Das GANZE Werk - Presseschau

DIE ZEIT, 24. Februar 2005 (Nr. 9) - DOSSIER

Rettet das Radio!

Früher war das Hören ein Erlebnis. Heute dudeln Privatsender die immer gleichen Hits - und viele Öffentlich-Rechtliche tun es ihnen nach.
Aber es gibt Hoffnung: Ambitionierte Macher wollen das Medium mit neuem Leben erfüllen

Von Ulrich Stock


Bei Manufactum und anderswo werden diese kleinen hübschen Radios verkauft, die so gut klingen und so einfach zu bedienen sind. Wer sich so ein Gerät kauft, hat allerdings ein Problem: Was soll er damit hören? Es gibt sie kaum noch, die guten Sender.

Das UKW-Spektrum von 87,5 bis 108 MHz bietet, abhängig von der Region, bis zu 30 Stationen. Auf vielen dieser Kanäle schwappt die immergleiche Dudelsuppe. Alle paar Minuten wird das Wetter vor dem Fenster durchgesagt, auf welchen Straßen es blitzt und was man beim tollen Gewinnspiel gewinnen kann, wenn man JETZT SOFORT bei der Radio-Hotline anruft für 49 Cent - und dann kommt bei den Privaten noch die Werbung, bis zu acht Minuten pro Stunde. Die gebetsmühlenhaft wiederholten Kennungen der Sender unterscheiden sich inzwischen mehr als die Programme. "Die Megahits der Achtziger, Neunziger und das Beste von heute" - wer sendet das nicht?

Resignierte Hörer stellen den Deutschlandfunk ein, das neben Deutschlandradio Berlin einzige Programm, das bundesweit zu empfangen ist. Hier gibt es zwar nicht immer etwas, das einen gerade interessiert, Musik jenseits von Klassik und Jazz schon kaum, aber das Bemühen um Qualität ist hörbar. Hier hat das Funken noch Verstand.

Bloß ist Deutschlandfunk auf Dauer langweilig. Und wofür zahlt man eigentlich im Monat 5,32 Euro Hörfunkgebühren? Hat man nicht Anspruch auf Abwechslung? Braucht ein facettenreiches, widersprüchliches und im Umbruch befindliches Deutschland nicht ebensolche Radioprogramme?

Zwei Jahrzehnte nach der Zulassung des Privatfunks stellt sich die deutsche Radiolandschaft als ein ödes, an Höhepunkten armes Flachland dar. Wird die Einebnung weitergehen, oder gibt es irgendwo Zeichen der Hoffnung?

Lothar Jene hat sein Büro querab vom Hamburger Rathaus. Der 58-Jährige ist Direktor der Hamburgischen Anstalt für neue Medien - mit zwölf Mitarbeitern wacht er über den Privatfunk des Stadtstaates. Viel zu überwachen gibt es nicht, denn anders als beim privaten Fernsehen, das Aufsehen um jeden Preis erregen will, plätschert das private Radio so vor sich hin. Es darf nicht stören und verstören schon gar nicht. Es ist kein Einschaltmedium mehr wie ehedem, das man anmachte, um etwas Bestimmtes zu hören, sondern ein Begleitmedium, eine akustische Tapete für den Tag. Es soll laufen, aber man muss ihm nicht mehr folgen. Es darf alles, nur dem Hörer keinen Anlass geben, aus- oder umzuschalten, so einfach ist das.

Lothar Jene, dem die leichte Kost täglich Brot ist, hat sich daran gewöhnt. Er bringt sogar ein gewisses Verständnis für die Anforderungen der kommerziellen Radios auf, schließlich senden die ja nicht zu ihrem Vergnügen. "Aber abends", sagt er, "wenn der Fernsehschatten kommt", nach der Tagesschau, "da wünschte ich mir schon mehr Mut im Programm."

Nun, dies ist ein Wunsch, den kann er äußern, und die Sender hören ihn sich geduldig an - und dann machen sie so weiter wie bisher. Denn am Abend und in der Nacht muss das Programm nach ihrem Verständnis so sein wie am Tag, sonst denken die Hörer noch, ihr Gerät habe sich verstellt - alles eine Frage der Marke, die nicht verwischt werden darf.

Schon mehr Unruhe bei seinen Gesprächspartnern löst Herr Jene mit einer Beobachtung aus, die er in der U-Bahn gemacht hat und die inzwischen jeder machen kann: Da sitzen überall junge Leute mit weißen Ohrstöpseln, dem Erkennungszeichen der iPod-Generation. Mancher Privatsender arbeitet mit nur 150 Hits, die sich in der "Rotation" abwechseln. Wer einen MP3-Player besitzt mit 10.000 Titeln, die er sich selber ausgesucht hat, der braucht kein Radio mehr, jedenfalls nicht so eins. "Die Radioleute müssen aufpassen", sagt Herr Jene, "sie können nicht ewig so weitermachen wie bisher."

Radio Hamburg

Marzel Becker, Programmdirektor von Radio Hamburg: »Es gibt
null Geschmacksfragen hier. Unseren Geschmack geben wir an der
Garderobe ab«

Bei Radio Hamburg am Speersort, gleich der ZEIT gegenüber, kann von Endzeitstimmung keine Rede sein. Programmdirektor Marzel Becker, 41, ist obenauf und hat auch Grund dazu. Seit zwölf Jahren ist sein Sender Marktführer in Hamburg, derzeit mit 25 Prozent, eine traumhafte Zahl, NDR2 als konkurrierendes Programm kommt nur auf 9,1 Prozent.

