Das GANZE Werk
7. Oktober 2004
Presseerklärung der Hamburger Telemann-Gesellschaft
Wir fragen den NDR:
Wann gibt es denn die Diskussionsrunde bei NDR Kultur?
Die Rechnung, der Hamburger Telemann-Gesellschaft eine Absage zu entlocken, ist nicht aufgegangen.
- Eine kulturpolitische Fallstudie -
In der Absage des Intendanten des NDR, Professor Jobst Plog, vom 25. Mai 2004 zu der Veranstaltung der Hamburger Telemann-Gesellschaft e.V. am 15. Juni 2004 mit dem Titel "Kritik an NDR Kultur" hatte er angekündigt:
Dem NDR ist grundsätzlich viel an der Diskussion mit seinen Hörern und Zuschauern gelegen. Einem Gesprächswunsch verschließen wir uns daher nicht, im Gegenteil: Zu einer sachlichen Diskussion im Programm von NDR Kultur mit Befürwortern und Gegnern der Reform wird Sie die Wellenchefin Barbara Mirow in den kommenden Tagen einladen.
Am 2. Juni 2004 schrieb Frau Mirow dann an die Hamburger Telemann-Gesellschaft e.V.:
Sehr geehrter Herr Clostermann.
ich beziehe mich auf das Schreiben des NDR Intendanten Professor Plog vom 25. Mai an Sie und lade hiermit zu einer Diskussionsrunde über das Programm von NDR Kultur ein. Wir werden das Gespräch aufzeichnen und zeitversetzt im Programm von NDR Kultur senden. Der Kulturchef des NDR Fernsehens Thomas Schreiber wird die Diskussionsrunde moderieren. Weitere Teilnehmer sind der frühere Chef der Hochschule für Musik und Theater Hamburg Professor Rauhe und ich selbst. Bitte lassen Sie mich wissen, wer von Seiten der Hamburger Telemann-Gesellschaft an dem Gespräch teilnehmen wird. Ich würde dann einen Termin vereinbaren.
Mit freundlichen Grüßen
Barbara Mirow (NDR Kultur Leitung)
Die Hamburger Telemann-Gesellschaft e.V. hat sich für diese Einladung bedankt und schrieb in ihrem ersten Brief vom 6. Juni 2004:
Die Hamburger Telemann-Gesellschaft e.V. ist sehr an einer öffentlichen Diskussionsrunde interessiert, wenn sie vollständig und ungekürzt über den Sender geht, und begrüßt deshalb Ihren Vorschlag als Ausgangsbasis. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass wir im Interesse der Sache eine Live-Übertragung der Diskussion für wichtig halten. Bei einem früheren Besuch im Rundfunkhaus des NDR in der Rothenbaumchaussee hatte ich selbst die Gelegenheit, den Produktionsablauf von einem tatsächlichen Interview über das Kürzen und Umstellen am PC-Verarbeitungstisch bis hin zum geglättet gesendeten Interview mitzuerleben. Nur eine Live-Sendung ist demgegenüber authentisch und für den Hörer in der gegebenen Situation glaubwürdig.
In dieser ersten Phase, die bis Anfang Juli 2004 dauerte, versuchte die Hamburger Telemann-Gesellschaft mit verschiedenen Vorschlägen (Live-Sendung - siehe Zitat, außerdem: Aufnahme unter Live-Bedingungen oder eigene Anwesenheit während der Produktion), eine einseitige Bearbeitung des Aufnahmematerials durch NDR Kultur zu verhindern oder einzuschränken. Frau Mirow ließ sich auf keinen einzigen Vorschlag ein und beendete diese Phase am 5. Juli 2004 mit der kategorischen Feststellung:
Der Norddeutsche Rundfunk steht für absolute journalistische Glaubwürdigkeit und hohe professionelle Ansprüche. Eine Mitwirkung von Dritten zur Gewährleistung dieser Standards ist weder vorgesehen noch notwendig.
Insofern bleibt es bei den von mir beschriebenen Modalitäten für die Ihnen angebotene Diskussionsrunde über das Programm von NDR Kultur.
Daraufhin hat die Hamburger Telemann-Gesellschaft die Aufnahme- und Sendebedingungen akzeptiert.
In der zweiten Phase verhandelten NDR Kultur und die Hamburger Telemann-Gesellschaft über die Besetzung der Diskussionsrunde. Mit dem Hinweis auf die Plural-Formulierung von Intendant Prof. Plog
... einer sachlichen Diskussion im Programm von NDR Kultur mit Befürwortern und Gegnern der Reform...
benannte die Hamburger Telemann-Gesellschaft als Gegengewicht zum Moderator vom NDR Fernsehen, zur Wellenchefin von NDR Kultur und zu - von NDR Kultur benannt - Prof. Rauhe am 17. Juli 2004 drei Teilnehmer:
Es sind Herr Professor Volker Scherliess, Professor für Musikwissenschaft an der Musikhochschule Lübeck, Herr Professor Manfred Stahnke, Professor für Komposition und Musiktheorie an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und freiberuflicher Komponist, und ich, Studienrat am Gymnasium Lohbrügge Hamburg und Vorsitzender der Hamburger Telemann-Gesellschaft e.V.
