Das GANZE Werk - Presseschau

7. Oktober 2005, kurz bevor der alte Bundestag aufgelöst ist:
Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des 15. Deutschen Bundestages

Die Anhörung bestätigt unsere Forderung: Tagsüber
mindestens 4 Stunden lang Musiksendungen mit ganzen Werken!

Ausschnitte aus dem Protokoll der Anhörung am 18. April 2005
zu den Schwerpunkten Qualität und Quote

Oft wurde die Musik-Zerstückelung auf NDR Kultur angesprochen
Interessante Beiträge u.a. von Wolfgang Knauer

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Pdf - 60 Seiten, 346 kb

Quelle: www.stadtentwicklung.berlin

Die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages untersuchte in einer öffentlichen Anhörung die „Rolle der öffentlich-rechtlichen Medien für die Kultur“. Den Fragen der Kommission stellten sich hochrangige Vertreter von u.a. ARD, ZDF und DeutschlandRadio.

Zur Diskussion stehen der Kultur- und Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seine Umsetzung. Gerade die Schließung von Klangkörpern hat aktuell eine breite öffentliche Debatte entfacht – angefangen von der Rechtfertigung von Rundfunkgebühren bis hin zur Maßgeblichkeit von Einschaltquoten für die Programmgestaltung. Hinzu tritt die Aufforderung der EU-Kommission an die Bundesregierung, die Aufgaben von ARD und ZDF zu präzisieren, um den gebührenfinanzierten Rundfunk mit dem europäischen Gemeinsamen Markt zu vereinbaren.

Die öffentliche Anhörung fand statt am Montag, dem 18. April 2005 im Paul-Löbe-Haus, Berlin.

Ernst Elitz (Experte/Intendant DeutschlandRadio): (...) Dass man sich mit Kulturprogrammen im Radio und im Fernsehen nur an eine bestimmte Zielgruppe wendet und damit eben nicht zwanzig Millionen Hörer auf einmal hat, ist auch kein Nachteil. Denn diese Programme, sei es Arte, das DeutschlandRadio, 3sat oder die Kulturprogramme der Landesrundfunkanstalten, wenden sich an eine besonders aufgeschlossene Zielgruppe, die eine Bedeutung als Multiplikator innerhalb der Gesellschaft hat. Und die das, was sie dort hört, weitergeben kann. Insoweit sollte man angesichts von Einschaltquoten, von einem Zuschauerverhalten, das nicht an RTL heranreicht, nicht den Kulturpessimisten herauskehren, sondern, wenn ich Lehrer, wenn ich einflussreiche Personen, wenn ich Familienväter, wenn ich ein bürgerliches Publikum erreiche, dann kann ich dadurch den Eindruck und die Förderung von Kultur über das Radio und über das Fernsehen in die Gesellschaft hinein multiplizieren. (S. 13/14)

Thomas Frickel (Experte/Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm): (...) Man hört ja, wenn man solche Thesen aufstellt, wie ich es jetzt getan habe, immer einheitlich die Warnung, wir dürften ja nicht in die Programmautonomie, in die Programmhoheit der Sender eingreifen. Ich weiß nicht, ob man das wirklich für alles gelten lassen sollte. Denn schließlich gibt es ja diesen staatsvertraglich kodifizierten Kultur- und Bildungsauftrag und diejenigen, die das Ganze bezahlen, nämlich die Bürger in diesem Land, vertreten durch ihre Parlamente, haben natürlich eine Möglichkeit, da Vorgaben zu machen, was man gerne in einem gebührenfinanzierten Fernsehen sehen wollte. Nicht in dem Sinne, das man Einfluss nimmt auf den Inhalt einer einzelnen Sendung. Das wäre in der Tat fatal und das ist damit natürlich auch nicht gemeint. Aber man könnte durchaus ein bisschen genauer beschreiben, was denn zu diesem Kulturauftrag gehört. Dass das bis jetzt noch nicht geschehen ist, hat auch dazu geführt, dass die ARD und das ZDF das bisher immer selbst definieren mussten. Dabei ist das herausgekommen, was wir heute beklagen. Das ist ja nun keine Schimäre, wir hören hier, dass das alles wunderbar ist, aber wenn man sich die Feuilletons anschaut, dann geht das ja rauf und runter, mit Überschriften wie „Die Quotenidioten“ oder „Kopfsprung ins Seichte“ oder „dumbing down“ [= gesellschaftliche Verblödung], wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen sich sein Grab schaufelt. Da gibt es ja nur zwei Möglichkeiten: Entweder es handelt sich um eine große Verschwörung gegen das öffentlich-rechtliche System, oder es ist tatsächlich etwas dran. (S. 23/24)