Radio Hamburg beginnt morgens "mit der lustigsten Morningshow für Hamburg, mit den besten Gags und den beliebtesten Comedys der Stadt". Dann die Mittagsshow Besser arbeiten mit Birgit Hahn, "gut drauf am Arbeitsplatz mit Megahits gegen den Stress", und dann die Feierabendshow, "mit Fun, Action und Comedy nonstop ganz schnell nach Hause". Abends dann "die neuesten Megahits für unsere Stadt", nachts schließlich "Megahits nonstop".

Und - jetzt kommt der Knüller, da ist Radio Hamburg megastolz drauf - jeden zweiten Mittwoch, von Mitternacht an, kommt mal was anderes: Megahits nur aus Deutschland! Die Antwort des Senders auf die kürzlich im Bundestag geführte Debatte über den Mangel an deutscher Musik im deutschen Radio. Wer nicht immer dasselbe hören will, wird also bedient: Er muss nur 14 Tage warten und dann eine Nacht aufbleiben. Das ist Programmvielfalt!

Marzel Becker kann über solche Einwände nur lachen. Marktführerschaft imprägniert gegen jede Kritik. "Wir verstehen, wie Radio gemacht wird und womit man Erfolg hat." Dieser Sender solle Geld verdienen, nur darum gehe es, nicht um Vielfalt, Abwechslung oder gar persönlichen Geschmack. "Es gibt null Geschmacksfragen hier", sagt Becker. "Unseren Geschmack geben wir an der Garderobe ab."

Je mehr Leute Radio Hamburg hören, desto besser wird die Werbeminute bezahlt. Je besser die Musikmischung den Publikumsgeschmack trifft, desto weniger Leute stellen ab. Die werberelevante Zielgruppe sind Menschen zwischen 20 und 40. Sie haben schon Geld, anders als die Jüngeren, und sie sind noch in ihren Konsumgewohnheiten zu beeinflussen, anders als die Älteren. Man spielt also Musik, die 20- bis 40-Jährigen gefällt, so einfach ist das.

So einfach wäre das. Wenn einem 20-Jährigen gefiele, was einem 40-Jährigen gefällt und umgekehrt. Musik ist das Wichtigste und Schwierigste im Radio. Jeder will etwas anderes hören.

Was geschieht also? Radio Hamburg lässt jeden aktuell gesendeten Song alle zwei, drei Wochen testen. Marktforscher rufen potenzielle Hörer an, spielen denen zehn Sekunden vor und fragen, ob sie dieses Stück noch im Radio hören mögen oder nicht. Ältere Titel, die Klassiker, werden zweimal im Jahr getestet. Nur was besteht, wird gesendet.

Selbst populäre Künstler fallen durch dieses Raster, Eminem zum Beispiel, weil der die Hörerschaft polarisiert. Viele finden ihn super, viele ertragen schlicht keinen HipHop - um keine "Ausschaltimpulse" zu geben, muss Radio Hamburg also ohne den prominentesten Rapper auskommen.

Weil in der Zielgruppe nur wenige Stücke konsensfähig sind, ist die Zahl rotierender Hits klein. Wie klein, wird nicht verraten. Die Auswahl landet naturgemäß bei den Superstars, und da gibt es eben nur eine Kylie Minogue, nur einen Robbie Williams. Etwas Neues zu bringen, das ist riskant. Radio Hamburg hält sich schon viel darauf zugute, Norah Jones oder Annett Louisan gespielt zu haben, bevor sie groß herauskamen - aber die hatten ja auch gute Testergebnisse.

Die industrielle Optimierung des Ohrfutters erinnert an die Massentierhaltung. Die Schweine in den Boxen nehmen's grunzend hin, und solange im Stall niemand plötzlich das Licht anmacht, fällt auch keines tot um.

"Vielfalt", sagt Marzel Becker, "ist das, was der Hörer mag. Nicht das, was er nicht kennt."

Vielfalt ist Einfalt. So einfach ist das.

"Früher", sagt John Mönninghoff, "gab es ein Radio in Mutters Stube. Da gab es die Stunde für die Hausfrau, den Schulfunk und abends schöne Hörspiele, zu denen sich die Familie versammelte. Aber das ist vorbei. Nicht nur das Radio hat sich verändert, auch wir haben uns verändert. Wenn im Supermarkt drei Leute vor mir an der Kasse stehen, steigt der Blutdruck. War das vor zehn Jahren auch so? Wir haben objektiv mehr Zeit und subjektiv weniger Zeit. Und dann soll ich mich vors Radio setzen, um auf eine bestimmte Sendung zu warten?"

John Mönninghoff, 51, ist einer von sieben, acht Radioberatern in Deutschland. Seine Firma betreut 35 Sender in 13 Ländern, auch Radio Hamburg. Mit Radio-Romantik darf man ihm nicht kommen. Früher ist früher. Jetzt ist jetzt. Instant need fulfillment. Jeder will alles, sofort. Aufs Radio angewandt, heißt das: Möglichst vielen möglichst schnell fast alles geben, was sie wollen - schwer genug in einem Medium, das Hunderttausende gleichzeitig hören.

