„CD der Woche“kulturradio

Warum führte das kulturradiorbb im Januar 2007 die „CD der Woche“kulturradio ein, zusätzlich zu den täglichen CD-Vorstellungen?

Die „CD der Woche“ ist ein Kind der Werbung, mit bevorzugter Herkunft und ohne Qualitätsnachweis: Nicht empfehlenswert

Von Jürgen Thomas

Übersicht

• Eine einzigartige Auswahl?
• Ein Gewinn für den Hörer?
• Längere anspruchsvolle Werke oder kurze Stücke?
• Werbung für Dussmann?
• Ausgezeichnete CDs - eine Empfehlung wert?
• Interpreten, Komponisten, Werke?
• Unterstützung der Kulturindustrie?
• Trivialisierung der Kultur erreicht

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Seit Anfang 2007 weist das kulturradiorbb jeweils auf eine CD der Woche hin. Montags um 9.45 Uhr wird sie inhaltlich vorgestellt; dazu gibt es einen Auszug zu hören, der mit etwa 5 Minuten Dauer ins Raster des Tagesbegleitprogramms passt. Im Laufe der Woche gibt es mehrfach zu unterschiedlichen Zeiten (meistens einmal am Tag) weitere Ausschnitte zu hören, zusammen mit einer Kurzfassung des Inhalts.

Wir haben alle Vorstellungen des Jahres 2008 zusammengestellt (bis einschließlich der 44. Kalenderwoche), siehe CD der Woche 2008 (PDF) und überlegen, welchen Nutzen Hörer und Sender von dieser Aktion haben und welche Auswahlkriterien eine Rolle spielen könnten.

Eine einzigartige Auswahl?

Bei einer so hervorgehobenen CD erwartet man eine besondere Bedeutung jeder einzelnen Produktion. Leider nennt der RBB keine Kriterien für die Auswahl einer Neuerscheinung. Dies ist vor allem dann erstaunlich, wenn eine CD nach einigen Monaten erneut als „CD der Woche“ (also als CD dieser Woche) vorgestellt wird:

• Bach: Partiten 2, 3, 4 - Murray Perahia
        am 07.04.2008 und 04.08.2008
• Frédéric Chopin: 24 préludes op.28 u.a. - Alexandre Tharaud
        am 21.04.2008 und am 18.08.2008
• Christoph Hartmann: „Bella Napoli“ - Oboenkonzerte
        am 19.05.2008 und am 11.08.2008
• Wolfgang Amadeus Mozart: „Violinkonzerte“ - Mit Guliano Carmignola, Violine
        am 23.06.2008 und am 25.08.2008

Im ganzen August soll es keine bemerkenswerten Neuerscheinungen gegeben haben? Oder waren alle Musikredakteure, die eine „CD der Woche“ vorstellen dürfen, gleichzeitig im Urlaub? Auch im Jahr 2007 gab es übrigens mehrere solcher doppelten Empfehlungen.

Was hat man von solchen Wiederholungen zu halten?

Ein Gewinn für die Hörer?

Bei einer so hervorgehobenen CD erwartet man eine besondere Bedeutung für den Hörer. Tatsächlich können alle Hörer bei jeder CD-Vorstellung gewinnen; denn jeder Musikauszug, bei dem auf die „CD der Woche“ hingewiesen wird, wird verbunden mit einer Gewinnfrage, bei der das kulturradiorbb ein Exemplar verschenkt. „Das Exemplar hat uns Dussmann Das Kulturkaufhaus zur Verfügung gestellt.“ Die Fragen sind aller Regel nicht trivial; vereinzelt gibt es sogar keine einzige richtige Antwort. Nur vereinzelt werden besonders schwierige Fragen (wie nach dem höchsten Berg der Schweiz) gestellt.

Längere anspruchsvolle Werke oder kurze Stücke?

