Das GANZE Werk (Berlin-Brandenburg): Kommentar

kulturradio vom rbb, 18. - 27. Januar 2008, und Das GANZE Werk (BB), 12. Februar 2008

„Ultraschall - Das Festival für neue Musik“

Schön, dass wir über zeitgenössische Musik gesprochen haben...
... da müssen wir sie nicht auch noch spielen

Von Jürgen Thomas

Vom 18. bis 27. Januar 2008 fand in Berlin „Ultraschall - Das Festival für neue Musik“ statt. Das RBB-Kulturradio, gemeinsam mit Deutschlandradio Kultur Veranstalter, hat diesem Festival in seinem Programm große Beachtung geschenkt.

Mehrere RBB-Sendungen hatten „Ultraschall“ zum Schwerpunkt:
• Mo 14.01.2008 (22.04 bis 23.00 Uhr) eine Vorschau in der Sendereihe „Musik der Gegenwart“
• So 20.01.2008 (20.04 bis 23.00 Uhr) Direktübertragung des Konzerts aus dem Großen Sendesaal des RBB
• Mi 23.01.2008 (22.04 bis 23.00 Uhr) über „Klaviermusik beim Ultraschall-Festival“ in der Sendereihe „Musik der Gegenwart“
• Sa 26.01.2008 (20.04 bis 23.00 Uhr) Direktübertragung des Konzerts aus dem Großen Sendesaal des RBB (Die Konzertübertragungen gab es zeitgleich auch beim Deutschlandradio Kultur.)

Kein redaktioneller Beitrag im Tagesbegleitprogramm wurde durch ein Musikbeispiel ergänzt,...

Auch im „Tagesbegleitprogramm“ des RBB-Kulturradios gab es mehrere redaktionelle Beiträge über „Ultraschall“ (teilweise mit Wiederholung):
• Der Dirigent und Komponist Matthias Pintscher sowie die Geigerin Carolin Widmann waren jeweils Gast „Im Gespräch“ bei „Kulturradio am Nachmittag“.
• Margarete Zander, die für das RBB-Kulturradio das Festival mitorganisierte, war zur Eröffnung sowie zu Zwischenbilanz und Ausblick Gesprächsgast in der Rubrik „Kultur aktuell“. In dieser Rubrik gab es außerdem eine Reportage vom Eröffnungskonzert.
• Auch im „Hörerstreit“ wurde das Festival unter der Frage „Können Sie mit der Neuen Musik etwas anfangen?“ mit einem Komponisten als Studiogast vorgestellt.

Zusätzlich wurde immer wieder im „Veranstaltungskalender“ auf Konzerte hingewiesen, und sowohl während der Tagessendungen als auch über das Internet wurden Eintrittskarten verlost.

Soweit, so gut - man könnte meinen, dass der RBB seinem Kulturauftrag nachkommen und seinen Hörern zeitgenössische Musik nahebringen wolle. Aber keiner der redaktionellen Beiträge im Tagesbegleitprogramm wurde durch Musikbeispiele ergänzt. Mehrere Aussagen beim „Hörerstreit“ und von Margarete Zander verdeutlichten, dass es sich nicht nur um elektronische Musik handele und anstelle der Zwölftontechnik häufig wieder tonal komponiert werde.

... obwohl inhaltliche Hinweise auf entsprechende Musik den Appetit anregten

Solche Hinweise machten Lust auf entsprechende Musik, aber der Appetit wurde nicht gestillt. Eine wunderbare Gelegenheit, tatsächlich für Neue Musik zu werben, wurde vertan. Der Hörer darf nur ein „Nebenbei-Hörer“ sein.

Die einzigen (winzigen) Musikbeispiele aus früheren Produktionen, die es überhaupt gab, erhielten Matthias Pintscher (mit 2:44 Minuten eigener Komposition) und Carolin Widman (mit 1:42 Minuten von Karlheinz Stockhausen) bei den Gesprächen.

Kulturradio am Nachmittag, Mi. 16.01.2008, Einzeltitel der Musikliste 15:05 - 18:00 Uhr
 KAIROS Production
 LC 10488
 Best.Nr 0012052 
 Matthias Pintscher
 No.3 der 'Fünf Orchesterstücke'
 (1997/Ausschnitt)
 Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin 
 Leitung: Matthias Pintscher
 02:44 
Kulturradio am Nachmittag, Fr. 25.01.2008, Einzeltitel der Musikliste 15:00 - 18:00 Uhr
 ANTES
 LC 07985
 Best.Nr 31.9210 
 Karlheinz Stockhausen
 12 Melodien der Steinzeichen
 2. Wassermann
 Schlagwerk Nordwest 
 Leitung: Axel Fries
 01:42 

Quelle: http://www.kulturradio.de/programm/titel.jsp, solange verfübar, hier: http://www.kulturradio.de/programm/titel.jsp?key=playlist_20080116_1505 und http://www.kulturradio.de/programm/titel.jsp?key=playlist_20080125_1500

Nun sind die RBB-Regeln zur Musikauswahl generell unbegreiflich. Beitragsbezogene Stücke werden prinzipiell nicht gesendet, als wolle man unbedingt vermeiden, ein tieferes Interesse zu wecken. Ist das etwa keine Verletzung des Kulturauftrags? Im Fall der Neuen Musik ist diese Vernachlässigung erst recht sträflich, da sie es beim Hörer ohnehin schwer hat. Das RBB-Repertoire reicht sowieso nur bis ins beginnende 20. Jahrhundert (auch wenn das als „Moderne“ bezeichnet wird); die Dur-Moll-Tonalität darf ebenfalls nicht verlassen werden.

Gelegentlich erlaubt sich der RBB selbst Abweichungen von diesen allgemeinen Regeln. Sogar Neue Musik darf gespielt werden, wenn es inhaltlich begründet und in einem thematischen Zusammenhang (z.B. Studiogast) steht. Aber wenn der Hörer – wie beim „Hörerstreit“ - Geschmack bekommt, wird er enttäuscht. Er darf keinesfalls die passende Musik hören; das könnte ja „bewusstes Hören“ fördern.

Allgemeine Ergänzung: In diesen zwei Wochen gab es eine ganze Reihe von Musikschnipseln, die nach 1950 entstanden sind. Aber solche Musik hat wohl nichts mit Neuer Musik zu tun, sondern passt zum RBB-„Mainstream“. Beispiele sind Alfred Schnittke (1979), Aram Chatschaturjan (1956), Jacques Ibert (Hommage à Mozart 1955) oder Nino Rota (Filmmusik von 1963 oder Klavierkonzert von 1973/1998).

Persönliche Ergänzung: Mein Musikgeschmack umfasst etwa die Jahre 1820 bis 1950. Andere Musik höre ich trotzdem „interessehalber“ sehr gern, wie die Uraufführungen bei den Young Euro Classics. Genauso erwarte ich selbstverständlich, dass der RBB über zeitgenössische Musik nicht nur redet, sondern sie für seine Hörer auch spielt.

abgeschlossen am 12. Februar 2008