Denkt man dies weiter, bedeutet das allerdings: Gegen die iPods kann kein Radio ansenden. Weil an jedem MP3-Player nur ein Hörer hängt. Der hört, was allein ihm gefällt, jetzt. Sollte er mit der Musik mal unzufrieden sein, ist er selber schuld.

NDR Kultur und NDR Info

Anruf beim Norddeutschen Rundfunk, Bitte um einen Termin mit dem Programmdirektor Gernot Romann. Doch, große Überraschung, Herr Romann hat keine Zeit, heute nicht, morgen nicht, die nächsten Wochen nicht. Die Pressestelle bittet, die Fragen schriftlich einzureichen. Sie würden auch schriftlich beantwortet.

Schriftliche Frage an den gesprächsscheuen Sender: "Wie wehrt sich der NDR gegen die zunehmend geführte Klage, das Öffentlich-Rechtliche gleiche sich dem Privaten immer mehr an?"

Schriftliche Antwort: "Mit der Einladung, die NDR-Programme zu hören. Jeder, der dies tut, erkennt, dass von einer Angleichung keine Rede sein kann."

Was ist hier los? Welch seltsamer Ton? NDR = DDR? In der Tat ist der Norddeutsche Rundfunk ein Reich für sich, von Polen bis zur holländischen Grenze, von Dänemark bis hinter Kassel. Ganz Norddeutschland hört den NDR - oder eben auch nicht. Unter den Anstalten der ARD ist der NDR die unmutigste. Während sich Sender anderswo schon etwas Neues einfallen lassen, um dem Privatfunk Kontra zu geben, und dabei auch durchaus Anleihen bei der eigenen Geschichte machen, ist der NDR noch eifrig bemüht, traditionelle Stärken zu beseitigen, um sich dem Privatfunk anzugleichen. NDR2 ist eine schlechte Kopie von Radio Hamburg und NDR Kultur eine noch schlechtere von Klassik Radio. Und Gernot Romann ist so eine Art Egon Krenz des NDR - ein munterer Reformer, der nicht versteht, warum der Gegenwind immer stärker wird.

Romann hat eine Menge Ärger - und macht eine Menge Ärger: Der NDR bemüht oft die Anwälte. Die Charakterisierung eben ist bestimmt auch für eine Gegendarstellung gut (etwa so: "Richtig ist vielmehr, dass Gernot Romann nicht so eine Art Egon Krenz des NDR ist.")

Der NDR ist wohl deshalb so reizbar, weil alle Veränderung nicht den gewünschten Erfolg bringt. Man verkauft seine Seele und bekommt nichts dafür - das ist bitter.

Heftigster Gegner der Programmreformen ist die Hörerinitiative "Das ganze Werk". Auf ihrer Website www.dasganzewerk.de streitet sie dafür, dass die NDR-Kulturwelle tagsüber wieder mindestens vier Stunden lang ganze Werke spielt und nicht einzelne, aus dem Zusammenhang gerissene Sätze. Denn so sieht's heute aus: Erst einen dritten Satz Mozart, dann ein Klavierstückchen von Chopin, eine Rossini-Ouvertüre, und munter wird's mit Johann Strauß! Keine Chormusik mehr, keine Bläserstücke, von Strawinsky allenfalls Teile des Feuervogels. Späte Streichquartette von Beethoven nur noch spät, nach Einbruch der Dunkelheit.

NDR3, qualitativ einst führend in der ARD, ist über zehn Jahre hinweg zur Dödelwelle umgebaut und entwortet worden. Der Tag beginnt noch mit dem anspruchsvollen Am Morgen vorgelesen, danach ist alles Komplexe, Schwierige verschwunden; es gibt allerdings auch nichts mehr, was zum Zuhören reizte. Nur in der Nacht nimmt der Sender noch Vernunft an - wenn der Programmdirektor schläft.

Die Unzufriedenen übersetzen "NDR Kultur" mit "Ende der Kultur". Knapp 1.700 Mitglieder zählt die Initiative inzwischen, engagierte, kluge Leute, die wirklich noch hören - und gehört werden wollen. Romann hat sie in einer Hauszeitschrift des NDR prompt als "Kultur-Ajatollahs" bezeichnet, und man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird.

Bis dahin kann Romann darauf verweisen, die Einschaltquote von NDR Kultur von 1,2 auf 1,8 Prozent gesteigert zu haben. Wenn allerdings eh so wenige zuhören, warum dann nicht wenigstens ein anständiges Programm machen?

Auch Popmusikfreunde attackieren den Programmdirektor seit Monaten, weil der NDR Paul Baskerville, einen musikverständigen Moderator, der auf NDR Info zuletzt nur noch nach Mitternacht ans Mikrofon durfte, nun gar nicht mehr beschäftigt. Baskerville ist vor mehr als zwei Jahrzehnten schon in der legendären Sendung Musik für junge Leute nach der Schule hervorgetreten. Er ist ein Urgestein des Senders mit treuem Publikum, das auf der Website www.offbeat-baskerville.de eine Rücknahme der Entscheidung fordert. Auch hier hat der NDR einen Konflikt mit Leuten, die noch auf das achten, was gesendet wird und was nicht.