Bei einer so hervorgehobenen CD erwartet man eine besondere Bedeutung für den Sender. Eine wichtige Voraussetzung für die Auswahl als „CD der Woche“ ist offensichtlich, dass mehrere Stücke ins Raster des Tagesbegleitprogramms mit maximal 8 Minuten Dauer passen. Damit können z.B. Sinfonien von Mahler, Bruckner, Schostakowitsch niemals empfohlen werden, Opern (die vom RBB wie alle Gesangswerke nur am Rande akzeptiert werden) nur in Ausnahmefällen. Tatsächlich ist Puccini's La Bohème mit Netrebko und Villazon die bisher einzige Opernempfehlung.

Werbung für Dussmann?

Bei einer so hervorgehobenen CD erwartet man eine besondere Bedeutung für den Kulturmarkt. Wegen der Gewinnfrage mit dem Dank an Dussmann Das Kulturkaufhaus könnte der Hörer vor allem glauben, dass dies eine Werbeaktion der Firma Dussmann oder gar Schleichwerbung des RBB für Dussmann sei. Dies sehen die Verantwortlichen des Senders sicher ganz anders.

Das kulturradiorbb ist ein werbefreies Programm. Dussmann gehört zu den Partnern für Kultur und hat deshalb eine besondere Beziehung zum RBB. Also ist auch die ständig wiederholte Nennung des speziellen Markenzeichens der Firma Dussmann keine Werbung, sondern entspricht dem Rundfunkstaatsvertrag über den RBB:

§ 7 Werbung und Sponsoring

(2) Hinweise des Rundfunk Berlin-Brandenburg auf eigene Programme, Dienste und auf Begleitmaterial im zeitlichen Zusammenhang mit der Sendung sowie unentgeltliche Beiträge im Dienste der Öffentlichkeit einschließlich von Spendenaufrufen zu Wohlfahrtszwecken gelten nicht als Werbung.


Quelle: Berlin-Brandenburg - Rundfunkstaatsvertrag

Offensichtlich ist ein Gewinnspiel „im Dienste der Öffentlichkeit“, oder?

Auch wenn rechtlich alles einwandfrei sein dürfte, drängt sich doch der Verdacht der Schleichwerbung sehr stark auf.

In diesem Zusammenhang gehen mir einige Randbemerkungen durch den Kopf, die weniger mit der „CD der Woche“ als vielmehr mit der Beziehung zwischen RBB und Dussmann zu tun haben.

• Hoffentlich ist die wiederholte Empfehlung einer CD der Woche nicht darauf zurückzuführen, dass Dussmann bei der ersten Aktion zuwenig Exemplare verkauft hat, daraufhin den RBB um erneute Vorstellung gebeten hat und der RBB diesem Wunsch nachgekommen ist.

• Dussmann ist für den RBB ein einzigartiger Partner, denn er ist der einzige CD-Verkäufer unter den Kulturpartnern. Andererseits ist der RBB für Dussmann kein einzigartiger Partner; denn Dussmann arbeitet auch mit Klassikradio zusammen (Foto: ct/dgw).

• Erst in den letzten Monaten haben sich alle Moderatoren an diesen Satz gewöhnt: „Das Exemplar hat uns Dussmann Das Kulturkaufhaus zur Verfügung gestellt.“ Vor allem im ersten Jahr hieß es überwiegend in falschem Deutsch: „Das Exemplar wurde uns von Dussmann Das Kulturkaufhaus zur Verfügung gestellt.“

• Die Bedeutung Dussmanns als Werbeträger hat auch der NDR festgestellt, der Werbung für Dussmann am 4. Dezember 2006 als redaktionellen Beitrag tarnte.

Während der RBB die Vielfalt des kulturellen Lebens darstellen soll, beschränkt er sich monopolistisch auf die Nennung des größten Anbieters.

Ausgezeichnete CDs - eine Empfehlung wert?

