Das GANZE Werk - Presseschau

Verdi, NDR-Betriebsgruppe, 22. Januar 2006

Jürgen Bertram liest dem Rundfunk die Leviten - NDR-Fernsehdirektor Volker Herres bezieht Stellung

„Gegensätze von leicht und schwer, Quote und Qualität sind gestrig“

Jürgen Bertrams Fernsehkritik stößt bei öffentlicher Lesung eine rege Diskussion an. NDR-Fernsehdirektor Volker Herres reagiert darauf mit einem Interview im Hamburger Abendblatt.

Hamburg - Mehr als 160 Zuhörer bei einer Buchlesung in der Hamburger Kunsthalle - das schaffen eigentlich nur die großen Namen des Literaturbetriebs. Oder man heißt Jürgen Bertram, ist TV-Journalist und hat ein Buch über Schleichwerbung, Boulevardisierung und Korruption im gebührenfinanzierten Fernsehen geschrieben. „Mattscheibe - das Ende der Fernsehkultur“ heißt die nüchterne Analyse über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, aus der Bertram vergangenen Donnerstag vorlas. Die lebhafte Diskussion im Anschluss zeigte nur zu deutlich, dass die Marschrichtung des gebührenfinanzierten Fernsehens inzwischen vielen Menschen Sorgen macht. Davon bekamen die Programmverantwortlichen des NDR an diesem Abend vermutlich nicht allzuviel mit, denn aus deren Reihen war niemand bei der Veranstaltung vertreten. Nur Freimut Duve, früherer Bundestagsabgeordneter und ehemaliger NDR-Rundfunkrat, hörte dem zu, was Autor und Besucher zu sagen hatten.

Zwei Tage später meldet sich die NDR-Führung doch zu Wort - im Hamburger Abendblatt. Fernsehdirektor Volker Herres erklärt im Stil eines routinierten PR-Managers: „Gegensätze von leicht und schwer, Quote und Qualität sind gestrig.“ Und wiederholt altbekannte Argumente, Allgemeinplätze, die jeder Chefredakteur eines beliebigen Regionalprogrammes ebenfalls behaupten könnte: Das Programm sei regional, facettenreich, beliebt und erfolgreich. Widerlegt wird die Kritik damit nicht, die im Kern lautet: Boulevardisierung und fehlende gesellschaftskritische Reflexion, Verlust an öffentlich-rechtlichen Qualitätsansprüchen.

Nach 22.15 nicht mehr „nachtverschlafen“

Niemand bestreitet, dass es noch immer NDR-Produktionen und Sendungen mit öffentlich-rechtlichem Anspruch gibt, wie „Der Untergang“ oder „Zapp“. Sie seien aber die Ausnahmen, so die Kritiker, und dienten den Anstalten nur als Alibi, um den öffentlich-rechtlichen Charakter des Programms zu rechtfertigen. (...)

Neu erfahren wir im Interview mit Volker Herres, dass Sendeplätze nach 22.15 Uhr nun nicht mehr als „nachtverschlafen“ gelten. Ob die arbeitende Bevölkerung das auch so sieht? Oder nur die Direktoren? Auf jeden Fall dürfte es jetzt andere Perspektiven für umstrittene Sendeplätze geben. Überrascht haben uns die Anmerkungen von Volker Herres zur Mitarbeiter-Fürsorglichkeit. Sie stehen im Gegensatz zu der Praxis, dass freie Mitarbeiter nach langjähriger Mitarbeit mit dem Argument der Sicherung von Rundfunkfreiheit und Programmabwechslung nicht weiterbeschäftigt werden. Mit allen schweren sozialen Folgen für die Betroffenen. (...)

Aufruf der Initiative „Qualität statt Quote“

Lesen das Interview mit Jürgen Bertram
über sein neues Buch „Mattscheibe - Das Ende der Fernsehkultur“:
„Zuschauer werden entwöhnt“
Innenperspektive: Kritik an den Mechanismen der ARD. Jürgen Bertram fordert von Fernsehschaffenden Seriosität, Verläßlichkeit und Kritikfähigkeit.
Hamburger Abendblatt, 17. Januar 2006