Natürlich - das muss man bei aller Polemik dem NDR zugute halten - hat es kein öffentlich-rechtlicher Sender heute leicht. Sinken die Einschaltquoten zu stark ab, heißt es: Wofür bekommt ihr überhaupt die Gebühren, wenn euch keiner hören will? Senkt man den Anspruch, einer höheren Quote zuliebe, heißt es: Wofür bekommt ihr überhaupt die Gebühren, wenn ihr ein Programm wie die Privaten macht?

Zu den bitteren Kuriosa von Radiodeutschland gehört es, dass inzwischen ausgerechnet die Privatsender die öffentlich-rechtlichen Anstalten an ihren Programmauftrag erinnern: dies nicht aus Gemeinsinn, sondern um sich eine Konkurrenz fern zu halten, die als unfair empfunden wird, weil sie unter viel besseren Bedingungen antritt - gebührenfinanziert nämlich.

Nun ist der NDR zum Glück nicht überall. Die Struktur des öffentlich-rechtlichen Radios ist nach wie vor föderal, beim WDR in Köln ist das Programm origineller und mutiger als in Hamburg, auch beim SWR in Baden-Baden.

Zündfunk beim Bayerischen Rundfunk (BR2)

Ulrike Ebenbeck, Redaktionsleiterin des Zündfunks beim Bayerischen
Rundfunk, sagt, sie habe sich noch nie einer Frage nach der Quote
aussetzen müssen

Zwei Sender ragen heraus aus der Verflachung: der traditionsbewusste Bayerische Rundfunk in München und das innovative Radio Eins vom Radio Berlin-Brandenburg in Potsdam.

In Bayern gibt es seit 30 Jahren den Zündfunk, derzeit mit zweieinhalb Stunden Sendezeit täglich, abends von sieben an und in der Stunde vor Mitternacht. Was als Jugendsendung begann, zählt heute zum Besten, was der Musikjournalismus in Deutschland zu bieten hat. Ulrike Ebenbeck, die Chefin, die im 16. Stock des Sendegebäudes hoch über München sitzt, sagt, sie habe sich noch nie einer Quotenfrage aussetzen müssen. Gewiss ist das nicht nur ihr Verdienst, sondern auch das jener, die ihr diese Frage nicht stellen. Ob es dabei bleiben wird?

Johannes Grotzky, BR-Hörfunkdirektor, rechnet mal eben vor, dass der BR2, auf dem der Zündfunk läuft, 33 Euro pro Sendeminute kostet bei 240.000 Hörern am Tag, BR1 dagegen, die Schlagerwelle, nur 22 Euro bei 2,3 Millionen Hörern. Betriebswirtschaftlich ließe sich da einiges optimieren, aber so einfach ist es eben nicht. "Vielfalt im weitesten Sinne", sagt Grotzky, "ist das Wichtigste, was man überhaupt braucht."

Bei den jährlichen Best-of-Leserumfragen von Musikzeitschriften wie de:bug, intro oder spex landet der Zündfunk immer auf den ersten Plätzen. Und es spricht ja nicht gegen ein Programm, wenn es Menschen gibt, die sich dafür begeistern können. Zu den ständigen Mitarbeitern des Zündfunks gehören Leute wie der Schriftsteller, Musiker, DJ und Kritiker Thomas Meinecke oder Karl Bruckmaier, Popmusikexperte der Süddeutschen Zeitung. "Es sind Menschen", sagt Ulrike Ebenbeck, "die sich nicht nur von den Plattenfirmen bemustern lassen, sondern sich selber Platten kaufen, die sie auspacken und in die Hand nehmen" - und sich Gedanken dazu machen. Bruckmaier beispielsweise versteht es, nicht nur anzupreisen, sondern auch zu beanstanden. Wo gibt es das noch im deutschen Radio, dass man sich mit der gesendeten Musik argumentativ-kritisch auseinander setzt?

Der Zündfunk, der mit drei Angestellten und 45 Freien mehr Personal beschäftigt als manch ein Privatsender, verbindet Nähe zum Geschehen mit Professionalität. Ihm gelingt, was von Amateuren betriebenen Sendern wie Radio Flora in Hannover oder dem FSK in Hamburg bei allem Engagement versagt bleibt.

Ende November lud der Zündfunk zum Bavarian Open ins Funkhaus ein, alle 1.700 Karten gingen für je 20 Euro weg, 23 Bands und DJs spielten in drei Studios und dem Lagerraum des Rundfunkorchesters - unter ihnen Musiker, die man bei anderen Sendern nicht einmal dem Namen nach kennt, geschweige denn sendet. Nouvelle Vague aus Frankreich stellten hier ihre Bossa-nova-Versionen von Punk-Hits vor, über die Monate später der Spiegel berichtete.

Es wurde ein rauschendes Fest bis in den Morgen. Unters jugendliche Publikum mischten sich Musiker, Plattenhändler, Kritiker - und keiner hatte das Gefühl, einer verschwindenden Minderheit anzugehören.

Das Radio stiftet Gemeinschaft, der iPod Individualität. Vor den Lautsprechern bildet sich eine andere Identität als mit Ohrstöpseln - eben weil alle zur selben Zeit das Gleiche hören. Die Szene in Weilheim, Oberbayern, mit ihren Gruppen von The Notwist bis Lali Puna, von Ms John Soda bis zu Console und dem Tied & Tickled Trio, wäre wohl nicht entstanden ohne die Rückkopplung mit einem wachen Sender, der den jungen Leuten da draußen einerseits immer gezeigt hat, dass es noch Musik jenseits des Üblichen gibt, und der andererseits, als aus der Provinz ein Echo kam, sofort die Mikrofone aufstellte und mit Auftritten, Aufträgen und Sendungen half.

