen der Hörerforschung zufolge bilden - neben den "klassisch Kulturorientierten" (Durchschnittsalter: Anfang 60) - die "neuen Kulturorientierten" (Durchschnittsalter: Anfang 40) ein beachtliches Potenzial. Da selbst die "klassisch Kulturorientierten" nicht mehr nur auf Hochkultur fixiert sind und sich in ihrem Medienverhalten dem der "neuen Kulturorientierten" angleichen, bilden beide Gruppen die Zielgruppe, die wir mit unserem neuen Angebot ansprechen wollen. Beabsichtigt ist, Lust auf Klassik zu machen: das Publikum, ältere wie jüngere Menschen, zum Einschalten und zum Verweilen zu animieren. Ohne Zuhörzwang.
Welchen Kulturbegnff soll RADIO 3 künftig pflegen? Einen, der sich im musikalischen Bereich weiterhin weitgehend auf Klassik konzentriert? Oder geraten auch Bereiche wie zum Beispiel Jazz, Chanson oder Weltmusik stärker in den musikalischen Fokus von RADIO 3?
RADIO 3 wird ein von klassischer Musik geprägtes Programm bleiben. Allerdings werden wir künftig tagsüber auch klassik-kompatible "Cross-over-Titel" einsetzen, beispielsweise aus dem Bereich der Filmmusik. Für die Genres Jazz, Chanson und Weltmusik haben wir bereits jetzt attraktive Programmplätze im Abendprogramm bzw. ab 1. Januar 2003 auch in der Nacht bei NDR Info.
Welche Rolle werden In Zukunft Literatur und Hörspiel Im Angebot spielen?
Wer RADIO 3 hört, wird auf Hörspiele, auf Lesungen, auf Buchrezensionen nicht verzichten müssen. So halten wir ganz bewusst am angestammten Programnplatz von "Am Morgen vorgelesen" fest, die Reihe hat (siehe MA I) eine treue, für ein Minderheitenprogramm erstaunlich große Gemeinde. Alle übrigen Angebote des "kulturellen Worts" sind wie bisher dem Abend vorbehalten, einer Zeit also, in der sich die Hörer auf Sendungen konzentrieren können.
In welchem Zeitrahmen sollen die Veränderungen durchgesetzt werden?
Der von uns gesetzte Starttermin für das neu gestaltete Programm ist der 2. Januar 2003. Deshalb gibt es einen detaillierten Fahrplan: Arbeitsgruppen, bestehend aus Kollegen von RADIO 3 und aus dem Bereich der Zentralen Programmaufgaben, haben Arbeitsaufträge erhalten, deren Ergebnisse bis Ende September vorliegen müssen. Außerdem produzieren wir noch im September Probesendungen. Wir werden Moderatoren casten, einen Musikpool erstellen, mit Hilfe der Medienforschung einen Musikresearch vorbereiten usw. Fest steht inzwischen auch der Name des neuen 3. Programms: "NDR Kultur". Das passt zu unserem Corporate Design. Das ist ein Signal für die Hörer. Besser, finde ich, kann man das zweite Premiumprodukt neben NDR Info nicht beschreiben.
Bei allem Nachdenken über Veränderungen: Was bleibt, wie es ist? Oder anders formuliert: Was ist für Sie unverzichtbarer Bestandteil von NDR Kultur?
Was bleibt, ist die Ferne zur schrillen Welt der Werbung. Was bleibt ist die Kompetenz der Redaktionen in Hamburg und Hannover, die mit Wolfgang Knauer ungeheuer engagiert an dieser Reform arbeiten. Man möchte mehr Hörer haben, man will den Erfolg und weiß, dass dafür mancher alte Zopf fallen muss.
Wir im NDR, September 2002
Die MA 2002 II wurde am 6. August 2002 veröffentlicht
Das Hamburger Abendblatt berichtete am 19. August über geplante Veränderungen im Programm. Verschiedene Begriffe wie "Rätsel", "Handlungsbedarf" und "Musikuhr" tauchen in beiden Dokumenten auf.