Das GANZE Werk - Presseschau

Hamburger Abendblatt, 9. Januar 2006

Ein Sender nach BBC-Vorbild

Jubiläum: Die Geschichte des Nord(West)Deutschen Rundfunks. Am Mittwoch feiert der NDR sein 50jähriges Bestehen - die journalistischen Maßstäbe setzten die Briten bereits 1945.

Von Peter von Rüden

Hamburg - Die Sendungen des NDR begannen in einer Silvesternacht. Auf den Frequenzen des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR) meldeten sich zum Jahresanfang 1956 ab null Uhr NDR und WDR. Für die Hörerinnen und Hörer änderte sich zunächst fast nichts. Was bisher aus den NWDR-Funkhäusern Hamburg und Köln gesendet wurde, kam jetzt von unabhängigen Anstalten, aber aus den gleichen Redaktionen und auf den bisherigen Frequenzen.

Für die Menschen in Norddeutschland war die eigentliche rundfunkhistorische Zäsur der 3. Mai 1945, der Reichssender Hamburg stellte sein Programm ein. Dieses Datum markiert das Ende einer zwölfjährigen Rundfunkperiode, in der die Nationalsozialisten, wenn immer nützlich, Wahrheit durch Lüge ersetzten und Unterhaltung vom Kriegselend ablenken sollte.

Bereits am 4. Mai um 10 Uhr wurde das intakte Funkhaus an der Rothenbaumchaussee von britischen Truppen besetzt. Um 19 Uhr des gleichen Tages meldete sich mit einer zweisprachigen Ansage "Radio Hamburg, ein Sender der alliierten Militärregierung". Den deutschen Hörerinnen und Hörern sollten nun die Werte und Normen einer demokratischen Gesellschaft vermittelt werden. Dieses Ziel war nach Ansicht der britischen Kontrolloffiziere glaubwürdiger, wenn Deutsche das Programm für Deutsche herstellten. Aber die Suche nach politisch unbelasteten deutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erwies sich als großes Problem. Viele junge journalistisch Unerfahrene erhielten deshalb eine Chance.

Einige von ihnen haben Rundfunkgeschichte geschrieben: Julia Dingwort-Nusseck, die spätere ARD-Fachfrau für Wirtschaftsfragen und WDR-Chefredakteurin, der Reporter Jürgen Roland, ohne den die Entwicklung des Fernsehkrimis nicht denkbar wäre, Claus Hinrich Cassdorf, der spätere "Monitor"-Moderator, und Gerd Ruge, der spätere WDR-Chefredakteur und unvergessen u. a. wegen seiner Moskau-Berichterstattung. Aber auch Chris Howland, ein britischer Besatzungssoldat vom Soldatensender BFN, konnte die erste Schlagersendung mit englischsprachigen Titeln präsentieren. Ebenso erhielten Journalisten mit Erfahrung in der NS-Zeit, die die Kontrollverfahren überstanden und deren politische Einstellung als unbedenklich eingestuft wurde, eine zweite Chance. Am bekanntesten sicher Peter von Zahn, der erste Auslandskorrespondent des jungen Nachkriegsfernsehens in den USA.

Die britischen Kontrolloffiziere vermittelten die journalistischen Maßstäbe und Werte nach dem Vorbild der öffentlich-rechtlichen, von Staat und Parteien unabhängigen BBC: Trennung von Nachricht und Kommentar, gründliche Recherche und Fairness, aber auch die Skepsis gegenüber offiziellen Verlautbarungen, Pressemeldungen, Darstellungen von Regierungen, Parteien und Verbänden. Der Sender sollte unabhängig sein von politischen Parteien und Regierungen und nicht zum Sprachrohr kommerzieller Interessen werden.