Und all dies nicht aus Gutmenschentum oder Kalkül, sondern aus Engagement, Begeisterung und nüchternem Urteil. So vereint der Zündfunk Tradition und Fortschritt, Beharrungsvermögen und schnelle Reaktion. Hier gab's die erste Technosendung bundesweit, den ersten Housemix. Für das Ansehen des Bayerischen Rundfunks unter Musikfreunden ist die Sendung unbezahlbar - anderswo wäre sie längst abgeschafft.

Radio Eins in Potsdam

Helmut Lehnert, Chefredakteur von Radio Eins in Potsdam:
»Die Zukunft des Radios liegt in seiner Vergangenheit«

"Die Zukunft des Radios liegt in seiner Vergangenheit", sagt Helmut Lehnert, Chefredakteur von Radio Eins in Potsdam, das vor sieben Jahren erfunden wurde, nachdem zwei Sender fusionierten, der brandenburgische ORB und der Berliner SFB. Lehnert, der schon aus dem östlichen DT 64 und dem westlichen Radio For You das öffentlich-rechtliche Jugendradio Fritz entwickelt hatte, bekam den Auftrag für ein neues Format. Lehnert und seine 100 Mitarbeiter wollten dem Privatfunk weder mit den Mitteln des Privatfunks begegnen (wie es der NDR versucht) noch mit dem gebührenfinanzierten Zeigefinger. Sie wollten weder aalglatt-nichtssagend sein, noch inhaltsreich-volkshochschulartig - da musste es doch noch etwas anderes geben. Sie wollten Menschen, die mit der Formensprache von MTV und Viva und Privatfunk aufgewachsen waren, ein hochwertiges Angebot machen, das sie dort nicht bekommen, in Lehnerts Worten: "Quote und Qualität - es wird ja immer verneint, dass das geht."

Als Radio Eins am 27. August 1997 auf Sendung ging, hatten die Privaten über 80 Prozent Marktanteil bei den 25- bis 45-Jährigen. Der Start missglückte, es galt die alte Radioweisheit: "Ein Konzept sendet nicht."

Lehnert weiß noch, wie die Tabellen mit den ersten Mediadaten kamen: "Wo sind unsere Hörer? Wir haben sie nicht gefunden." Die Gremien des Senders murrten, auch die Mitarbeiter. "Da gab es kritische Stunden", sagt Lehnert. "Alle, die schon immer wussten, dass so etwas, was wir machen wollten, nicht gehen würde, hatten ihren Spaß." Sein Glück war die "extreme Unterstützung", die er von der Geschäftsleitung bekam. "Die wussten: Etwas Neues braucht Zeit."

Radio Eins brauchte drei Jahre, heute ist es das öffentlich-rechtliche Radio, und Lehnert, 54, graumeliert, mit Sweatshirt und roten Turnschuhen, lehnt sich zurück, um noch eine Zigarette zu drehen: "Wenn Sie etwas probieren, was die Leute brauchen, dann hat es Erfolg - früher oder später." Ein Problem heute sei, dass kaum ein Sender mehr sich diese Zeit nehmen wolle.

Radio Eins hat heute 237.000 Hörer täglich, fast doppelt so viele wie im Jahr 2000. Überdies hat die Kulturszene den Sender ins Herz geschlossen, denn er informiert über Theater und Film, Kunstausstellungen und Musik.

Nicht 150 oder 300 Titel rotieren hier, sondern 6.000, und weitere 20.000 sind im Archiv, jederzeit einzusetzen. Der Sender will das breite Spektrum der Popmusik der letzten 40 Jahre spielen - und vermitteln. So zum Beispiel in dem Format Pop Splits mit Songs, die Geschichte geschrieben haben. Da wird erzählt, wie Bob Dylan die Beatles das Kiffen lehrte (I Want To Hold Your Hand) oder mit wem Serge Gainsbourg Je t'aime eigentlich singen wollte. Die Idee, Musik nicht nur zu senden, sondern sie - wie früher - auch einzuordnen, findet großen Zuspruch. Inzwischen gibt es ein Buch und eine CD zur Reihe, deren einzelne Beiträge nicht lang sind und auch keinen festen Sendeplatz haben, wie es zu alter Zeit der Fall gewesen wäre. Stattdessen rotieren sie im laufenden Programm und tauchen gelegentlich auf.

Nach den Magazinsendungen zwischen 5 und 21 Uhr kommen abends die Musik-Specials, von denen einige den Vergleich mit dem Zündfunk nicht scheuen müssen. Den Oceanclub gibt es hier, moderiert von Gudrun Gut vom Berliner Plattenlabel Monika Enterprise, die längst über die Grenzen Berlins hinaus einen Namen hat.

Und John Peel gab es hier, den legendären BBC-DJ, dessen plötzlicher Tod vor wenigen Monaten die Popwelt erschütterte. Peel war 65 und sendete auf Englisch, warum auch nicht, der freche Slogan von Radio Eins lautet ja: "Nur für Erwachsene", was eben nicht alle einschließen will und gerade dadurch den Sender für viele attraktiv macht.