Bei einer so hervorgehobenen CD erwartet man eine besondere Bedeutung für die Hörer. Natürlich ist es schwierig, eine CD angemessen vorzustellen - über Geschmack lässt sich immer streiten. Deshalb kann es auch zu denselben Produkten unterschiedliche Meinungen geben.

Für die neueste CD mit Anne-Sophie Mutter: Violinkonzerte von Johann Sebastian Bach und Sofia Gubaidulina haben wir sehr verschiedene Kommentare gelesen.

In der Vorstellung des RBB heißt es:

Nun hat (Sofia Gubaidulina) ein zweites Violinkonzert geschrieben. Dabei hat sie die Rolle der Solistin verstärkt, indem sie im Orchester die ersten und zweiten Geigen wegließ.

Der Klang dieses Werkes wirkt wie ein großes Gebäude und verbindet die Komponistin in ihrer klaren Architektur und der Spannung zwischen Kalkül und Emotion mit Johann Sebastian Bach.

Anne-Sophie Mutter hat daher zwei Konzerte des großen Meisters des Barock mit auf diese CD genommen. Mit überzeugender Leichtigkeit und Spielfreude zaubert sie durch barocke Bögen unterstützt in Bachs Konzerten WV 1041 und 1042 einen warmen Klang mit sonorem gesanglichen Tonfall. In Sofia Gubaidulinas Violinkonzert tempus praesens nimmt sie die Herausforderung an und füllt den Raum mit großem Klang. So klingen russische Tradition und Messiaensche Klangwelten ebenso an wie Bachsche Streicherkantilenen.

Ein Werk, das die Seele anspricht und durch Valery Gergievs sichere Hand Musiker und Hörer in einen Klangraum einlädt, der staunen lässt.

Norbert Hornig schreibt im Fono-Forum:

Mag sich auch die Komplexität des fünfteilig konzipierten Werkes erst durch wiederholtes Hören erschließen, so spürt man doch eines sofort: Diese Musik lotet tief, sie will Existentielles aussagen, und ihre Interpreten ringen mit aller Kraft darum. Mutter setzt den Solopart hochexpressiv unter Spannung, mit einem Ton, der samtzart oder von einer bohrenden Intensität sein kann.

Bachs Violinkonzerte bilden einen ungewohnten Kontrast zu Gubaidulinas neuem Werk. Dies ist aber nur scheinbar ein Widerspruch, denn Bachs Musik trägt Universalität und Zeitlosigkeit in sich; sie ist auch für Gubaidulina eine stete Quelle der Inspiration. Mutter prägt die Interpretationen markant. In den Finalsätzen wählt sie rasante Tempi, die Musik eilt in behänder Leichtigkeit dahin, dennoch bleibt die Artikulation glasklar. Problematisch erscheint die stark "romantisierende" Tonbildung in den langsamen Mittelsätzen. Hier changiert Mutter, mitunter auf demselben Ton, zwischen Non-Vibrato und einem ausufernden Einsatz dieses Ausdrucksmittels, der fragwürdig ist.

Egon Bezold fasst seine Kritik unter Klassik.com so zusammen:

Edelstück aus der kompositorischen Nouvel Cuisine

Keine Frage: Gubaidulinas kunstreich auskomponiertes Stück, schon beim ersten Hören gut nachvollziehbar, könnte zum Repertoire-Erfolg werden. Es verlangt von den Interpreten enorme Ausdruckskraft und nie nachlassende Intensität. Dem wird Anne-Sophie Mutter auf höchst bewundernswerte Weise gerecht.

Mit den Violinkonzerten von J. S. Bach (BWV 1041 und BWV 1042) waltet eine eher kulinarische Linie, die sich dezent einer klangrednerischen Konzeption nähert. Die Wiedergabe bleibt zwar frei von überzogenen Phrasierungsmechanismen, könnte aber einen sparsameren Gebrauch des Vibrato gut vertragen.

