Das GANZE Werk/Dokumentation: Zur Diskussion gestellt

Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage

Winfried Lintzen in: www.goethesfaust.com, Samstag, 8. Dezember 2012

Teil 1: Offener Brief an ARD und ZDF · Teil 2: Aufruf zur Gründung eines Bürgerrates" · Teil 3: Nachsatz

nichts unversucht lassen...

Teil 1: Offener Brief an die Intendanz von ARD und ZDF

„Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage“, oder:
Erfordert der Rundfunkbeitrag einen Beitrag zum Rundfunk?

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Teil 1: Offener Brief
an ARD und ZDF
Teil 2: Aufruf
zum Bürgerrat
Teil 3:
Nachsatz

Sehr geehrte Frau Piel, sehr geehrter Herr Dr. Bellut,

trotz rundfunkfreien Haushalts begrüße ich den Rundfunkbeitrag, weil er unterstreicht, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk (im Folgenden „Örr“ genannt) wegen seiner Rolle für Kultur und Demokratie ein Anliegen aller Bürger sein muss. – Gestatten Sie mir deshalb einige von vielen Fragen:

1 Implikationen eines nutzungsunabhängigen Beitrags

Normalerweise werden Ausgaben für das Gemeinwesen nicht auf alle Schultern gleich verteilt, sondern die Besserverdienenden, die von den Vorteilen unserer Gesellschaft mehr profitieren, sollen dafür auch mehr bezahlen (1). Beim Rundfunkbeitrag soll das anders sein: Weil alle prinzipiell die Möglichkeit haben den gleichen individuellen Nutzen aus dem Angebot zu ziehen, sollen auch alle das Gleiche bezahlen (1). Diese Logik führt zu Härtefällen: Ein Rentner, der eine Rente 20 € über dem Existenzminimum bezieht und bisher nur Radio hörte, muss bald 12 € mehr bezahlen, und deshalb vielleicht sein Zeitungsabo kündigen, damit wohlsituierte Fernsehkonsumenten keine Gebühr mehr für ihre Autoradios zu entrichten brauchen.

(1) Weshalb finden Sie es angemessen, solche Härtefälle in Kauf zu nehmen?

Der Rentner zahlt für ein Angebot, das er nicht ablehnen kann. So etwas kennen wir eigentlich nur von der Mafia: Für kleine Einkommen ist die Abgabe so hoch, dass sich die Frage stellt, ob hier nicht die grundgesetzlich garantierten Eigentums- und Freiheitsrechte das Argument „gleiches Angebot – gleicher Beitrag“ überwiegen.

(2) Was hat Sie davon abgehalten, nach einer gerechteren und rechtlich weniger fragwürdigen Lösung zu suchen? (Z.B. der Möglichkeit eines Teilerlasses bei niedrigen Einkommen.)

Die bisherige Rundfunkgebühr sollte nicht höher sein, als sich jeder leisten konnte. In diesem Rahmen durfte der Örr über den Grundversorgungsauftrag hinausgehen, denn jeder, der damit nicht einverstanden war, konnte ihn ja abbestellen (3). Kann man ihn nicht mehr abbestellen, hat das Konsequenzen: Speck, den sich der Örr mit Gebührengeldern angefressen hat, darf nicht mit Beiträgen, die nur für Muskeln erhoben werden dürfen, weiter ernährt werden. Das wär Mogelei.

(3) Der Örr betreibt rund 100 Sender. Ist das alles Grundversorgung? Wenn ja, wieso, welche Kriterien haben Sie für „Grundversorgung“, und wer hat diese Kriterien festgesetzt?

(4) Falls der Örr mehr als Grundversorgung leistet: Welcher Rückbau des Örr ist geplant? In welchem Zeitraum? Und aus welchen Gründen finden Sie es dann in Ordnung, den Beitrag jetzt schon zu erheben, bevor der Örr auf die Grundversorgung zurück gestutzt ist?

2 Fragen an die Autonomie des Örr

Der Örr soll autonom sein, frei von Beeinflussung durch den Staat oder mächtige Gruppen. – Doch in den Aufsichtsgremien spielen die politischen Parteien eine wichtige Rolle. Der ZDF-Verwaltungsrat besteht aus 14 Mitgliedern, davon sind 12 Parteimitglieder, darunter mehrere amtierende und ehemalige Ministerpräsidenten und Minister (4).