Man will sich nicht andienen, sondern absetzen. Fast alles wird live gesendet, kaum etwas vorproduziert, so kommt's zwar zu Fehlern, aber auch zur Frische. Amüsiert erzählt Lehnert von einem Privatfunkmoderator, der eine 24-Stunden-Moderation in anderthalb Stunden aufgesprochen habe, die dann vom Computer zwischen die Musik geschnitten worden sei. Das spart Kosten, ist aber an Seelenlosigkeit kaum zu überbieten. Nachts sind viele Funkhäuser menschenleer; bei Radio Eins brennt noch Licht.

"Ihr könnt machen, was ihr wollt", sagt Lehnert seinen Leuten, "solange es authentisch ist." Ihm geht es um hörbare Individualität. Gäbe hier jemand seinen Geschmack an der Garderobe ab, Einstellungsvoraussetzung bei Radio Hamburg, könnte er gleich wieder gehen. So einfach ist das.

Deutschlandradio Kultur

Stephan Detjen, Entwickler des neuen Deutschlandradio Kultur:
»Wir machen etwas völlig Neues, das worthaltiger ist als die klassische
Magazinsendung«

Hauptstadt der Radio-Erneuerung ist zurzeit Berlin. Am 7. März geht DeutschlandRadio Kultur, Schwesterwelle des Deutschlandfunks, aus dem alten Rias-Funkhaus auf Sendung - bundesweit und mit nie dagewesenem Konzept. Bisher dümpelte der Sender als Deutschlandradio Berlin mit 250.000 Hörern täglich etwas unprofiliert vor sich hin. Vier Redakteure wurden freigestellt und haben seit Oktober die neue Programmstruktur entwickelt: rund um die Uhr nur Kultur.

Vom Anspruch her schließt der Berliner Sender an den Kölner Deutschlandfunk an, in der Form bedient er sich moderner Elemente, in dieser Kombination aus Bewährtem und Zeitgemäßem Radio Eins nicht unähnlich. Allerdings wendet man sich an ein explizit kulturinteressiertes Publikum.

In den Kernzeiten von 9 bis 12 Uhr und von 14 bis 17 Uhr gibt es statt fester Sendeplätze ein "selbstähnliches Programm". Was klingt wie ein Begriff aus der fraktalen Mathematik, bezeichnet die Entscheidung für wiederkehrende Zeitfenster im Ablauf einer Stunde.

Von jeder vollen Stunde an bis zwanzig nach gibt es Zeit für den feuilletonistischen Zugriff auf Themen aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft, vom Münchner Kulturphänomen Rudolph Moshammer bis hin zu historischen Theorien von Götz Aly. DR Kultur führt also in neuer Form ein, was man bei NDR Kultur mit der schönen Sendung Texte und Zeichen vor zwei Jahren erst abgeschafft hat.

Von zwanzig nach an bis halb gibt es Musik, aber nicht nur zum Hören oder als Häppchen, sondern als Gegenstand. Stephan Detjen, einst Korrespondent beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, später Parlamentsberichterstatter in Berlin, nun Leiter der Projektgruppe, erfuhr erst in den Gesprächen der vergangenen Monate, welch "grauenvolles Reizthema" Musik am Tag in einem Radiosender ist. Jeder wolle etwas anderes hören, es gebe ständig Geschmacksdiskussionen. Hier wird nun etwas Neues ausprobiert: Der Musikblock kann eine jetzt erscheinende Beethoven-CD zum Thema haben, die Tour einer Rock-Band oder ein Festival - der Bericht wird von der Musik eingerahmt, um die es geht.

Nach den Kulturnachrichten um halb gibt es Kritiken - Buch, Theater, Oper, aber auch DVD. Dann Vermischtes, und die Stunde endet mit einem geschichtlichen Thema, einer aktuellen Reportage oder einem Blick in die Zukunft.

Zusätzlich aufgelockert wird die Struktur durch eingestreute radiofone Elemente wie zum Beispiel die Wurfsendung. Ein Zufallsgenerator fügt aus eigens produzierten Hörspielelementen drei kurze Passagen zusammen - eine Spielerei, die an die frühen, experimentierfreudigen Tage des Radios erinnert, probezuhören im Internet unter wurfsendung.dradio.de.

"Wir wollten keine Kopie der Kulturprogramme der sechziger Jahre", sagt Detjen, "wir machen etwas völlig anderes, das sich weniger wiederholt als das Inforadio und worthaltiger ist als eine klassische Magazinsendung." Das Programm werde teurer und anspruchsvoller sein als das bisherige - und aktueller. Weg von der monatelangen Vorplanung, hin zum spontanen Einfall. Plötzlichkeit versus Muff, so einfach ist das.

Aber gut, "ein Konzept sendet nicht", und es könnte eine Weile dauern, bis die schönen Überlegungen ein gelungenes Programm ergeben.

Motor FM in Berlin

Tim Renner, Gründer des neuen Radiosenders Motor FM in Berlin, will
auf Werbung verzichten und Einnahmen durch den Verkauf von Musik
aus dem Internet erzielen

Zur Einweihung des neuen Radiosenders Motor FM ist die Presse Berlins geladen in die Köpenicker Straße 8, ein altes Hinterhofgebäude am Ufer der Spree. Zwei Dutzend Journalisten stapfen zur Mittagszeit die Treppe hinauf und erreichen außer Atem den fünften Stock. Es öffnet sich die Tür zur Küche einer Wohngemeinschaft. Zerschlissene Sessel, aus denen das Polster quillt, Müsli auf dem Tisch, Nescafé, das Bier steht winterlich kühl auf der Dachterrasse. »Willkommen in der Wohngemeinschaft Deutschland, bedient euch!«, sagt Tim Renner, der Senderchef.

