NDR-Rundfunkrat

Der Sprecherrat der Initiative Das GANZE Werk schreibt an den NDR-Rundfunkrat

Antwort an Gräfin Kerssenbrock (31. Januar 2005)

Mit aufrichtigem Bedauern nehmen wir den Beschluss des Programmausschusses des Rundfunkrates zur Kenntnis
 
Kritik an Satire sollte kein Grund dafür sein, ein Gespräch zu verweigern, in dem es um Vorschläge und berechtigte Ansprüche engagierter und besorgter Hörer geht

Initiatve Das GANZE Werk
Der Sprecherrat

An die
Vorsitzende des NDR-Rundfunkrates
Dagmar Gräfin Kerssenbrock
Mittelweg 113

20149 Hamburg

Reinbek, 31. Januar 2005

Ihr an Herrn Clostermann gerichtetes Schreiben vom 24. Januar 2005

Sehr verehrte Gräfin Kerssenbrock,

mit aufrichtigem Bedauern nehmen wir als Mitglieder des Sprecherrates der Initiative "Das Ganze Werk" den Beschluss des Programmausschusses des Rundfunkrates zur Kenntnis, in dem es heißt: "die vorgenommenen Veränderungen bei NDR Kultur sind richtig...Ein weiterer Handlungsbedarf jenseits der regulären Programmbeobachtung und des gefaßten Beschlusses wird daher nicht gesehen." Wir wären dankbar, wenn wir erfahren könnten, wie die Verbesserungsvorschläge der vielen Kritiker, die nach Ihren Worten in einer eigenen Arbeitsgruppe des Programmausschusses behandelt worden sind, berücksichtigt wurden und ob der Programmausschuss in seinem Grundsatzbeschluss Vorschläge der Arbeitsgruppe zur Veränderung des Programms übernommen hat.

Wie Sie wissen, hat die Initiative "Das Ganze Werk" mittlerweile über 1.650 Mitglieder sowie einen Kreis von mindestens 2.000 unterstützenden Personen. Darunter befinden sich viele namhafte Persönlichkeiten aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen wie auch eine große Anzahl Mitglieder von Chören und Orchestern. Alle sind langjährige Hörer von NDR 3, jetzt NDR Kultur. Diese und all diejenigen, die im gesamten Sendegebiet unsere Kritik ebenfalls teilen, gehören übrigens auch zu der vom NDR veröffentlichten Hörerzahl.

Die Art und Weise, wie die Programmdirektion Hörfunk seit dem Weggang von Herrn Knauer mit Kritik an der Programmgestaltung umgeht, ist nicht zu verstehen und für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sich über die Gebühren seiner Hörer finanziert, nicht hinzunehmen. Ideenreich, vielfältig und keineswegs gesteuert haben Hörer außerordentlich zahlreich ihre Kritik in Briefen an den NDR geschrieben. Die Antwortschreiben des NDR waren entweder sehr allgemein gehalten oder gingen auf die konkrete Kritik nicht oder nur unzureichend ein, zu Fragen der Hörgewohnheiten und Hörergruppen enthielten sie nur pauschale Behauptungen. Die Verantwortlichen von NDR Kultur waren nicht bereit, sich in einer offenen, unter fairen Bedingungen stattfindenden Diskussion mit der vorgetragenen Kritik auseinanderzusetzen.

Im Gegenteil: mehrfach hat Herr Roman die Mitglieder der Initiative in der Öffentlichkeit verunglimpft. So tituliert er u.a. seine Kritiker mit "Geschmackpolizei" (z.B. Die Welt vom 25.06.2004), spricht von "selbsternannten Kultur-Ayatollahs" (z.B. KlassikClub Magazin 09/2004) oder von "groben Klötze(n)", "auf die bekanntlich ein grober Keil gehört" (Antwortbrief vom 1.10.2004 auf eine Beschwerde), und erklärt, "dass man bisweilen auch abends und nachts Drohanrufe bekomme. Da wolle mancher Reformkritiker den Hörfunkdirektor auch schon mal am höchsten Mast baumeln sehen." (Frankfurter Rundschau vom 10.12.2004). Von einer "niveauvollen Ebene, auf der Gespräche über Kulturthemen geführt werden sollten", wie Sie dies in Ihrem Schreiben zurecht einfordern, kann vor diesem Hintergrund wohl nicht gesprochen werden. Wir haben uns in unserer Berichterstattung über diese Formulierungen bewusst der Polemik enthalten.

Die Seiten auf der Homepage unserer Initiative, die Sie als Geschmacklosigkeit empfunden haben, waren als "Satire" gekennzeichnet. Sie waren der CD-Produktion "Neues von der Norddeutschen Tiefstebene" zum Zweck der Dokumentation zur Verfügung gestellt und sind bereits am 18. Januar 2005 entfernt worden, wie Ihnen Herr Clostermann in der Zeit bis zum 20. Januar 2005 mitgeteilt hat. Es war nicht unsere Absicht, mit der Veröffentlichung der Satire Menschen zu verletzen. Wir bitten um Entschuldigung, wenn sich Menschen dadurch verletzt fühlten. Kritik an Satire sollte aber kein Grund dafür sein, ein Gespräch zu verweigern, in dem es um Vorschläge und berechtigte Ansprüche engagierter und besorgter Hörer geht.

Seit Monaten fordern sehr viele Musikliebhaber von den Programmverantwortlichen die Bereitschaft zu einem ernsthaften und inhaltlichen Diskurs. In einer offenen Gesellschaft, die von der aktiven Beteiligung ihrer Bürger lebt, darf sich eine öffentlich-rechtliche Institution wie der Rundfunk dem nicht verschließen. Gerade in einer Situation, in der eine große Hörergruppe von Musikliebhabern in den angestammten Programmen zunehmend mit "Häppchen-Kultur" und "Wellness-Atmosphäre" konfrontiert wird, braucht unsere Gesellschaft kritische Stimmen, die sich diesen Entwicklungen entgegenstellen.

Wir hoffen, verehrte Gräfin Kerssenbrock, dass Sie sich nach diesen, unseren Klarstellungen einer Diskussion nicht verschließen werden. Wir freuen uns auf die Gespräche mit Ihnen und den Programmverantwortlichen und verbleiben

mit freundlichen Grüßen

i.A. Theodor Clostermann
(Sprecher)

Für den Sprecherrat:
Eckart Begemann, Hamburg
Theodor Clostermann, Reinbek
Dagmar von Kries, Isernhagen
Tom Pause, Hamburg
Klaus Reichenbach, Quickborn
Margrit Siebert, Seevetal

Kopien an:
Mitglieder des NDR-Rundfunkrates
Intendant, Programmdirektor Hörfunk und Wellenchefin von NDR Kultur

Lesen Sie dazu:
Der NDR-Rundfunkrat teilt den Beschluss des Programmausschusses mit
Brief von Gräfin Kerssenbrock (24. Januar 2005)
Die vorgenommenen Veränderungen bei NDR Kultur sind richtig