Diesen Vorschlag wies Frau Mirow am 21. Juli 2004 zurück:
Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass nur ein Vertreter der Hamburger Telemann-Gesellschaft an der geplanten Diskussionsrunde über NDR Kultur teilnehmen kann.
Ich habe den CvD (= Chef vom Dienst, TC) von NDR Kultur, Herrn Nitz, gebeten, sich mit Ihnen telefonisch in Verbindung zu setzen, um mit Ihnen alle weiteren Details zu klären.
Im weiteren Verlauf ging es um die Frage, ob die Runde aus 5 bzw. vielleicht 3 Teilnehmern (so die Hamburger Telemann-Gesellschaft) oder wie von Frau Mirow im Juni angekündigt aus 4 Teilnehmern (Sichtweise des NDR) bestehen solle. Die Hamburger Telemann-Gesellschaft ist der Meinung,
dass die Runde mit nur einem Teilnehmer auf der Seite der "Gegner" nicht ausgeglichen und nicht fair ist und den Worten von Intendant Prof. Plog "mit Befürwortern und Gegnern der Reform" widerspricht.
Der NDR vertrat die Meinung,
dass der Moderator so reputiert sei, dass er sich keine Parteilichkeit leisten könne, und dass Frau Mirow als Wellenchefin zur "Klarstellung" von Sachverhalten anwesend sein müsse.
Diese Phase beendete Herr Nitz am 6. August 2004 mit der telefonischen Mitteilung, dass der NDR bei seiner Position bleibe, dass der Programmdirektor Hörfunk, Herr Gernot Romann, dieses entschieden habe und sich dabei mit dem Intendanten abgesprochen habe. Der NDR hat in dieser ganzen Phase eine schriftliche Festlegung ausdrücklich abgelehnt. Die Hamburger Telemann-Gesellschaft hat den Vorgang in einem Brief an Frau Mirow vom 15. August dokumentiert und angekündigt, dass sie sich nun an den Vorsitzenden des Rundfunkrates, Herrn Dr. Kutz in Rostock wenden werde.
In einer dritten Phase von Ende August bis zum 22. September 2004 sollte ein Sondierungsgespräch mit Herrn Romann über eine mögliche Dreier-Runde stattfinden. Nach der Olympiade war Herr Romann bei zwei möglichen Terminen nicht anwesend, beim dritten nicht wirklich ansprechbar und erst am 22. September 2004 zu einem Telefongespräch bereit. Er ließ in der Frage der Zusammensetzung der Diskussionsrunde überhaupt nicht mit sich reden. Zwischendurch fand am 8. September 2004 die Veranstaltung in Hannover statt, auf der die Hamburger Telemann-Gesellschaft nachweislich die Diskussionsrunde ankündigen wollte - was dann aber noch nicht möglich war - und auf der jedoch das Gespräch mit Herrn Plöger aus der Abteilung von Herrn Romann stattfand (siehe neue musikzeitung Nr. 10/2004, S. 14). Der NDR war also zu jeder Zeit über den Stand der Gespräche informiert.
Die vierte Phase ist eine Zeit des Schweigens und Wartens. Nach dem Scheitern des Sondierungsgesprächs nahm die Hamburger Telemann-Gesellschaft gleich am 23. September den Kontakt zu NDR Kultur erst telefonisch und am 29. September 2004 auch schriftlich wieder auf und teilte mit, dass sie nur einen Teilnehmer benenne.
Wir sind weiterhin an der Diskussionsrunde interessiert, haben bisher auch zu keinem Zeitpunkt abgesagt. Wir können zwar das Außerachtlassen der Formulierung von Intendant Prof. Plog ("mit Befürwortern und Gegnern") und die Charakterisierung der Rollen der Diskussionsteilnehmer aus der Sicht des NDR - nur mündlich am Telefon vorgetragen - nicht nachvollziehen, aber unter Berücksichtigung der Korrespondenz und der Gespräche seit Anfang Juni 2004 akzeptieren wir jetzt das Procedere, wie es Frau Mirow in ihrem ersten Brief vom 2. Juni 2004 formuliert hat. Als Teilnehmer unsererseits möchte ich mitwirken, eventuell - je nach Termin - kann es aber auch Herr Prof. Scherliess aus Lübeck sein.
Am 30. September 2004 - es war dies die erste offizielle Reaktion des NDR nach 7 Tagen (!) - ließ Herr Nitz durch eine Mitarbeiterin mitteilen, dass
die Sache geprüft
werde. Bis heute, 7. Oktober 2004, ist der NDR mit seiner Prüfung nicht fertig, um 17 Uhr verlautet aus dem Vorzimmer von Herrn Romann:
Es gibt keinen neuen Stand.
Obwohl am Ende alle Bedingungen der NDR-Kultur-Einladung von der Hamburger Telemann-Gesellschaft akzeptiert worden sind, ist NDR Kultur seit 14 Tagen immer noch untätig.
