Korrespondenz mit NDR Kultur
Brief eines Hörers aus Göttingen nach der Veröffentlichung des Editorials der neuen Wellenchefin, Barbara Mirow, im Klassikclub Magazin 01/2004
Reform bedeutet zwar nur umgestalten, aber eine Reform sollte doch immer eine Veränderung zum Besseren bedeuten
Die Reform wurde im Elfenbeinturm des NDR erarbeitet
unter Ausschluss der Hörer
Ein 1-2 seitiger Fragebogen, beigelegt im Klassikclub-Magazin, hätte Ihnen aufzeigen können, ob die Mitglieder Reformen wünschen
Brief im Original/Drucken (Pdf) |
Dr. Hans Sternbach
NDR Kultur
Rothenbaumchaussee 161
20149 Hamburg
Sehr geehrte Frau Mirow!
Da Sie mir im Klassikclub Magazin 01/2004 als Team- und Wellenchefin vorgestellt wurden, erlaube ich mir, dieses Schreiben an Sie persönlich zu richten. In dieser Ausgabe des Magazins steht ferner zu lesen: die ambitionierteste Reform des NDR III ist ab 1.1.2004 perfekt. Ich bestreite keineswegs Ihre Ambitionen und die Ihrer Mitarbeiter, aber von einem perfekten Ergebnis dieser Ambitionen zu sprechen, scheint mir doch reichlich subjektiv und überheblich. Die Reform vom NDR III zum NDR Kultur wurde im Elfenbeinturm des NDR erarbeitet unter Ausschluss der Hörer dieses Senders, quasi über deren Köpfe hinweg. Es wäre leicht und einfach gewesen, zumindest einen Teil der Hörer, nämlich die engagiertesten, die KlassikClub-Mitglieder, in diese Reform zu involvieren. Ein 1-2 seitiger Fragebogen, beigelegt im Klassikclub-Magazin, hätte Ihnen aufzeigen können, ob die Mitglieder Reformen wünschen und an welchen sie primär interessiert sind. So bestimmten Sie selbstherrlich, was in Ihrem Sendegebiet Kultur ist bzw. zu sein hat. Auch verkünden Sie vielmals täglich voll Überzeugung: NDR-Kultur hat ein Programm! Mich interessiert wirklich, was dies für ein Programm ist. Vielleicht legen Sie dies einmal im Klassikclub-Magazin dar?! Das neue Programmschema, das Sie auf einer Seite des Magazins vorgestellt haben, kann es doch wirklich nicht sein.
Auf NDR I oder NDR II strahlen Sie ja auch nicht Kompositionen von Mozart oder Schubert aus, um den Hörerkreis dieser Sender zu vergrößern
Wenn ich den bei mir programmierten Sender NDR Kultur einschalte, kommen mir immer öfter Töne entgegen, die ich primär anderen Sendern zuordne, und ich muss mich erst optisch überzeugen, dass ich wirklich auf der Wellenlänge von NDR Kultur bin. Ich habe durchaus nichts dagegen, wenn Sie versuchen Ihren Hörerkreis zu vergrößern, dadurch dass Sie auch Jazz-, Popp- und Filmmusik u.ä. in Ihr Programm mit aufnehmen. Widmen Sie aber dieser Musik täglich eine bestimmte Stunde und senden Sie diese nicht in Abwechslung mit den Kompositionen wahrer Klassiker. Sie vergraulen damit sicher sowohl den Jazzfreund als auch den Freund klassischer Musik. Bisher sind Sie ja auch nicht auf die Idee gekommen, durch NDR I oder NDR II Kompositionen von Mozart oder Schubert auszustrahlen, um den Hörerkreis dieser Sender zu vergrößern und vielleicht für die echte klassische Musik zu gewinnen.
