Das GANZE Werk - Presseschau

Hamburger Abendblatt, 10. Januar 2006

Stimmt die Balance zwischen Programm-Akzeptanz und Profil?

Jubiläum: Die Geschichte des Nord(West)Deutschen Rundfunks - die erste Mehr-Länder-Anstalt. 50 Jahre NDR - der Parteienkampf um den Rundfunk scheint befriedet.

Von Peter von Rüden

Hamburg - Das Ende des NWDR, die Aufspaltung in WDR und NDR, forderte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Karl Arnold (CDU) erstmals 1950. Für ihn war die Hamburger Sendezentrale mit der Generaldirektion zu SPD-nah, die norddeutsche und protestantische Mentalität wäre von der eher katholischen und rheinischen zu unterschiedlich, und die Abhängigkeit des größten Landes mit mehr als 50 Prozent der Gebührenzahler sei von einer Rundfunk-Institution mit Hauptsitz in Hamburg auf Dauer nicht akzeptabel.

Als der Landtag in Düsseldorf mit Zustimmung der SPD-Abgeordneten im Mai 1954 das Gesetz über den WDR verabschiedete, hatten die Länder Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein die Wahl, ob sie den verbliebenen Rest als gemeinsame Anstalt NDR weiterführen oder ob eigene Landesrundfunkanstalten gegründet werden sollten. Es waren nicht nur finanzielle Gründe, die letztlich zur Gründung der Drei-Länderanstalt NDR führten, aus niedersächsischer Sicht waren es auch machtpolitische. In den zwischen den Staatskanzleien geführten Gesprächen über einen möglichen Staatsvertrag konnte sich das Land Niedersachsen frühzeitig die Hälfte der Sitze im neuen Rundfunk- und Verwaltungsrat sichern, und ganz ähnlich wie im WDR-Gesetz sollte die Zusammensetzung der Gremien durch die Landtage entsprechend den jeweiligen Mehrheitsverhältnissen bestimmt werden. Zwar konnte sich Niedersachsens Ministerpräsident Wilhelm Hinrich Kopf mit seiner Forderung, den Sitz der gemeinsamen Anstalt nach Hannover zu verlegen, nicht durchsetzen, aber nachdem der Einfluß Niedersachsens zumindest bei der Gremienbesetzung gesichert war, wurde der Staatsvertrag über den NDR unterschrieben und von den Länderparlamenten ratifiziert. Die erste Mehr-Länder-Anstalt auf der Basis eines Staatsvertrags war entstanden.

Die weitere Geschichte des NDR ist reich an Konflikten zwischen den großen Parteien. So scheiterte die Vertragsverlängerung für den Fernseh-Chefredakteur und „Panorama“-Moderator Peter Merseburger (SPD) neunmal im Verwaltungsrat, auch weil die CDU-Mitglieder durch Auszug die Beschlußunfähigkeit des Gremiums herbeiführten. NDR-Intendant Gerhard Schröder verlängerte dann den Vertrag 1974 ohne Zustimmung des Verwaltungsrates und verklagte das Gremium vor dem Bundesverwaltungsgericht , weil es nicht in der Lage sei, seine satzungsgemäßen Aufgaben zu erfüllen. Erst 1977 wurde die Klage zugunsten des Intendanten entschieden.

Die Konflikte eskalierten auch nach der Wahl von Martin Neufer (SPD) zum Intendanten und Dietrich Schwarzkopf (CDU) zu seinem Stellvertreter: Die aus der Sicht der CDU-geführten Landesregierungen in Kiel und Hannover einseitige Berichterstattung im Zusammenhang mit den Protesten zu dem Atomkraftwerk in Brokdorf führte zur Kündigung des Staatsvertrages durch das Land Schleswig-Holstein. Pläne für einen niedersächsisch-schleswig-holsteinischen Sender ohne Beteiligung Hamburgs konnten nur durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Mai 1980 gestoppt werden.

