Komponisten-„Vorstellungen“ im kulturradiorbb

kulturradiorbb, Januar und Februar 2009

Charles Gounod und Hector Berlioz

Ein Kultursender sorgt mit seiner Musikauswahl für beschränkte Kenntnis der Hörer über die Komponisten

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Von Jürgen Thomas

Charles Gounod – Sinfoniker oder Opernkomponist?

Am 4. März 2009 kündigt der Moderator gegen 9.24 Uhr Musik von Charles Gounod an:

Charles Gounod ist in Deutschland überwiegend durch seine Oper „Faust“ bekannt. Wir wollen Ihnen heute seine Oper „Die Königin von Saba“ vorstellen.

[Musik: Ballettwalzer aus dem 2. Akt, Dauer: 4:40 Minuten]

Als Muster für eine Oper würde ich eher etwas mit Gesang erwarten als Ballett; aber beim kulturradiorbb ist Gesang im „Tagesbegleitprogramm“ leider grundsätzlich verpönt. Meine Reaktion auf den Vorgang war:

Der RBB hat durch seine Musikauswahl eine erhebliche Mitschuld, wenn von einem Komponisten nur manche Werke bekannt sind.

Dann erinnerte ich mich daran, dass von Gounod immer wieder ein Auszug aus seiner 1. Sinfonie gespielt wird, und habe deshalb alle Ausschnitte mit Musik von Charles Gounod seit Jahresanfang zusammengestellt.

WerksbezeichnungAusschnitteDauerSendetermine

Sinfonie Nr. 1 D-Dur1. Satz: Allegro molto5‘48“14.01.2009 d
 24.01.2009 a
 27.01.2009 b
 26.02.2009 a
 
 3. Satz: Scherzo6‘11“20.02.2009 a

Sinfonie Nr. 2 Es-Dur3. Satz Finale10‘15“17.02.2009 c

Concertino für Flöte und Orchester5‘05“04.03.2009 b

Oper „Faust“Walzer (arrangiert für5‘27“13.02.2009 d
 2 Klaviere zu 8 Händen) 
 
 Ausschnitte aus dem Ballett6‘53“13.02.2009 d
 (nacheinan-
der gespielt)

Oper „Die Königin von Saba“Ballettwalzer, 2. Akt4‘40“02.03.2009 b
 

Sendetermine, Satzbezeichnungen und Dauer habe ich übernommen nach den Musiklisten des RBB; diese sind für etwa vier Wochen zu finden unter Kulturradio RBB. Auch später können sie noch abgerufen werden, aber das Schema der Dateinamen wurde immer wieder geändert und ist nicht einheitlich; bitte wenden Sie sich bei Interesse an den RBB oder an den Autor dieses Artikels.

a = Kulturradio am Morgen (6.05 bis 9.00 Uhr)
b = Kulturradio am Vormittag (9.05 bis 12.00 Uhr)
c = Kulturradio am Mittag (12.07 bis 14.30 Uhr)
d = Kulturradio am Nachmittag (15.05 bis 18.00 Uhr)

So eine Überraschung

Schwerpunkt des Musikangebots sind die Sinfonien (wenn auch mit einer mehrfachen Wiederholung desselben Satzes), nur nebenbei gibt es instrumentale Ausschnitte aus seinen Opern. Bei den Musikredakteuren des RBB wird die Vielfalt des Komponisten Gounod offensichtlich ignoriert. Beispielsweise sind bei Wikipedia aufgeführt:

 12 Opern
 5 Schauspielmusiken
 7 Oratorien und Kantaten
 17 Messen
 4 Orchesterwerke (zusätzlich zu den beiden Sinfonien)
 3 Kammermusik-Werke
 zahlreiche weitere Chorwerke, Klavierlieder, Klavier- und andere Instrumentalstücke

Das umfangreiche Schaffen von Gounod wird nur mit einigen wenigen Werken berücksichtigt. Das kann nur als bewusste Missachtung eines großen französischen Komponisten bewertet werden.

Hector Berlioz – Sinfoniker oder Opernkomponist?

