Das GANZE Werk/Dokumentation: Zur Diskussion gestellt

Winfried Lintzen in: www.goethesfaust.com, Samstag, 8. Dezember 2012

Teil 1: Offener Brief an ARD und ZDF · Teil 2: Aufruf zur Gründung eines Bürgerrates" · Teil 3: Nachsatz

Teil 3: Nachsatz

Was hat eine Kritik am Rundfunk auf einer „Faust“-Seite zu suchen?

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Teil 1: Offener Brief
an ARD und ZDF
Teil 2: Aufruf
zum Bürgerrat
Teil 3:
Nachsatz

Fausts Streben kulminiert in den Vorbereitungen zur Gründung eines freien Volks auf freiem Grund. In der Wirklichkeit aber hat sich die Kirche schon die Steuererträge gesichert und der Teufel sein Grab geschaufelt. Doch das kriegt er nicht mit: Die Sorge, ob das alles richtig ist, was er tut, hat er abgewiesen mit der Kraft seiner Vision: sein unbändiger Wunsch, was ganz Tolles zu leisten, hat ihn blind gemacht für die Realität.

„Faust“ ist ein Lehrstück darüber, wie menschliche Vermessenheit entsteht, wenn Menschen zuwenig in Kontakt miteinander sind um sich gegenseitig korrigieren zu können. - Bei Faust ist das ein persönliches Problem: Er braucht es für sein Ego, anderer nicht zu bedürfen, auch nicht zur Realitätsprüfung. Dahinter steht nicht nur die Angst, daß eine gute Idee verwässert wird, wenn man auf andere hört. Sondern vor allem: Wenn man nicht alles alleine macht, kann keiner erkennen, wie großartig man tatsächlich war. In einem gemeinsamen Werk kann man über Einzelleistungen nur spekulieren, nicht nur, weil nicht identifizierbar ist, wer was gemacht hat, sondern auch, weil Synergie entsteht. Faust möchte, daß die „Spur seiner Erdentage“ in Äonen nicht untergeht. Auch in 1000 Jahren sollen alle noch sagen: „bohr, guck mal, das hat der alte Faust gemacht, ganz alleine!“

Inwiefern die Akteure des Örr in diesem Sinne „faustisch“ sind, können sie nur selber entscheiden. Kein Mensch kann sich von solchen Tendenzen freisprechen. (Wenn ich meine Texte hier lese, habe ich manchmal den Eindruck, selber die Grenzen zur Vermessenheit zu überschreiten. Aber wenn mir keiner hilft und ich hier alles alleine machen muß, darf man darüber nicht meckern...)

Spekulieren könnte man über „faustische“ Tendenzen bei Politikern, die einen Rundfunk, der von ihnen freigehalten werden soll, vereinnahmen, weil sie glauben, sie dürfen das, weil: sie sind doch die Guten. Und bei Rundfunkfunktionären, die das mitmachen, weil sie glauben, sie sind auch die Guten – wie bei allen Menschen, die was Gutes wollen und deshalb glauben sich nicht reinreden lassen zu dürfen. Auf Neudeutsch heißt das: Beratungsresistenz. Aber das Problem ist natürlich verflixter: Wodurch zeichnet sich denn ein Rat aus, der beherzigenswert ist? Letzlich hat ein Verantwortlicher auch dafür die Verantwortung, zu entscheiden, welchen Rat er beherzigt und welchen nicht – und diese Verantwortung kann er sich nicht abnehmen lassen von Beteuerungen, wie gut der Rat sei...

All das ist menschlich-allzumenschlich. Deshalb hat jedes System schon verloren, das Übermenschen erfordert, Helden der Arbeit genauso wie Helden der Demut, der Selbstkritik und der Kooperation. Die Güte eines Systems liegt darin, keine Helden nötig zu haben. (B.Brecht: „Traurig ein Land, das Helden nötig hat.“)

Doch die Erforderlichkeit von Helden hat beim Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunk System: Er soll ja gerade selber ein Korrektiv sein und als solches unabhängig und autonom. Deshalb darf ihm keiner reinreden:

„Freie Meinungsbildung wird daher nur in dem Maße gelingen, wie der Rundfunk seinerseits frei, umfassend und wahrheitsgemäß informiert. ... Rundfunkfreiheit ist daher vor allem Programmfreiheit…. Sie gewährleistet, dass Auswahl, Inhalt und Gestaltung des Programms Sache des Rundfunks bleiben und sich an publizistischen Kriterien ausrichten können. Es ist der Rundfunk selbst, der aufgrund seiner professionellen Maßstäbe bestimmen darf, was der gesetzliche Rundfunkauftrag in publizistischer Hinsicht verlangt.“ (BVerfGE 90, 60 - 8. Rundfunkentscheidung, 144f)

Wir stehen hier vor klassischen Dilemmata: Der Bösartigkeit, die ein Guter Wille annehmen kann, wenn er glaubt, seine Gewissenentscheidung sei das letzte Maß aller Dinge. Und der Frage: Wer kontrolliert die Kontrolleure?

Spannend und beruhigend ist es für mich zu sehen, daß wir eine Gesellschaftsform haben, die in der Lage ist, solche dillematischen Strukturen in Gegenstandsbereichen zu erkennen und zu bearbeiten und es sich damit – so zumindest mein laienhafter Eindruck – nicht leicht macht:

„Weder kann genau bestimmt werden, welchen Programmumfang die Erfüllung der Funktion des Öffentlichrechtlichen Rundfunks erfordert, noch ist exakt festzustellen, welche Mittel zur Finanzierung der erforderlichen Programme wiederum erforderlich sind. ... (BVerfGE 90, 60 - 8. Rundfunkentscheidung 165)

Wesentlich genauere Kriterien lassen sich nicht entwickeln, denn das Dilemma ist strukturell bedingt. Eine externe Definition der zur Funktionserfüllung erforderlichen Mittel scheidet aus, da die Funktionserfüllung gerade in den internen Freiheitsraum der Rundfunkanstalten fällt. Es besteht zwar die Möglichkeit, die Funktion abstrakt festzulegen und damit auch den Finanzbedarf zu umgrenzen. Exakte Maßstäbe für die Berechnung der erforderlichen Mittel würden jedoch überdies eine Festlegung der Art und Weise der Funktionserfüllung voraussetzen. Die Funktionserfüllung wäre dann nicht mehr Gebrauch einer Freiheit, sondern Vollzug eines vorgegebenen Programms, und stände damit in Widerspruch zu der Freiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.“ (BVerfGE 90, 60 - 8. Rundfunkentscheidung 166)

Die bisherigen Vorschriften seien nicht geeignet, „das aus dem engen Zusammenhang von Programmfreiheit der Rundfunkanstalten und finanzieller Gewährleistungspflicht des Staates herrührende Dilemma... aufzulösen, dass es an hinreichend bestimmbaren inhaltlichen Kriterien für die Gebührenentscheidung fehlt. (BVerfGE 90, 60 - 8. Rundfunkentscheidung 177) ...“

Kritik am System des Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunks muß sich auf einem solchen Niveau bewegen. Das macht es so schwer für Bürger, die keine Fachleute sind, zu beurteilen, was eigentlich los ist und wie das angemessen bewertet werden kann. - Dennoch wirft gerade dieser Gegensatz zwischen dem Aufwand der Bemühung um das System des Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunks und das täglich zu besichtende Ergebnis die Frage auf, ob schon alles getan ist...