NDR Kultur - Korrespondenz

Brief von Frau Siebert an G. Romann, 16. September 2004
Frau Mirow antwortet für Herrn Romann, 13. Dezember 2004

Ausweichmanöver + Monopolträume

NDR Kultur trägt ausdrücklich dem Wunsch der Kultur- und Musikliebhaber Norddeutschlands in ihrer Gesamtheit Rechnung!
Kritik- und Antwortbrief direkt gegenübergestellt

Brief ohne Gegenüberstellung Brief im Original (80 kb)

Formaler Rahmen und Bezug eines Briefes
Absatz in der Antwort berücksichtigt
Frau Mirow verfälscht die Voraussetzungen
Absatz ohne Antwort

 
16. September 2004
b.mirow@ndr.de
13. Dezember 2004
Herrn
Gernot Romann
NDR Programmdirektor Hörfunk
Rothenbaumchaussee 132
20149 Hamburg

Kopie an:
www.dasganzewerk.de
NDRKultur KlassikClub
Frau
M. Siebert


...
Sehr geehrter Herr Romann, Sehr geehrte Frau Siebert,
  der Programmdirektor des Norddeutschen Rundfunks, Herr Romann, hat mich gebeten, Ihnen auf Ihren Brief vom 16. September 2004 zu antworten. Dieser Bitte komme ich sehr gern nach und bitte um Nachsicht, dass ich erst heute dazu komme.
als KlassikClub Mitglied protestiere ich dagegen und empfinde es als eine Zumutung, daß Sie das KlassikClub Magazin als Forum für Ihre Polemik mißbrauchen gegen diejenigen Hörer, die mit dem Ende der Musikkultur tagsüber bei NDRKultur nicht einverstanden sind. Ich finde es reichlich instinktlos, wenn man weiß, daß tausende KlassikClub Mitglieder wieder ausgetreten sind, weil sie von der "Notwendigkeit der Trendwende" in der Art, wie Sie sie vertreten, nicht überzeugt sind. Diese Leute werden Sie auch nicht mit einem Frontalangriff auf die "Eliten der Minderheit" und auf ihre "alten" Hörgewohnheiten überzeugen. -----
Mit demselben Recht oder noch größerer Berechtigung dürfte dann auch ein Artikel der Kritiker der "Trendwende bei NDRKultur" im Magazin erscheinen, der die Mitglieder zu Wort kommen läßt (übrigens ganz normal Begabte und Denkende mit gesundem Menschenverstand und Qualitätsbewußtsein), denen der Kulturschock bei NDRKultur Sorge bereitet. Um sie wieder mit ins Boot zu holen, bedarf es keiner kalkulierten Schlagwörter als Argumente und Polemik, sondern tönender Beweise in Form eines abwechslungsreichen Programms, das trotzdem nicht an Substanz verliert, vor allem Musikstücke in ihrer vollen Länge erklingen läßt. -----
Sie verwechseln mit Ihrem Frontalangriff auf die Kritiker Ursache und Wirkung. Die Leute reagieren ärgerlich (ich auch), weil der Sender so arrogant geworden ist (nicht umgekehrt!) und weil sie jetzt tagsüber völlig ausgeklammert werden.
Sie sprechen von Verunglimpfung und verunglimpfen im selben Atemzug die Hörer, die Ihren Sender jahrzehntelang getragen haben und den Qualitätsverlust nicht einfach hinnehmen wollen. Wir bekämpfen Sie nicht, wir möchten, daß unsere Hörgewohnheiten tagsüber auch berücksichtigt werden. Sie aber reagieren nach der Devise: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!
Es steht jedem Menschen gut an, die Argumente der anderen Seite aufzunehmen, zu prüfen und zu vermitteln, das zeugt von Toleranz und menschlicher Größe. Sie aber beharren auf Ihren einfachen und polemischen Statements und dem Recht auf Ihrer Seite durch angeblich gestiegene Hörerzahlen. Und in dem alleinigen Argument des Höreranteils und dem Abjagen der Hörer von KlassikRadio erkennt man leicht den eigentlichen Motor für Ihr Verhalten. Um den Fortbestand von Musikkultur in unserem Land und ihre angemessene Vermittlung geht es zu allerletzt. Es ist Machtpolitik pur, und dafür ist mir der NDR, mit dem ich mich immer sehr identifiziert habe, jetzt total verleidet.
Sie erwähnen immerzu die wissenschaftlichen Forschungsmethoden, Media-Analyse, die gewissenhaften und umfangreichen Befragungen. Gerade daran habe ich meine Zweifel. Ich bin mit sehr vielen Musikliebhabern in Kontakt und in Konzerten, treffe dort nur "alte" und keinen einzigen dieser "neuen" Hörer, und merkwürdigerweise ist bisher kein einziger von ihnen befragt worden. Sind die Wünsche der Stammhörer ausgeklammert, weil sie gar nicht befragt wurden oder werden ihre Aussagen ignoriert? Daß die Stammhörer zufrieden sind mit dem neuen Programm, ist ja wohl reines Wunschdenken Ihrerseits.
Das Ergebnis der Programmreform von NDR Kultur trägt ausdrücklich dem Wunsch der Kultur- und Musikliebhaber Norddeutschlands in ihrer Gesamtheit Rechnung!