Wie gesagt: Man kann es so oder so sehen. Aber zu Anne-Sophie Mutters Ausdrucksweisen gibt es unterschiedliche Meinungen, wie in der Diskussion „Anne Sophie MUTTER - Hochgejubelt und abgewertet“ deutlich wird (bei www.tamino-klassikforum.at). Nach der historischen Aufführungspraxis sollte Vibrato möglichst vermieden werden, erst recht wenn es jetzt der eigene Anspruch von Anne-Sophie Mutter ist, „historisch informiert“ zu spielen. (Das hob NDR Kultur bei der Vorstellung dieser CD am 17. September 2008 um 15:30 Uhr zu den Violinkonzerten Bachs hervor.)

Ein anderes Beispiel ist Leiv Ove Andsnes mit Mozarts Klavierkonzerten Nr. 17 und 20. In der RBB-Vorstellung heißt es u.a.:

Leif Ove Andsnes und dem Norwegischen Kammerorchester ist eine unverblümte, ehrliche Interpretation von diesen beiden Klavierkonzerten gelungen. Vielleicht, weil der Pianist auch in der Rolle als Dirigent eine lebhafte Kommunikation mit dem Orchester entwickelt hat, aber auch weil gerade durch den klaren, sauberen Klang ein fast kammermusikalisches Ergebnis entstanden ist. Mozarts Musik klingt wie frisch gewaschen und musikalisch ausgefeilt bis zur letzten Note. Das ist Kunst.

Ingo Harden äußert dagegen im Fono-Forum einen ganz anderen Eindruck:

Aber er kann nicht alles. Sein neuerlicher Umgang mit Mozart-Konzerten macht eine seiner Grenzen überdeutlich. Gewiss, er spielt die beiden Konzerte aus Mozarts Wiener Glanzzeit pianistisch untadelig, sein Musizieren im Verein mit Landsleuten klingt schlank und beweglich. Aber vor allem wirkt es merkwürdig unterkühlt und wie unter Zeitnot abgespult - von einem „mozartischen“ Herzton nicht die Spur. Wie man es auch dreht und wendet: Dies ist keine Alternative zu Spitzenversionen wie etwa der neuen Zacharias-CD, sondern eine farblich ausgelaugte Schmalspurfassung großartiger Musik.

Der RBB will natürlich seine „CD der Woche“ als empfehlenswert propagieren - muss das aber so unkritisch und mit allgemeinen Floskeln geschehen?

Aufschlussreich ist auch der Vergleich der RBB-Empfehlungen mit dem (von den Konzernen unabhängigen) Preis der deutschen Schallplattenkritik. Nur zwei „CDs der Woche“ stehen in der Bestenliste des 2. Quartals 2008, nämlich Pierre-Laurent Aimard: „Die Kunst der Fuge“ (Bach) sowie Vesselina Kasarova: „Belle Nuit“ (Offenbach). Beim 1., 3. und 4. Quartal heißt es „Fehlanzeige“ - keine weitere „CD der Woche“ entsprach den Kriterien der Juroren:

Die Auszeichnung künstlerisch und aufnahmetechnisch hervorragender Veröffentlichungen erfolgt ... durch die vierteljährlichen Bestenlisten ... (von Tonträgern), die von den Jurys als herausragend erachtet werden. Die Aufnahme in die Bestenliste ergibt sich aus der Nominierung durch die zuständigen Juroren...

Dabei sind jeweils Interpretation, künstlerische Qualität, Repertoirewert, Präsentation und Klangqualität zu berücksichtigen.


Quelle: Schallplattenkritik: Regeln

Offensichtlich führen die unbekannten Kriterien des kulturradiorbb mit einem einzelnen Musikredakteur und die offengelegten Kriterien der Schallplattenkritiker mit einer Jury zu gravierenden Unterschieden in der Bewertung einer CD-Veröffentlichung.

Interpreten, Komponisten, Werke?