Überlegungen, aus dem Sender der Militärregierung eine Anstalt in deutscher Verantwortung zu machen, setzten schon 1946 ein. Um diesen Prozeß zu gestalten, wurde ein erfahrener Rundfunkfachmann mit exzellenten Deutschlandkenntnissen gesucht und in Hugh C. Greene bei der BBC in London gefunden. Greene hatte ab 1929 in Marburg studiert, war nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten Korrespondent britischer Zeitungen in Deutschland, wurde 1939 ausgewiesen und hatte im Verlauf des Krieges den deutschen Dienst der BBC übernommen. Greenes Propagandakonzept gegen das nationalsozialistische Deutschland war einfach, aber wie Zeitzeugen übereinstimmend berichten, erfolgreich - die Wahrheit. So berichtete die BBC detailliert über militärische Niederlagen auch der Alliierten, zeichnete ganz im Gegensatz zu den deutschen Rundfunkprogrammen ein realistisches Bild der Kriegsereignisse und der Situation der Menschen in Deutschland.

Greenes Ziel, einen partei- und regierungsunabhängigen, aber nicht unpolitischen Sender zu schaffen, war in der deutschen Rundfunkgeschichte ohne Vorbild. Seine Vorstellungen waren nur gegen erhebliche Widerstände bei den neu oder wieder gegründeten politischen Parteien und den sich bildenden Landesregierungen in der britischen Besatzungszone durchzusetzen. Sie wollten ihre Interessen in den Gremien der neuen Anstalt vertreten sehen.

Bereits im ersten Hauptausschuß des NWDR waren die Hälfte der Mitglieder Regierungs- und damit Parteienvertreter, und als dieser den ersten Verwaltungsrat als Kontrollorgan wählte, gehörten vier der sieben Mitglieder der SPD und drei der CDU an. Die Polarisierung zwischen den beiden großen politischen Parteien SPD und CDU, die auch auf die weitere Geschichte von NWDR und NDR entscheidenden Einfluß hatte, war bereits zu diesem Zeitpunkt im Verwaltungsrat etabliert.

Besonders polemisch bekämpfte das sozialdemokratische "Hamburger Echo" die Vorstellung für einen parteien- und regierungsunabhängigen Rundfunk. Für das Redaktionsmitglied mit der Abkürzung "hw", vermutlich der damalige Echo-Redakteur Herbert Wehner, und das Mitglied des SPD-Parteivorstandes Fritz Heine war die kritische Berichterstattung Anlaß, eine strengere Kontrolle und mehr Parteieneinfluß zu fordern. Der damalige junge Reporter Claus Hinrich Cassdorf berichtet, daß die NWDR-Journalisten wegen ihrer teilweise hartnäckigen Recherche und kritischen Nachfragen im Hamburger Rathaus nicht eben besonders beliebt waren. Als der Polizeipräsident auf einer Pressekonferenz die Anschaffung der ersten Streifenwagen bekanntgab und mitteilte, daß nun gestohlene Kraftfahrzeuge in kürzester Frist sichergestellt werden könnten, fuhr Jürgen Roland den NWDR-Reportagewagen vor das Polizeipräsidium, stellte ihn im Halteverbot ab und meldete das Fahrzeug als gestohlen. Als nach einigen Stunden das als gestohlen gemeldete Fahrzeug immer noch nicht sichergestellt war, konfrontierte Roland den Polizeipräsidenten im Interview mit seinen Äußerungen. Der deutliche Unterschied zwischen Darstellung in der Pressekonferenz und der Wirklichkeit wurde noch am gleichen Tage gesendet. Ein Beispiel dafür, welche journalistische Arbeitsweise den jungen NWDR-Mitarbeitern von den Kontrolloffizieren vermittelt worden war. Die Journalisten verstanden Rundfunk als Dienstleistung für die Hörer. So meldete der NWDR-Wirtschaftsfunk die Routen der Kohlezüge in der britischen Zone mit der Folge, daß sie oft weitgehend leer ihr Ziel erreichten. Kritik an Entscheidungen der britischen Militärverwaltung, an der zum Teil desolaten Versorgungslage in der Zone wurde nicht nur im Programm toleriert, sondern gewünscht. Entsprechende Kommentare von Peter von Zahn oder Julia Dingwort-Nusseck waren gleichsam Bestandteil eines Programms zur Einübung in einen kritischen Journalismus.

Der Publizist Peter von Rüden (59), hat fünf Jahre die Hamburger Forschungsstelle zur Geschichte des Rundfunks in Norddeutschland geleitet.

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