(letzter Absatz des Briefes:)
NDR Kultur wird in engster Abstimmung bezüglich der Erwartungshaltung eines an Kultur und klassischer Musik interessierten Publikums das Programm gestalten. Die aktuelle Hörerentwicklung zeigt, dass der eingeschlagene Weg richtig ist.
Nicht umhin kommen Sie um das Eingeständnis, daß tagsüber ganz selten ein ganzes mehrsätziges Werk gesendet wird. Sie sollten sich einen ganzen Tag lang (von 6 bis 19 Uhr) NDRKultur anhören müssen, um zu verstehen, was wir meinen. Das hat nichts mehr mit dem Auftrag eines öffentlich-rechtlichen Senders zu tun und mit Musikkultur schon gar nicht. Wie differenziert wir das Hörverhalten dieser Menschen in der Programmgestaltung berücksichtigen, zeigen die unterschiedlichen Angebote von morgens bis abends.
  Der Musikchef von NDR Kultur, Michael Schreiber, hat Ihnen in zwei Antwortschreiben die Gründe für unser Vorgehen ausführlich erläutert.
Irreführend ist Ihre tendenziöse Unterscheidung in "traditionell" und "aufgeschlossen". Ich zähle bei Ihnen zu den "traditionellen", in Wahrheit gehöre ich aber zu den aufgeschlossensten Musikhörern, die gern auch Neues, Ungewohntes und Musik des 20. Jahrhunderts hören. Die von Ihnen als "aufgeschlossen" Betitelten sind aber diejenigen, die immer dieselben Ohrwürmer hören wollen. So wenden leichtfertige Statements, die sich als Worthülsen erweisen, sich gegen Sie selbst und entlarven den oberflächlichen Umgang mit dem Thema. -----
Apropos Radioprogramm ist kein Konzertsaal: Als langjährige intensive Radiohörerin weiß ich, daß es für viele Musikliebhaber, die auf dem Lande wohnen, doch so ist. Auch für ältere Menschen, die nicht mehr ausgehen können, ist das Radio auch tagsüber Ersatz für Konzertbesuche. Und es gibt viel mehr Menschen, als man glaubt, ohne CD-Player und ohne CD's. -----
Nun noch zu Ihrer Selbstbelobigung als Qualitätsprogramm, mit interessantem kulturellen Wort, unverwechselbar originellem Kultur- und Klassik-Programm mit intelligentem Anspruch. Da widersprechen Sie sich nun selbst, geben Sie doch zu, sich tagsüber an den Nebenbei-Hörern mit einfachen Ansprüchen, die populäre klassische Musik hören wollen, zu orientieren. Da klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander: Unter verschiedenen Mottos gibt es den ganzen Tag ein und dasselbe, nämlich bruchstückhafte Musik, aneinandergereiht ohne inneren Zusammenhang, die Wortbeiträge genauso willkürlich. Wenn man jetzt tagsüber NDRKultur hört, hört man nach kurzer Zeit in der Tat nur noch nebenher und nimmt die Musik gar nicht mehr wahr. Daraus wird ersichtlich, dass das Programm nach wie vor von einer außerordentlichen Vielfalt geprägt wird. Es kann wohl nicht ernsthaft behauptet werden, dass - um Beispiele aus den vergangenen Wochen anzuführen - Sendungen, die sich ausführlich Themen wie "Wilhelm Furtwängler" (zum 50. Todestag), "Elfriede Jelinek" (in Zusammenhang mit der Verleihung des Literaturnobelpreises) widmen oder Konzerte mit Musik des 20. Jahrhunderts live übertragen (Christoph von Dohnányi und das NDR Sinfonieorchester mit Werken von Henze und Ligeti) keine hohen Ansprüche erfüllen würden!
Sie werden nicht umhinkommen, zwischen den beiden unterschiedlichen Hörgewohnheiten einen Kompromiß einzugehen, damit die "Zuhörer" auch auf ihre Kosten kommen. Es kann doch nicht schwer sein, diese Forderung als legitim anzuerkennen und die "normale" Hörgewohnheit Ihrer Stammhörer ebenfalls zu bedienen, ohne sie als "konservativ" oder gar "elitär" zu diffamieren. Die Erfüllung des Wunsches nach 4 Stunden normaler Musiksendung tagsüber würde bedeuten, daß beide Gruppen zufriedengestellt wären. In der Hoffnung, daß Sie Ihre Stammhörer noch auf Rechnung haben, (siehe oben erster roter Absatz nach: Das Ergebnis der Programmreform...)
verbleibe ich mit freundlichem Gruß