Bei einer so hervorgehobenen CD erwartet man eine besondere Bedeutung für die Kultur. Wir sind bei der Zuordnung der CDs zu folgenden Erkenntnissen gelangt. (Doppelte Vorstellungen werden doppelt gezählt.)

Die Einordnung in Rubriken kann natürlich nur „ungefähr“ gelten; ein anderer Leser und Hörer mag es anders sehen. Ich wähle deshalb die Formulierung „etwa“. Entscheidend ist die offensichtliche Tendenz. Die Zuordnung der Produktionen ist in der Aufstellung CD der Woche 2008 (PDF) notiert.

3 Produktionen (AIDS-Gala, Wiener Neujahrskonzert, Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker) sind Mitschnitte gesellschaftlicher Ereignisse und 1 Produktion eine Sammlung unterschiedlicher Werke. Bei beiden Bereichen kommt es auf künstlerische Relevanz eher nicht an; aber dann stellt sich erst recht die Frage, warum ausgerechnet diese CDs ausgewählt werden.

Bei etwa 5 Produktionen werden der Komponist und seine Werke besonders herausgestellt.

Bei etwa 17 Produktionen steht ausschließlich der Interpret für ihre Bedeutung. Beispiele sind Horowitz (sein letztes Konzert in Hamburg) oder Martha Argerich (Music for Two Pianos). Nur selten (z.B. Alexandre Tharaud mit Frédéric Chopin) ist wirklich der künstlerische Wert der Interpretation hervorzuheben; vor allem für Sammelwerke wird der künstlerische Wert nicht deutlich.

In der Mehrzahl von etwa 18 Produktionen sieht es so aus, als wenn der Komponist und seine Werke für die Bedeutung der CD sorgten und die Interpreten zweitrangig wären. Tatsächlich befasst sich die inhaltliche Vorstellung hauptsächlich mit der Bedeutung und Entwicklung des Interpreten. Hier ist ein besonders deutliches Beispiel, bei dem nach einem kurzen Hinweis auf die Komposition ausschließlich auf den Interpreten eingegangen wird:

Johannes Brahms: Die späten Klavierstücke; Markus Groh

„Lieben Sie Brahms?“ - Denn unsere CD der Woche präsentiert Spätwerke von Johannes Brahms für Klavier, gespielt von Markus Groh. Seit er 1995 den renommierten Königin-Elisabeth-Wettbewerb gewann, zählt Markus Groh zu den besten deutschen Pianisten. Ihn zeichnen auch Vielseitigkeit, Aufgeschlossenheit und eine gewisse Unkonventionalität aus, wie etwa musikliterarische Projekte zeigen. Oder das von ihm gegründete Kammermusikfestival in Bebersee in der Schorfheide, unweit Berlins.

Vor zwei Jahren erschien seine erste CD, mit Werken von Franz Liszt, die auf Anhieb in der Fachzeitschrift Gramophon zu den Monats-Top Ten gewählt wurde.


Quelle: RBB (CD der Woche)

Auch bei den anderen Vorstellungen geht es Redakteuren und Moderatoren überwiegend um die Bedeutung der Interpreten. Zu den Werken und Komponisten gibt es nur wenige Erläuterungen.

Unsere Vermutung bei diesem Missverhältnis lautet: Das kulturradiorbb kümmert sich weniger um die inhaltliche Erklärung kultureller Werke und betont stattdessen die Bedeutung der Interpreten. Das entspricht dem Verhalten in der Pop-Musik: Dort sind die Interpreten das wichtigste, die Schöpfer der „kulturellen Werke“ sind nebensächlich. Wichtig ist die Art der Präsentation und nicht der Ausdruck.