Einige Journalisten sind sichtlich verwirrt. Tim Renner war doch bis vor einem Jahr der Deutschland-Boss von Universal, dem größten Musikkonzern der Welt mit Milliardenumsatz und Tausenden Angestellten. Dann ging er oder wurde gegangen, weil er die Krisenstrategie des Unternehmens nicht mittrug, internationale Stars auf Kosten deutscher Musiker in den Vordergrund zu rücken. Und jetzt senden aus einer Kreuzberger WG? Wo ist denn hier das Studio?

»Augenblick«, sagt Renner, »wir machen gleich einen Rundgang.« Es werden mehrere Gruppen gebildet, die nach und nach die verschiedenen Räume aufsuchen. In einem sitzt im Holzfällerhemd Jürgen Nützel, High-Tech-Unternehmer aus dem thüringischen Ilmenau, der zusammen mit dem dortigen Fraunhofer Institut für Digitale Medientechnologie das Downloadsystem Potato entwickelt hat. Mit Hilfe von Potato will Motor FM das jeweils gesendete Stück zum Kauf als MP3-Datei anbieten. Der Clou dabei: Wer ein Stück erwirbt, kann es weiterverkaufen und verdient daran. Die Verbreitung von Musikdateien wird also nicht mehr bestraft, sondern belohnt. Die Journalisten staunen, Renner grinst.

Im nächsten Raum sitzt Thomas Müller, ein junger Mann mit Glatze und Vollbart, der einst beim Münchner Zündfunk war und nun das Musikangebot von Motor FM erklärt: warum nur neue, unbekannte und nahezu vergessene Titel gespielt werden. Weiter geht’s ins Schlafzimmer: Das Bett noch zerwühlt, Socken liegen herum, Tim Renner zeigt auf die Schwarzweißplakate an der Wand, die für den Sender werben sollen. »Faschismus. Kommunismus. Mainstream. Wir haben einen Auftrag. Motor FM 106,8.«

Die Plakate sind echt, die Frequenz ist echt, die Leute sind echt, der Hass auf den Dudelfunk ist echt, der Rest ist erfunden. Die Wohngemeinschaft dient nur als Kulisse für die Pressekonferenz, sie hat mit dem Unternehmen nichts zu tun; immerhin illustriert sie dessen Anspruch: das Pfeifen auf den Massengeschmack, ein Programm »von uns für uns«, das High Tech in Hemdsärmeln und dasDeutsche – denn was ist deutscher als eine Kreuzberger Wohngemeinschaft? Wäre Tim Renner Amerikaner, hätte er wohl in eine Garage eingeladen, um den Willen zum Aufstieg hinreichend zu dokumentieren.

Aus der Wohnung wird also nicht gesendet. Das Studio liegt aber gleich um die Ecke, in der Pfuelstraße 5, auch auf dem Hinterhof. Zehn Quadratmeter misst das Räumchen, ein Tisch mit Computerbildschirmen und Mischpult, Filzbahnen hängen von der Decke zur Verbesserung der Akustik, falls mal jemand was durchsagen will. Hier läuft seit dem 1. Februar 2005 das Rund-um-die-Uhr-Programm auf der Frequenz 106,8 MHz, das unter www.motor.de/motorfm auch im Internet zu hören ist. Der Sendebetrieb begann um 18.48 Uhr, zur Erinnerung an ein historisches Jahr. Renner, eine Frohnatur des Marketings, spricht von der »ersten deutschen Radiorevolution«.

Ob das alles klappt? Zunächst gibt es nur wenige Mitarbeiter, von denen kaum einer bezahlt wird. Renner verweist auf Leidenschaft und Selbstausbeutung; in ein paar Jahren soll aber Geld verdient werden. Motor FM verzichtet auf die übliche, nervende Radiowerbung und versucht stattdessen Firmen zu gewinnen, die bestimmte Sendungen bezahlen und dafür gelegentlich erwähnt werden – der Musikfernsehsender MTV hat das anfangs so gemacht. Auf Dauer will Renner Einnahmen durch den Verkauf von Downloads erzielen. Wer etwas hört, das ihm gefällt, muss sich nichts mehr aufschreiben und in Läden nichts mehr suchen gehen, er ruft es einfach online ab und lädt es auf seinen iPod.

Das Radio wird so zur Dauerwerbesendung in eigener Sache: Es verkauft sich selber. Und indem immer neue Musik gespielt wird, gibt es immer neue Reize für den Hörer zuzugreifen. So einfach ist das.

Radio Teddy in Berlin

Mit gemischten Gefühlen verfolgt Uly Köhler den Rummel um Motor FM. Denn er hat auch einen Sender am Start: Radio Teddy, Deutschlands erstes Kinderradio. Das soll demnächst auf derselben Frequenz senden wie Motor FM, von morgens 6 bis abends 9, Tim Renner bleibt dann nur noch die Nacht. Die Presse spottet schon: erst das Sandmännchen, dann Marilyn Manson?