gez. M. Siebert

Mit freundlichen Grüßen
gez. Barbara Mirow (NDR Kultur Leitung)

Die Bilanz

Barbara Mirow, Wellenchefin von NDR Kultur, vorher Studium der Germanistik und Philosophie an der Universität in Bonn, ab 1997 Leiterin der zentrale Hörfunk-Nachrichtenredaktion des NDR, seit September 2003 Wellenchefin von NDR Kultur

2 x verfälscht Frau Mirow die Voraussetzungen:

1. Frau Siebert unterscheidet verschiedene Hörergruppen - Frau Mirow leugnet die bestehenden Unterschiede
Die Programmreform von NDR Kultur trägt ausdrücklich dem Wunsch der Kultur- und Musikliebhaber Norddeutschlands in ihrer Gesamtheit Rechnung!

2. Frau Siebert hat ihre Kritik am Programm ausdrücklich und mehrfach für die Zeit tagsüber zwischen 6 und 19 Uhr formuliert - Frau Mirow zitiert ausschließlich Sendungen des Abendprogramms:
Wilhelm Furtwängler am Samstag, 27. November 2004, von 20 bis 24 Uhr
Elfriede Jelinek am Sonntag, 12. Dezember 2004, von 20 bis 22 Uhr
Christoph von Dohnányi am Montag, 15. November 2004, 20 bis 22 Uhr

2 x geht Frau Mirow auf wichtige Argumente nicht ein:
1. Missbrauch des KlassiKlub Magazins durch Herrn Romann, Recht der Kritiker auf Gegenstellungnahme im Magazin
2. "aufgeschlossene Musikhörer", auf dem Lande kann das Radio Konzertsaal sein, NDR Kultur führt heute zum Nebenbeihören

Das Fazit

Die Krone der ArgumentationDie Argumente von Frau Mirow lassen "nicht darauf schließen, dass ihr an einer sachlichen Diskussion über NDR Kultur gelegen ist", wenn wir einmal an die Worte des Intendanten Plog erinnern dürfen. Die Behauptung, ausdrücklich für die gesamten Kultur- und Musikliebhaber Norddeutschlands zu sprechen, setzt dem Ganzen noch die Krone auf.

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