In diesem Zusammenhang steht wohl auch, dass der Gewinn des Echo-Preises durch einen Interpreten mehrfach erwähnt wird; dessen Bedeutung hat Eleonore Bühnung unter „Metabetriebsfest und Selbstauszeichnung der Plattenfirmen“ gewürdigt (FAZ vom 18.10.2008, nachzulesen unter Eleonore Büning zu den „Echo“-Klassik-Preisen 2008). Dagegen hält der RBB den Jahrespreis 2004 der Deutschen Schallplattenkritik (verbunden mit einem Auftritt in Berlin) für Pierre-Laurent Aimard nicht für erwähnenswert.

Unterstützung der Kulturindustrie?

Bei einer so hervorgehobenen CD erwartet man eine besondere Bedeutung für den Kulturmarkt. Das wird in der Tat bestätigt, wenn man sich die produzierenden Firmen ansieht. Der Musikmarkt wird geprägt von vier Konzernen, den Major-Labels, wobei Warner für den Klassikmarkt keine nennenswerte Bedeutung mehr hat. Die als „CD der Woche“ ausgewählten Veröffentlichungen stammen von folgenden Firmen (doppelte Vorstellung wurde auch doppelt gezählt):

Universal Music Group: MCA Records, Motown, Geffen, Lost Highway, Polydor, Island Records, Def Jam, X-Cell Records; Deutsche Grammophon, Archiv Produktion, Decca
        12 Produktionen
Warner Music Group: Atlantic, Rhino, Elektra, Sire, Reprise, WEA
        0 Produktionen
EMI: Blue Note, Capitol, Charisma, Chrysalis, Mute Records, Odeon, Parlophone, HMV, Virgin
        8 Produktionen
Sony Music: Columbia, Epic, CBS, BMG, Arista Records, RCA; harmonia mundi (Deutschland)
        9 Produktionen
• 15 Produktionen stammen von „unabhängigen“ Firmen, nämlich:
        4x     harmonia mundi France
        2x     classic production osnabrück (cpo)
        je 1x  Berlin Classics
                Hänssler Classic
                audite
                Raumklang
                Alia-Vox
                AVI Records
                Naïve Records
                Pentatone
                Accent

Die CDs stammen also zu zwei Dritteln von den großen Konzernen und zu einem Drittel von den kleineren Firmen. Diese Bevorzugung ist wettbewerbsschädigend gegenüber den „unabhängigen“ Firmen; denn damit haben die „Major-Labels“ eine marktbeherrschende Stellung.

§ 19 Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung

(3) Es wird vermutet, dass ein Unternehmen marktbeherrschend ist, wenn es einen Marktanteil von mindestens einem Drittel hat. Eine Gesamtheit von Unternehmen gilt als marktbeherrschend, wenn sie
1. aus drei oder weniger Unternehmen besteht, die zusammen einen Marktanteil von 50 vom Hundert erreichen, oder
2. aus fünf oder weniger Unternehmen besteht, die zusammen einen Marktanteil von zwei Dritteln erreichen, es sei denn, die Unternehmen weisen nach, dass die Wettbewerbsbedingungen zwischen ihnen wesentlichen Wettbewerb erwarten lassen oder die Gesamtheit der Unternehmen im Verhältnis zu den übrigen Wettbewerbern keine überragende Marktstellung hat.


Quelle: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Vielleicht vertreten die Verantwortlichen beim Sender den Standpunkt: „Die großen Firmen bedienen den Massengeschmack; wir wollen die Quote haben, also orientieren wir uns an ihnen.“ Aber damit unterstützt der RBB offensichtlich die marktbeherrschenden Unternehmen. Das bedeutet eine Vernachlässigung der Qualität und Vielfalt zugunsten von Quantität und Einfalt. Da die Auswahlkriterien nicht bekannt sind, muss offen bleiben, ob dies fahrlässig oder bewusst geschieht. Auf jeden Fall wirkt es als Behinderung des Wettbewerbs und entspricht nicht den Programmgrundsätzen, bei denen er wie alle öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf ausgewogene Berichterstattung und angemessene Berücksichtigung aller Meinungsträger zu achten hat:

§ 11 Auftrag

(1) Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat durch die Herstellung und Verbreitung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken. Er kann programmbegleitend Druckwerke und Telemedien mit programmbezogenen Inhalt anbieten.