Nicht nur meiner Überzeugung nach ist NDR III durch die Reform zum NDR Kultur zumindest zwischen 6.00 und 19.00 zu einem Berieselungs-Quasselsender verkommen. Lediglich das Abendprogramm von 20.00 - 22.30 ist eines Senders würdig, der sich Kultur auf sein Banner geschrieben hat. Hier gibt es hochwertige Sendungen aus verschiedenen Bereichen zu hören, die auch den Hörer mit unterschiedlichen Ansprüchen zufrieden stellen kann. Wenn ich allerdings höre: Klassisch in die Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht! Was Sie hier bieten ist ungefähr so, als würde man nach dem Genuss einer Sachertorte mit edlem Mokka gezwungen werden, noch eine Essiggurke zu essen. Lassen Sie mich für meine Kritik einige Argumente vorbringen, die sich auf die Sendezeit von 6.00 - 19.00 beziehen.
Ihre Maxime: möglichst viele Musik(Bruch-)stücke verschiedenster Komponisten, die ein Blinder aus dem Tonarchiv bringt
1. Ihre Maxime für diese Sendungen scheint zu sein: pro Sendezeit möglichst viele Musik (Bruch-)stücke verschiedenster Komponisten zu senden. Die durchschnittliche Sendezeit eines Stückes beträgt weniger als 10 Minuten. So ist es auch verständlich, dass Musik des Barocks und der Vorklassik während der Sendungen überproportional zu hören ist. Ein komplettes Werk der klassischen Kammermusik, ein Konzert oder Sinfonie ist nicht zu hören, denn dies würde ja 30 Minuten oder mehr an Sendezeit pro Werk benötigen. Wenn vielleicht einmal ein solches gesendet wird, weiß man nicht wann, denn ein Programm existiert nicht und man kann ja nicht 13 Stunden Radio hören.
2. Die Programmzusammenstellung scheint für den Hörer so zu erfolgen: es wird ein Blinder in das Tonarchiv geschickt mit der Aufgabe, mindestens 10 Tonträger für eine Stunde Sendezeit in das Sendestudio zu bringen. Von diesen Tonträgern werden wahllos Stücke gesendet, vorausgesetzt, sie beanspruchen nicht mehr Sendezeit als 10 Minuten. Anders kann ich mir die Zusammenstellung der Musikstücke nicht erklären, die Sie während der Matinee oder bei Klassisch unterwegs ausstrahlen. Oder steckt ein Programm dahinter, wie Sie während dieser Sendungen mehrmals versichern?
Ärgerliche Moderation
3. Die Moderationen der Sendungen wären teilweise richtig amüsant, wenn sie letztlich nicht ärgerlich wären. Viele der gesendeten Stücke werden nicht mehr angesagt, und erfolgt dann eine Absage, so beginnt diese bereits, bevor das Musikstück verklungen ist. 2 -3 Sekunden Pause nach dem Stück wären eine Referenz nicht nur an den Komponisten. Eine Ansage wie: nun sitzt Glenn Gould am Klavier und spielt Bach, ist wirklich erschöpfend! Selbst Gould spielt nicht stehend Klavier, und welches Stück von Bach er gespielt hat, erfahrt man nicht. Oder: Murray Perahia spielte Klavier und stand auch am Pult der Academy of St. Martin i.t.F. Selbst für einen Künstler wie Perahia ist dies physisch unmöglich! Zugegeben, viele Hörer des NDR Kultur kennen die meisten der gesendeten Musikstücke, - eine große Zahl wird fast täglich wiederholt ausgestrahlt -, aber für sie ist es vor allem interessant zu erfahren, welche Künstler das gesendete Werk interpretiert haben. Andererseits ist es oft wirklich bewundernswert, welche rhetorischen Klimmzüge gemacht werden, um eine Verbindung zwischen 2 Musikstücken herzustellen, die absolut nicht zusammen passen. Was man sich sonst ausführlich zwischen den einzelnen Musikstücken anhören muss, scheint oft der Boulevardpresse entnommen zu sein. Sie nennen zwar eine Ihrer Sendereihen Klassik-Boulevard, aber mir ist diesbezüglich noch kein Unterschied aufgefallen zwischen dieser, Ihrer Matinee und der Sendereihe Klassisch unterwegs.
