Moderation auf NDR Kultur
NDR Kultur, 21. Mai 2009, NDR Kultur am Feiertag, 16.54 Uhr
„Kalenderblatt“ für Lindbergh - boulevardesk und mit verkehrter Uhrzeit
NDR Kultur verheddert sich im Gestrüpp der „Hörerfreundlichkeit“
Von Theodor Clostermann
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Jahrestage geschichtlicher Ereignisse. Andere Sender haben dafür eine Extra-Rubrik „Kalenderblatt“ mit einer festen Sendezeit. Sie berichten dann ausführlich darüber, so dass der Hörer einen bleibenden Bildungsgewinn hat.
NDR Kultur jubelt dergleichen den Hörern so nebenbei unter, beliebterweise am Morgen zwischen 6.25 und 7.35 Uhr. Vorgestern war es am Nachmittag. Beliebig, fast banal, boulevardesk. Denn das, was mit großem Auftritt geboten wird, dient der reinen Auflockerung. Und um zu zeigen: „Lieber Hörer, sind wir nicht toll? Was wir so alles wissen?“
In der Wissensgesellschaft können auch wir, vom GANZEN Werk, im Internet recherchieren. Und Radioaufnahmen aufzeichnen. Also...
[Moderatorin, in 58 Sekunden]
Was wünschen sich Väter für ihre Söhne? Häufig ist es ja so, dass die Berufe ergreifen, die zuerst von den Vätern na ja sagen wir mal nicht so toll gefunden werden, aber dann vielleicht doch damit erfolgreich sind. So zum Beispiel auch Charles Lindbergh. Der träumte davon, den Atlantik zu überqueren. Und am 21. Mai 1927, heute vor 82 Jahren, da ist ihm das gelungen, und er schrieb in sein Tagebuch: „Ich bin da! 33 Stunden und 30 Minuten nach dem Start in New York, Le Bourget, das Flugfeld in der Nähe von Paris, liegt vor mir! Ich habe es geschafft! Für die Franzosen bin ich ein Gosse du ciel, ein himmlischer Teufelskerl!“ Charles Lindbergh und sein Flugzeug „Spirit of St. Louis“ gingen damit in die Geschichte ein. Aber nicht, weil es der erste Flug über den Atlantik war, sondern weil es der erste Alleinflug [betont] nonstop über den Atlantik war. Lindbergh, der Teufelskerl, war damals gerade 25 Jahre alt.
Ganz abgesehen davon, dass der relativ knappe Artikel bei Wikipedia über Charles Lindbergh viel facettenreicher Lebensweg, Beruf und Politik beschreibt, brachte das „Kalenderblatt“ der Deutschen Welle zum 21. Mai 2009 einen 16 x so langen Ausschnitt aus dem Tagebuch. Daher war die Meldung von NDR Kultur in dem Verhältnis von Bildungsauftrag zu Allgemeinwissen: fast banal.
Das Ganze hat eine Minute gedauert. Der nachfolgende Serenadensatz von Antonín Dvorák wurde dafür mit null Sekunden eingeführt. Ein tolles Missverhältnis.
Was mich aber vorgestern schon aufhorchen ließ, war die - unnötige - Einleitung zu dem Boulevard-Schnipsel:
[16.54 Uhr, Musikabsage C.P.E. Bach, dann in 6 Sekunden]
Es ist sieben vor sieben. Heute ist Christi Himmelfahrt, heute ist Vatertag. Und, was wünschen sich Väter...
Die Sendung dauerte nur bis sechs Uhr (18 Uhr). Wenn die Moderatorin von acht Minuten vor der vollen Stunde ausgegangen wäre, hätte sie dann: „Es ist acht vor acht“ gesagt?
Jedenfalls war sie mit der Auflage, „hörerfreundlich“ (NDR) ständig von "Himmelfahrt" und "Vatertag" zu reden, die Uhrzeit möglichst oft zu nennen und zusätzlich auch noch eine Boulevard-Nummer zu bieten, konzentrationsmäßig völlig überfordert.
Ich habe mir während der Autofahrt nach Hamburg gemerkt: 16.53 Uhr.
PS: Die Musikliste für diesen Nachmittag liegt mal wieder nicht vor, weder bei „Klassisch unterwegs“ noch - so der Name der Sendung am Sonnabend und Sonntag - bei „Klassikboulevard“...
Verfasst am 23. Mai 2009