Eine Verhandlungsseite ist Gastgeber und verfügt allein über die Produktionsbedingungen, setzt auf dieser Grundlage alle ihre Bedingungen durch. Anschließend bleibt sie untätig und grübelt - wo bleibt da die Logik?
Es besteht der dringende Verdacht, dass das Angebot von Anfang an nicht ernsthaft war und absichtlich harte Bedingungen für die Hamburger Telemann-Gesellschaft enthielt. Der NDR rechnete wohl mit der Befürchtung der Hamburger Telemann-Gesellschaft, unter diesen Bedingungen hilflos vorgeführt zu werden. Ziel war es wohl, die Hamburger Telemann-Gesellschaft zu einer Absage zu treiben, um dann mit der Behauptung auftrumpfen zu können, die Telemann-Gesellschaft wolle ja gar keine Diskussion.
Diesen Gedankengang hat Herr Romann sogar schon preisgegeben. In einem Telefon-Gespräch mit einem Mitglied des Landesmusikrates Schleswig-Holstein schilderte er dieses Szenario bereits als vollendete Tatsache:
"Herr Romann sagte mir, Sie hätten das angebotene Gespräch mit Prof. Dr. Rauhe und anderen abgesagt..." (E-Mail an mich, 28. Juni 2004),
obwohl er mir persönlich am gleichen Tag in einen Brief schrieb:
"Ihre Fragen (...) können gern in die geplante Diskussion im Programm von NDR Kultur, zu der die Wellenchefin, Frau Mirow, Sie eingeladen hat, einfließen. Ihrer Teilnahme an der Diskussionsrunde sehe ich mit Interesse entgegen." (Brief von G. Romann an mich, 28. Juni 2004)
Wie auch immer, bei der Initiative für ein besseres Musikprogramm von NDR Kultur haben wir uns von dem Prinzip leiten lassen, dass man auch aus einer bescheidenen Position heraus Größeres bewirken kann - in unserem Fall sowohl mit der Resolution als auch mit der Diskussionsrunde im Rundfunk. Die bisherigen Erfolge geben uns recht: der NDR kann jetzt nicht mehr wie zu Beginn die Hamburger Telemann-Gesellschaft als unbedeutend kleinreden, sondern muss sie und die Initiative "Das GANZE Werk" mit ihren ca. 600 Mitgliedern respektieren.
Der Vorgang zeigt - wenigstens bisher - dass es vielmehr der NDR ist, der offenbar diese sachliche Auseinandersetzung öffentlich nicht oder nicht korrekt führen will.
Der Artikel von Herrn Romann "Ein Radioprogramm ist kein Konzertsaal" ist bislang der einzige programmatische Beitrag des NDR zur aktuellen Diskussion. Die zweite Fassung für den NDR KlassikClub ist eine Überarbeitung des WELT-Artikels, die Formulierungen sind also verbindlich. Mit Romanns Polemik gegen "Geschmackspolizisten" und "selbsternannte Kulturajatollahs" ist gleichwohl niemandem gedient. Mit seinem selbstgefälligen Verweis aber auf Lessing und die Toleranz hat Herr Romann freilich "den Bock zum Gärtner gemacht". Diese Polemik
"steht" nicht "für absolute journalistische Glaubwürdigkeit und hohe professionelle Ansprüche" (vgl. Frau Mirow - siehe oben).
Die heftigen Reaktionen, die seine verbale Vollkost ausgelöst hat, beweisen es. Und im Programm von NDR Kultur von 6 bis 19 Uhr bleibt weiterhin angesagt: musikalische, kulturelle Magerkost.
Ein Riese trampelt über kulturelles Gelände und hat es auf einmal mit hartnäckigen kleinen Zwergen zu tun. Er fasste den Plan, ihnen eine Falle zu stellen. Und dachte sich dabei: "Sie werden nicht lange durchhalten". Weit gefehlt.
Nun steht er da, der Riese, die Anerkennung ist hin - ein Blick in die Presse beweist es. Jetzt muss er grübeln.
Wir hoffen nur, dass etwas Vernünftiges dabei herauskommt,
dass es zu der Diskussionsrunde im Programm von NDR Kultur kommt und
dass NDR Kultur in einer Gesamtdauer von mindestens vier Stunden GANZE Werke mit interessanter Moderation, mit vollständigen An- und Absagen, ohne Häppchen-Durcheinander, ohne Jingle und ohne NDR-Eigenwerbung sendet.
Reinbek, 7. Oktober 2004
Theodor Clostermann, Vorsitzender der Hamburger Telemann-Gesellschaft e.V.
- Gesellschaft für Kulturgeschichte Hamburgs im 18. Jahrhundert -
unter Mitwirkung weiterer Vorstandsmitglieder
PS:
Aus dem Brief vom 30. Mai 2004 an den NDR-Intendanten, Prof. Jobst Plog
... auch noch so kleine Zwerge können sehr wirkungsvoll sein
Georg Philipp Telemann, Lilliputsche Chaconne aus der Gulliver-Suite
Der getreue Music=Meister, "Intrada, nebst burlesquer Suite" in D-Dur für 2 Violinen ohne Basso contnuo, Satz 2, TWV 40, 108, Hamburg 1728