Die Veröffentlichung des Musikangebots ist nicht mehr möglich! Bravo! Ein umwerfendes Ergebnis Ihrer Reformen!
In der schon zitierten Ausgabe des Klassikclub-Magazins legen Sie dar, dass die Frage "Wann spielt hier welche Musik?" die entscheidende war für die Reform von NDR III. Diesbezüglich bin ich ganz Ihrer Meinung, allerdings bezweifle ich aufgrund der Programmgestaltung, dass Sie wirklich wissen, wann welches Musikstück gesendet wird (siehe oben Absatz 2), denn sonst würden Sie den Hörern des NDR Kultur doch den Programmablauf der einzelnen Sendeblöcke mitteilen können. Dies ist scheinbar ab dem 1.1.2004 im Klassikclub Magazin nicht mehr möglich. In dem gerade erhaltenen Heft 02/2004 teilen Sie nun zumindest den Klassikclub-Mitgliedern mit: eine Planung des Musikangebots und damit die Veröffentlichung der kompletten Programmfahne sind nicht mehr möglich! Bravo! Ein umwerfendes Ergebnis Ihrer Reformen! Also weiß der Hörer von NDR Kultur überhaupt nicht, mit welcher Musik er berieselt wird und die Frage "Wann spielt hier welche Musik?" ist für ihn vollkommen illusorisch. Warum können Sie nicht, wie andere Sender auch, wenigstens vor Beginn einer Sendung Ihren Hörern mitteilen, welche Musikstücke gesendet werden? Diese könnten dann entscheiden, ob sie auf Ihrer Welle bleiben oder lieber den Sender wechseln.
Als Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der unzählige Male am Tag kundtut, Kultur zu vermitteln, haben Sie nicht nur die Verpflichtung Ihren Hörern wirkliche Kultur zu vermitteln, sondern Sie haben vor allem auch einen Bildungsauftrag. Ihre derzeitige Aussendung von Musik lässt befürchten, dass jugendliche Hörer, auf die es Ihnen scheinbar besonders ankommt, in wenigen Jahren nicht mehr wissen, dass eine klassische Sinfonie in der Regel aus 4 Sätzen und ein Konzert aus 3 Sätzen besteht.
Ich überlege inzwischen ernsthaft, ob ich das Klassikclub Magazin weiterhin beziehen soll
Mein Fazit: NDR Kultur nein danke, jedenfalls nicht tagsüber zwischen 6.00 - 19.00. Zum Glück gibt es noch einige andere Sender, die sich zwar auch reformiert haben, für die aber klassische Musik immer noch im Vordergrund steht. Ich meine damit nicht ClassicRadio, denn der Philosophie dieses Senders hat sich NDR Kultur in vielerlei Hinsicht bereits bedenklich genähert. Reform bedeutet per se zwar nur umgestalten, aber eine Reform sollte doch immer eine Veränderung zum Besseren bedeuten, aber dieser Aspekt scheint nicht nur beim NDR sondern inzwischen allgemein verloren gegangen zu sein. Das neue NDR Kultur Programmschema ist der beste Beweis dafür, und ich überlege inzwischen ernsthaft, ob ich das Klassikclub Magazin weiterhin beziehen soll. Die Information, die ich eigentlich erhalten möchte und bisher erhalten habe, ist auf ein Minimum reduziert. Da hilft es auch nichts, wenn Sie das Magazin im Vielfarbendruck vorlegen (reine Geldverschwendung bei den angeblich knappen Kassen der Rundfunkanstalten!).
Nun habe ich mir wenigstens einen Teil meines Ärgers und meines Frustes über die Reform des NDR III von der Seele geschrieben. Ich will diese aber nicht bei Ihnen persönlich abladen, denn ich weiß, dass der Beginn der Reform weit in die Zeit von Herrn Knauer hinein reicht. Vielleicht können Sie aber den Hauptverantwortlichen mein Schreiben weiter reichen.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Hans Sternbach
PS: Herr Dr. Sternbach erhielt von der Wellenchefin keine Antwort.