(2) Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat in seinen Angeboten und Programmen einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Er soll hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern. Sein Programm hat der Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Er hat Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten.

(3) Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat bei Erfüllung seines Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit der Angebote und Programme zu berücksichtigen.


Quelle: LFK Ba-Wü - Rundfunkstaatsvertrag

Trivialisierung der Kultur erreicht

Bei einer so hervorgehobenen CD erwartet man eine besondere Bedeutung für einen Kultursender, der dem Bildungs- und Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verpflichtet ist.

Dass das kulturradiorbb dazu in der Lage ist, zeigt der Sender (seit 2004 mit der Umgestaltung des Tagesprogramms zu einem Begleitprogramm) täglich um 13.30 Uhr: Für seine CD-Kritik haben Moderator und Musikredakteur in etwa 20 Minuten Zeit für mehrere Textbeiträge und Ausschnitte. Natürlich handelt es sich auch dabei um subjektive Wertungen; das Lob mit 5 Sternen (= „5 K“) als Standardergebnis relativiert dies ebenfalls. Aber eine ausführliche Begründung hilft den Hörern bei dieser Empfehlung. Diese fundierte längere Kritik und Rezension zeigt, dass der RBB gelegentlich durchaus dem Bildungs- und Kulturauftrag nachkommen kann.

Im Gegensatz dazu steht (seit Anfang 2007) die eher primitive Vorstellung der „CD der Woche“: kurze Musik-Ausschnitte, nur eine knappe inhaltliche Vorstellung, Überbetonung des Interpreten (überwiegend mit banalen Formulierungen und Lobhudelei), das Ganze verbunden mit penetrant wirkender Werbung und Bevorzugung der großen Produktionsfirmen - dies alles lässt zweifeln, wie das kulturradiorbb seinem Kulturauftrag nachkommen will. Auch die Enquête-Kommission des Bundestages zur „Kultur in Deutschland“ hat die Popularisierung des Kulturangebotes kritisch vermerkt:

Die Enquete-Kommission (nimmt) auch kritische Stimmen ernst, die vor der Gefahr einer zu starken Popularisierung im Sinne einer Verflachung und Trivialisierung warnen. Das Angenehme, Publikumswirksame droht mitunter das Polarisierende und Irritierende zu verdrängen.

Die sich ausbreitende „Formatierung“ von Sendungen, das heißt das Setzen strengerer Zeitlimits und Vorgaben für die Kombination von Wort- und Musikbeiträgen, ist tendenziell eine Gefahr für Themen und Kulturtraditionen, die in erheblichem Maße auf Geist, Komplexität und Substanz setzen und daher medial nicht so leicht zugänglich gemacht werden können.


Zitiert nach: Das GANZE Werk - Dokumentation, Zitatensammlung

In der Tat bestätigt die derzeitige Vorstellung der „CD der Woche“ diese Popularisierung im Sinne einer Verflachung und Trivialisierung. Das strenge Zeitraster des Tagesbegleitprogramms, das Texte in drei bis fünf Minuten zwängt und Musikstücke von mehr als acht Minuten Dauer verbietet, sorgt für kleine Einheiten und damit starke Vereinfachungen. Wenn dann noch eine undurchsichtige Auswahl und banale Erläuterungen hinzukommen, verringert sich der Nutzen für den Hörer zusätzlich.

Unser Fazit: Die „CD der Woche“kulturradio ist ein Kind der Werbung. Die meisten ausgesuchten CDs stammen von drei bevorzugten Häusern. Der Sender bleibt uns seinen Qualitätsnachweis schuldig. Deshalb nicht empfehlenswert.

Abgeschlossen am 8. November 2008
Ergänzende Recherchen: Theodor Clostermann, Ludolf Baucke