(5) Sie haben dennoch immer behauptet, dem Gebot der Staats- und Gruppenferne zu entsprechen. Was ist an einem solchen Gremium für Sie staats- und gruppenfern? Meine Recherchen über den Einfluss der Parteien auf die Rundfunkfreiheit haben u.a. Folgendes ergeben: Die Gremien legten fest, dass der Diskussionsleiter bei öffentlichen Diskussionen mit Politikern neutral sein sollte. Die Folge: Politiker durften nicht hinterfragt werden, sie durften nicht einmal darum gebeten werden, Klartext zu reden, wenn sie sich mal wieder nicht festlegen oder etwas im Unklaren lassen wollten (5). Ferner konnten die Politiker dem Sender diktieren, wer zu Diskussionen eingeladen wurde und wer die Diskussion leitete. Einmal schlossen sie sogar die „Grünen“ von der „Bonner Runde“ aus (5).

Nicht zuletzt wurde von einem Chefredakteur bestätigt, was schon alle immer vermutet haben: dass es für jemanden ohne Protektion durch eine Partei kaum möglich ist, beim Örr Karriere zu machen oder maßgebliche Mitgestaltungsmöglichkeiten zu bekommen (6).

(6) Sie ziehen Ihre Legitimation daraus, dass der Örr nicht wie der Nationalsozialistische Propagandafunk ist (2). Aber wie wollen Sie bei so starkem Parteieneinfluss verhindern, so zu werden? Man müsste nur mal durchspielen, was 1930 mit dem Örr passiert wäre, als die NSDAP überraschend zweitstärkste Partei wurde... Wie wären Sie einer solchen Situation gewachsen?

3 Qualitätsfragen

Ich lese: Um die Quote zu steigern werden die Beiträge populistischer: Statt die Verantwortung von Strukturen herauszustellen werden Missstände und Probleme personalisiert. Bildhaft gesprochen: Sie stellen lieber den Steuermann an den Pranger, der das Schiff auf Sand gesetzt hat, als zu fragen, wie schwer es ist, so ein Riesenteil bei schwerer See zu steuern. – Selbst vor den Nachrichten macht die Quote nicht Halt: Sie bringen vermehrt Unglücksmeldungen statt politische Information (7).

In einem FAZ-Artikel lese ich, ein ARD-Papier fordere, „dass alle Filme, die in der ARD gezeigt werden, sofort verstanden werden müssen, dass sie eine bestimmte Länge nicht überschreiten dürfen und dass Motive sich in bestimmten Abständen wiederholen müssen.“ Und ein maßgeblicher Redakteur fordere: Auch wer erst in der 23. Minute in ein Fernsehspiel zappe, müsse sofort verstehen, worum es geht (8).

(7) Wie vereinbaren Sie solche Produktions-„Philosophien“ mit Ihrer Selbstdarstellung als qualitativ hochwertig (2)?

(8) Massenuntaugliche Qualität in den Sparten zählt nicht (7). Was hat Ihnen den Ehrgeiz verschlagen, aus dem Örr systematisch einen legendären Hort der Kunstfertigkeit zu machen, Popularität mit Intelligenz und Geist zu verbinden, und mehr identifizierbare Attraktoren zu etablieren, statt so stark auf die Imitation der Privaten zu setzen?

(9) Was halten Sie davon, Ihre Sendungen nicht mehr über die Quote zu legitimieren sondern über die Mittel und Kompetenzen, die eingesetzt wurden, Massenattraktivität mit Qualität zu verbinden? Beitragszahlern, die das Gefühl haben, das Programm würde den Interessen und Kompetenzen eines großen Teils der Bürger nicht gerecht, könnten Sie dann belegen, was Sie getan haben, um an diese Interessen und Kompetenzen anzuknüpfen und was Sie beabsichtigen, um das noch besser hinzukriegen.

(10) Gibt es ein Gremium, vor dem Sie rechenschaftspflichtig sind, was Sie zur Quotensteigerung bereits versucht haben bevor Sie Formate der Privaten imitieren und denen für teures Geld die Clowns abkaufen? Wenn nein: warum nicht?