Ein neuer Staatsvertrag der drei norddeutschen Länder trat 1980 in Kraft. Er reduzierte den direkten Parteieneinfluß, stärkte die Autonomie der Landesfunkhäuser und erweiterte die regionale Berichterstattung in Hörfunk und Fernsehen. Aber auch danach blieb der NDR ein Musterbeispiel für die genau austarierte Machtbalance zwischen SPD und CDU. Die Gespräche vor der Wahl eines Intendanten und seines Stellvertreters dürften Koalitionsverhandlungen und Vereinbarungen, wer welche Position besetzen durfte, nicht unähnlich gewesen sein. Eine Wende zu weniger Parteien- und Regierungseinfluß setzte mit Beginn der 90er Jahre ein. Wohl auch, weil mit der Etablierung privater Sender die Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Anstalten aus der Sicht der Parteipolitik relativiert wurde - aber sicher auch, weil der neue und zuvor stellvertretende NDR-Intendant Jobst Plog mit den Gremien eine behutsame Abkehr von den personalpolitischen Besitzständen der Parteien im Sender einleitete. Dies, obwohl Plogs Wahl selbst nicht nur zeitlich auf den Wahlsieg der SPD in Niedersachsen und die Wahl Gerhard Schröders zum Ministerpräsidenten folgte. Immerhin mußte nunmehr nicht automatisch der jeweilige Landesfunkhausdirektor der Partei des amtierenden Ministerpräsidenten angehören. Im Zusammenspiel mit seinem christdemokratischen Stellvertreter Joachim Lampe hatten Vorschläge auch für andere leitende Positionen dann eine Chance, wenn sie nicht unbedingt in das bis dahin vorherrschende Rechts-links-Schema paßten.

Das Modell der Drei-Länder-Anstalt wurde wieder attraktiv, weil durch die Finanzkraft eines großen Senders auch die Möglichkeiten für eine regionale Berichterstattung vorhanden waren. Der Eintritt des Landes Mecklenburg-Vorpommern in den NDR-Verbund brachte eine weitere Stärkung für das Mehr-Länder-Sendemodell.

Die Finanzen des NDR sind heute solide. Nach innen und außen erscheint er befriedet. Das ist keine Garantie für die Zukunft, aber eine gute Basis für die weitere Entwicklung.

Die Zukunft des NDR wird sicher auch von der Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunkmodells abhängen. Der Kampf um Marktanteile für Hörfunk- und Fernsehprogramme ist ein Teil der Zukunftssicherung, weil eine Gesellschaft längerfristig sicher nicht bereit ist, über Rundfunkgebühren Anstalten zu finanzieren, deren Programme nur von einer Minderheit der Bevölkerung genutzt werden. Die einseitige und uneingeschränkte Verfolgung des Ziels der Zuschauer- und Zuhörermaximierung ist gefährlich, weil am Ende die Produkte auch des NDR nicht mehr von denen der privaten Veranstalter zu unterscheiden sein könnten. Warum zahlen, wenn man das gleiche scheinbar kostenlos bekommen kann? Die Balance zwischen Programm-Akzeptanz einerseits und unterscheidbarem Profil und Angebot andererseits ist eine ständige Herausforderung mit jeweils konkreten Fragestellungen. Ist etwa die Balance noch gegeben, wenn im NDR-Fernsehprogramm um 20.15 Uhr nach der „Tagesschau“ ein Kulturangebot fehlt?

Im internationalen wie im nationalen Trend führt die Vermehrung der Fernsehangebote zu immer stärkerer Aufsplitterung der Zuschauer auch auf einzelne Spartenangebote (wie zum Beispiel Phoenix, n-tv, 3sat, Kika, Arte, Spielfilmkanäle u. a.). In der Summe verlieren die sogenannten Haupt- oder Vollprogramme Zuschauer. Der Prozeß ließ und läßt sich nur verzögern durch immer neue Programmveränderungen mit mehr unterhaltsamen Angeboten und weniger Programm für Minderheiten-Interessen. Das Ende dieses Prozesses wäre ein Spartenkanal Unterhaltung mit kurzen regionalen und überregionalen Informationsinseln. Liegt ein Teil der Zukunftssicherung für den öffentlich-rechtlichen NDR nicht eher im verstärkten Engagement für minderheitenorientierte Spartenprogramme? Ähnliche Zukunftsfragen lassen sich auch für die Hörfunkangebote formulieren. Von den Antworten darauf wird es abhängen, wieviel runde Geburtstage der NDR noch feiern kann...

Der Publizist Peter von Rüden (59), hat fünf Jahre die Hamburger Forschungsstelle zur Geschichte des Rundfunks in Norddeutschland geleitet.

Lesen Sie den ersten Teil:
Ein Sender nach BBC-Vorbild
Jubiläum: Die Geschichte des Nord(West)Deutschen Rundfunks. Am Mittwoch feiert der NDR sein 50jähriges Bestehen - die journalistischen Maßstäbe setzten die Briten bereits 1945