Diese Erkenntnis nahm ich zum Anlass, die Musikauswahl für einen anderen Franzosen zu untersuchen, und kam zu folgender Zusammenstellung:

WerksbezeichnungAusschnitte DauerSendetermine

Le Carnaval Romain. Ouverture caractéristique, op. 9 8‘47“23.01.2009 d
 02.03.2009 d

Symphonie fantastique.2. Satz: Un bal/Ein Ball.16‘00“09.01.2009 c
Episoden aus dem LebenValse (Allegro non troppo)  19.01.2009 a
eines Künstlers op.14 29.01.2009 a
 03.02.2009 a
 19.02.2009 a
 24.02.2009 c
 28.02.2009 b
 02.03.2009 a

Harold in Italien, Sinfonie3. Satz: Sérénade d'un 5‘55“20.02.2009 d
für Viola und Orchestermontagnard des Abruzzes 
nach Byron op.16à sa maîtresse 

Oper „Benvenuto Cellini“ op.23Ouvertüre 9‘39“02.02.2009 c

 Ouverture du7‘35“24.02.2009 a
 Carnaval romain 
 (Römischer Karneval). 
 Zwischenaktmusik 
 arrangiert für 
 Kammerensemble 

Oper „La damnation de Faust“Menuet des Follets 5‘33“06.02.2009 a
(„Fausts Verdammnis“) op.24 
 
 Ungarischer Marsch24‘30“05.01.2009 b
 (Rákoczy-Marsch) 16.01.2009 b
 30.01.2009 c
 
1Verschiedene Aufnahmen mit unterschiedlichen Längen zwischen 5‘58“ und 6‘23“
2Verschiedene Aufnahmen mit unterschiedlichen Längen zwischen 4‘12“ und 4‘47“
 

Das gleiche enttäuschende Ergebnis

Vom umfangreichen Schaffen von Hector Berlioz bekommen die Hörer des RBB nur einen kleinen Ausschnitt. Vor allem die Beschränkung der Symphonie fantastique auf den zweiten Satz, der wie ein Hit immer wieder abgenudelt wird, ist eine Qual für einen bewussten Hörer. Auch hier kann man die Musikauswahl mit dem Gesamtschaffen bei Wikipedia vergleichen:

 4 Opern und dramatische Legenden
  (eigentlich fünf, aber op.3 „Les francs juges“ ist größtenteils verlorengegangen)
 5 Ouvertüren für Orchester
 4 Sinfonien
 mehrere Werke für Blasorchester
 Kammer-, Klavier- und Orgelmusik
 Geistliche MusikMesse solennelle für Solisten, Chor und Orchester
 Requiem (Grande Messe des morts) op.5
 Te Deum (Hymne) op. 22
 La Fuite en Egypte und L'Enfance du Christ, gemeinsam op. 25

Auch hier ist das Ergebnis eindeutig: Das umfangreiche Schaffen von Berlioz wird nur mit einigen wenigen Werken (und ständigen Wiederholungen) berücksichtigt. Das kann nur als bewusste Missachtung eines großen französischen Komponisten bewertet werden.

Kultur fehlt bei der RBB-Musikauswahl

Das sind zwei weitere Beispiele für die beschränkte Musikauswahl des RBB, die nichts mit der Musik oder kulturellen Ansprüchen zu tun haben. Wir müssen das gleiche Fazit ziehen wie bei dem Artikel „Johannes Brahms: Gibt es nur 3. Sätze?!“

Heitere Musik, die bloß nicht zu lang dauern darf – damit will der RBB die geliebten „Nebenbei-Hörer“ an sich binden. Die bewussten „Zu-Hörer“ interessieren ihn nicht; umfangreiche Kenntnisse über Musik oder die Komponisten werden nicht gewünscht oder ausdrücklich missachtet. Nur die äußeren Bedingungen der Radiomacher werden bei der Musikauswahl beachtet; die inneren Zusammenhänge von Musik und „Kultur im Radio“ werden abgelehnt.

Wie lange müssen wir noch darauf warten, dass sich das kulturradiorbb auf seinen Kulturauftrag besinnt?

Verfasst am 4. März 2009/Letzte Änderung 7. März 2009