Da in Berlin nur eine Frequenz frei wurde, hat die Landesmedienanstalt sie aufgeteilt und an zwei der 25 Bewerber vergeben. Die Kleinen würden nachts ja schlafen, die Großen dann erst richtig lebendig – so war die Überlegung.

Renner hat Köhler nun die Schau gestohlen, weil Radio Teddy noch am Funkhaus baut: Das soll spätestens Anfang Juni in Potsdam-Babelsberg stehen, dem deutschen Hollywood, und aussehen wie ein übergroßes Kofferradio, damit die Kinder auch wissen, wo sie sind, wenn sie täglich in Scharen anrücken. Köhler und seine beiden Kompagnons stellen sich einen Disneyland-artigen Besuchs- und Sendebetrieb vor. »Da sprechen die in ein Mikrofon«, schwärmt er, »und plötzlich klingt die Stimme wie’n Riese, wie’n Schlumpf, wie’n Esel!«

Stolz präsentiert Köhler das Konzept, das sich betont kindgerecht gibt. Vierzehn Seiten vollmundiger Beschreibung – »Kinder brauchen eine starke Stimme! Radio Teddy hält das Mikrofon« – aber kein Wort darüber, wie sich das Programm finanziert, das sich an Drei- bis Dreizehnjährige wendet. Nun, durch märchenhaft verpackte Werbung! Was die Landesmedienanstalt wohl bewogen haben mag, dafür grünes Licht zu geben?

»Auf deutschen Kindersparbüchern lagern fünf Milliarden Euro«, insistiert Köhler, ein Mann in den besten Jahren, kinderlos, Inhaber einer Agentur für Funkspots. »Wir können die Kinder von Werbung nicht weghalten.«

DAB-Radio (Digital Audio Broadcast)

Die Kindereien im deutschen Rundfunk werden erst enden, wenn es mehr Programme gibt und damit endlich richtigen Wettbewerb. Die technischen Voraussetzungen sind da: im Äther wie im Internet.

Gerhard Stoll, Diplom-Ingenieur beim Münchner Institut für Rundfunktechnik, erinnert sich noch an den September 1988, als er auf einer Konferenz in Genf das erste digitale Autoradio vorführte. Es stand als großes Gestell im Kofferraum eines Renault Espace, ein Testsender funkte vom Mont Salève; alle 20 Minuten musste Stoll die Fahrt unterbrechen, den Kofferraum öffnen und das erhitzte Gerät mit Eisspray herunterkühlen. Das waren Zeiten!

Inzwischen ist das Digital Audio Broadcast (DAB) ausgereift, Stoll hat den internationalen Standard mitgeschrieben. Träte DAB an die Stelle von UKW, könnte es auf einen Schlag fünf- bis siebenmal so viele Sender geben, noch dazu in CD-Qualität. Woran scheitert's?

Nun, in Deutschland gibt es mehr als 200 Millionen analoge Empfangsgeräte, in Duschen, Werkstätten, Wohnzimmern, Fahrzeugen…, die könnte man dann alle wegwerfen. Zudem ist ein DAB-Radio noch relativ teuer, und weil kaum jemand eines hat, gibt es auch nur sehr wenige Programme. Die Sender haben im Übrigen gar kein Interesse daran, mehr Programme anzubieten: Das würde ihr auf die Einfaltquote eingestelltes Wirtschaften nur erschweren.

Das Internet kennt keine Frequenzen. Hier sind der Zahl der Sender keine Grenzen gesetzt. Die Qualität der Übertragung nimmt ständig zu. Wer zu Hause oder im Büro einen DSL-Anschluss mit Flatrate hat und beispielsweise www.live365.com ausprobiert, der rührt so schnell kein normales Radio mehr an. Da tut sich eine neue Welt auf.

Schon wird die Tonträger-Industrie nervös: Das legale Mitschneiden von Online-Programmen in MP3-Qualität könnte sich für Urheber, Hersteller und Händler zu einem noch größeren Problem entwickeln, als es die illegalen MP3-Tauschbörsen sind. Die GVL, eine Schwesterorganisation der Gema, drängt in Berlin auf Gesetzesänderungen und verlangt neuerdings deutlich höhere Lizenzgebühren von Internet-Radios.

Wie rasant das Tempo ist, lässt sich an der jüngsten Entwicklung erkennen: dem podcasting, das es erst seit einem halben Jahr gibt. Erfunden und ins Internet eingeführt hat es der frühere MTV-Moderator Adam Curry. Er schrieb eine Software, die den iPod befähigt, ohne große Fummelei, nahezu automatisch, komplette Radiosendungen (broadcasts) zu laden. Man schließt seinen MP3-Player morgens kurz an den Computer an und nimmt sich die nach eigener Wahl aus dem Netz gesogenen Programme mit, um sie über den Tag verteilt zu hören. Das ist zeitversetztes Radio zwar, aber portables, im Auto wie überall zu hören, wo kein Internet-Anschluss zur Verfügung steht. Die Website www.ipodder.org hält die Software kostenlos bereit; dort lässt sich auch das rasch wachsende Angebot an Sendungen verfolgen.

Jene Firma Tivoli Audio, welche die kleinen Manufactum-Radios herstellt, hat schon reagiert und speziell zum Anschluss des iPods ein neues Gerät herausgebracht, das iPal. Aus ihm spricht die Hoffnung: Bald gibt's sie wieder, die guten Sender.

Quelle: www.zeit.de/2005/09/RettetdasRadio