(11) Ich habe zwei Fälle gefunden mit offenbar geschönten Statistiken: Bei einer Stichprobe kam mehr als doppelt soviel Unterhaltungsanteil heraus, wie angegeben. Die daily-soaps waren offenbar unter der Kategorie „Familie“ versteckt worden (10). Und von 600 Minuten Informationssendungen konnte man nur 180 gelten lassen, das waren nur 20 Minuten mehr als bei den Privaten. Die nächtlichen Wiederholungen waren mitgezählt worden (9).

Das wirkt unredlich. Was sagen Sie dazu?

4 Fragen zu Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit

Bei Königskrönungen und Sportereignissen gab es oft Doppelberichterstattungen in ZDF und ARD.

(12) Wie konnte es dazu kommen, wenn Ihnen Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit wirklich Gebot sind und wenn die Gremien das kontrollieren?

Das Bild, dass sich mir aufgrund meiner Recherchen bietet, ist ernüchternd: Der Rundfunk soll frei sein, scheint aber abhängig von Parteien und Politikern. Er behauptet, sparsam zu wirtschaften, aber Könige und Sportler sieht man doppelt, Clowns werden mit idiotischen Honoraren abgeworben und überhaupt lieber teure Fertiggerichte wie Fußball eingekauft, statt mit dem Geld das Niveau der eigenen Küche zu heben. Er behauptet, ein Hort der Qualität zu sein, aber in seinen Fernsehspielen soll auch ein Zapper nichts versäumen können, in seinen Nachrichten vermehren sich die Unglücksmeldungen, er verhunzt Kunstwerke und kürzt kritische Sendungen oder schafft Sie gleich ganz ab (11) (12). Und all diese Missstände haben die Aufsichtsgremien nicht verhindern können. – Sie werden sicherlich nachvollziehen, dass der Örr und seine Aufsichtsgremien ihre Glaubwürdigkeit für die Bürger verlieren, wenn wir ständig so etwas über Ihre Anstalten lesen, und dass erhebliche Zweifel entstehen, dass Sie Ihrem Verfassungsauftrag gerecht werden. Doch möglicherweise habe ich nicht ausgewogen genug recherchiert. Deshalb würde ich mich über eine Rückmeldung von Ihnen für mich und meine Leser freuen.

In jedem Fall bleibt festzustellen: Wir Bürger haben Sie mit den schwierigen Aufgaben, die sich einem Örr stellen, allein gelassen, statt eine Bürgerlobby zu bilden, die nachfragt und Ihnen Rückmeldung darüber gibt, wie sich die Bürger ihren Örr wünschen, was für sie geht und was nicht. Ich werde deshalb im Anschluss dieses Briefes die Bildung eines Bürger-Rundfunkrates anregen.

Mit freundlichen Grüßen

gez.

PS.: Dieser Brief geht zur Kenntnisnahme an die Presse, an Berufsverbände und bereits bestehende Initiativen sowie an Ihre Pressestellen.

Nachweise

(1) Paul Kirchhof, Gutachten über die Finanzierung des ÖRR, S.25f f sowie 44ff und 59f
(2) ÖRR-Selbstdarstellung
(3) Andreas Böhm, Programmgrundsätze des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks. www.boehmanwaltskanzlei.de
(4) Tagesspiegel , 9.11.12, S.27
(5) Christian Krebs, Medienrecht, Staatsferne, e-book, GRIN-Verlag GmbH 2000
(6) Spiegel online, 22.02.2010. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-69174747.html
(7) Jens Jensen, „Vom Volk bezahlte Verblödung, ZEIT 29.07.2010
(8) Peter Körte et al., Verblödung mit System, in: Faz 6.09.2009 / www.faz.net/s/Rub510A2EDA82CA4...
(9) Guido Schröder: Öffentlich-rechtliche Anbieter im Dilemma zwischen Massengeschmack und Gemeinwohl, in: Dirk Wentzel (Hg.), Medienökonomik, Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft · Band 89 · Stuttgart · 2009
(10) Christoph Keese: http://www.presseschauder.de/die-trugerischen-programmstatistiken-des-kef-berichts/
(11) Das ganze Werk http://www.dasganzewerk.de/
(12) Die Radioretter http://www.die-radioretter.de