Praxis von NDR Kultur (Weiterentwicklung)
NDR Kultur, 30. August 2009, 11 - 13 und 14 -18 Uhr
Sonntagskonzert und Klassikboulevard
Zwei Kulturwelten im Tagesprogramm von NDR Kultur
Einerseits eine große Überraschung - Andererseits: 80 Sekunden aus einem Concerto grosso sollen „ein Original-Händel“ gewesen sein
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Von Theodor Clostermann
Das Sonntagskonzert:
Während einer etwas längeren Autofahrt schalte ich NDR Kultur ein. Ich weiß, es ist die Zeit des Sonntagskonzertes, das ich auch zu Hause aus Prinzip aufnehme.
Glücklicherweise.
Ich höre, für mich als NDR-Kultur-Hörer, etwas völlig Neues: Die 3. Sinfonie von Ludwig van Beethoven, Eroica, in einer kammermusikalischen Besetzung. Interessant und mitreißend, wie die Stimmen der Orchesterpartitur auf die Einzelstimmen verteilt werden. Der Hauptteil und ungewöhnlich schnelle Passagen beim Klavier. Dann ist eine Violine sehr dominant und prägend, andere wichtige Passagen erklingen von einem Violoncello und - na, es wird wohl eine Viola sein. Um das genau festzustellen, sind die Außengeräusche zu laut. Hinreißend mit den dramatischen Gegensätzen der dritte Satz, und dann, als Steigerung, erst recht der vierte. Noch heute geht es mir ständig durchs Ohr. Und überhaupt der Genuss: die ganze Sinfonie tagsüber auf NDR Kultur zu hören.
Ich höre die Wiedergabe eines Konzertes mit dem Mozart Piano Quartet vom 28. Juli in der Rellinger Kirche, und es war die Klavierquartettfassung der Eroica, die Beethovens Schüler Ferdinand Ries arrangiert bzw. komponiert hat (eine damals übliche Vorgehensweise) und die das Mozart Piano Quartet in einem Archiv wiederentdeckt hat.
Zu Hause höre ich mir die Aufnahme in aller Ruhe (ohne störende Autofahrgeräusche) und konzentriert von vorne bis hinten an: ein großartiges Konzert. Sogar Mithörer kann ich davon begeistern.
Danke, NDR Kultur! |
Klassikboulevard: Ab 14 Uhr wieder die ständige Leier: Die Musik mit Kompositionssätzen, die wir - bis auf die „aktuellen CDs“ - schon hinlänglich kennen, rauf und runter singen können, seit 5 ½ Jahren, und eigentlich schon gar nicht mehr hören wollen. Satt davon. Doch da gibt es plötzlich Cembalomusik! Das lässt der Musikchef Michael Schreiber als Soloinstrument nach unserer Kenntnis sonst überhaupt nicht zu. Doch es ist nur der 40-sekündige Reststunden-Lückenfüller bis zu den Nachrichten und wird überhaupt nicht angesprochen, weder vorher noch danach. Im Musikticker im Internet steht dann, es sei das Präludium F-dur, BWV 927, von Johann Sebastian Bach gewesen. Davor jedoch, wie oft während des ganzen Nachmittags, der penetrante Hinweis auf den Thementag am Montag zum 80. Geburtstag des Chefdirigenten des NDR Sinfonieorchesters, Christoph von Dohnányi. Ein Entrinnen von dieser Aufdringlichkeit ist nur durch Ausschalten möglich. Auch sonst: die NDR-Kultur-Sendung als Informationsverteilanlage für alles, was NDR Kultur an Tipps verbreiten will, muss (?). Die Musik, das lästige Beiwerk Die Moderatorin um 15.37 Uhr: „Hier ist Murray Perahia schon mal mit Musik.“ Um 15.59 Uhr: „Bis zu den Nachrichten jetzt noch ein Original-Händel.“ Eine Minute und 20 Sekunden lang eben Händelmusik, keine Erklärung. - Der „Original-Händel“ ist das Concerto grosso c-moll, op. 6 Nr. 8, HWV 326 mit den 6 Sätzen „Allemande - Grave - Andante allegro - Adagio - Siciliana: Andante - Allegro“ und einer normalen Spieldauer von 14 Minuten (historische Interpretation). - „Original-Händel“ - wie unwahr. Um 17.40 Uhr: „Anthony Halstead und das Niederländische Rundfunk-Kammerorchester spielten Musik von Johann Wilhelm Wilms. Sie hören [dann betont:] NDR Kultur, es ist zwanzig Minuten vor sechs, und gleich sagen wir Ihnen, was es Spannendes im Fernsehen und natürlich auch im Radio gibt...“ Im Internet steht, es war die Sinfonie Es-dur, op. 14, daraus das Rondo. Allegro (4. Satz). Und um 17.56 Uhr: „Mein Name ist [...], ich darf mich an dieser Stelle verabschieden, und zwar mit Musik von Franz Doppler, ich wünsche Ihnen noch einen schönen, einen entspannten Sonntag Abend, natürlich auf NDR Kultur.“ Nur das Internet weiß, was es war, auf NDR Kultur. Gut für das Internet, schlecht für die Hörer. Nein Danke, NDR Kultur. Für die Lieblosigkeiten ist die Leitung von NDR Kultur verantwortlich, denn die Moderatorin ist für qualifiziertere Auftritte bei einem anderen Kultursender bekannt. |
Verfasst am 1. September 2009