Dr. Thomas Bellut (Experte/Programmdirektor ZDF): Ich fange mit der Äußerung von Herrn Frickel an, ganz kurz zur Einleitung: Er forderte, warum definieren die Parlamente nicht endlich, was Kultur ist. Davor kann ich nur dringend warnen. Dringend! Ist ein Harry-Potter-Buch weniger Kultur als ein Buch von Grass? Da haben Sie eine endlose Diskussion. Ich möchte diese Definitionsarie nicht erleben. Wichtig ist, dass wir überhaupt etwas auf dem Bildschirm haben, was in die Nähe dieses Begriffs kommt. Vielleicht können wir uns darauf einigen. (...) (S. 25)

Dr. Nike Wagner (Sachverständige): (...) Ihnen, Herr Frickel, bin ich sehr dankbar für Ihre Ausführungen. Zum Thema Quote möchte ich nur sagen, warum schaffen wir sie in den öffentlich-rechtlichen Anstalten denn nicht ab? „Die Quote dient zur Qualitätssicherung.“ Sie dient doch nicht in erster Linie zur Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Doch über die Quote wird immer viel geredet, deswegen lassen Sie mich noch eins loswerden, was ich sehr auf dem Herzen habe: Ich halte ja prinzipiell das Radio für das kulturträchtigere Medium, weil es eben nicht auf Bilder angewiesen ist, also für das, sagen wir mal, intelligentere Medium. Und ich bin besonders unglücklich, was den Hörfunk anbetrifft, dass wir doch in den letzten 10 Jahren oder vielleicht schon länger beobachten konnten, dass er sich immer mehr zu einem Begleitmedium entwickelt hat. Zu einem Nebenbeigedudel, was es ja gar nicht braucht. Denn Nebenbeigedudel macht sich die Jugend ja selber durch ihre MP3-Player. Grundsätzlich ist die Beschränkung auf die Rolle als Begleitmedium sehr schade. Da wird ein Kulturauftrag wirklich verraten. Damit im Zusammenhang stehen die so genannten Formatradios. Warum dienen sich denn Kultursendungen dem Prinzip von Popwellen, wie Herr Knauer das ausgedrückt hat, an? Sie müssten doch opponieren! Kunstsendungen, Kultursendungen können nicht nach vorgeschriebenen, standardisierten Programmen ablaufen. Dazu sind sie viel zu wichtig. Also ich glaube, dass das Radio da eigentlich eine Mission verrät und da einen ganz wunderbaren Kulturauftrag einfach nicht wahrnimmt. (S. 27/28)

Dr. Bernhard von Loeffelholz (Sachverständiger): (...) Vielleicht auch noch einige Ergänzungen zu dem, was Frau Dr. Wagner gesagt hat, die Zerstückelung von Musikstücken, wo man dann gar nicht mehr sagt, was es ist, wer es spielt. Oder wenn dreizehn Mal innerhalb von kurzer Zeit der dritte Satz der Eroica gespielt wird, das dient überhaupt nicht der Bildung. Es befriedigt mich auch nicht, wenn man sagt, da haben die Leute hingeschaut, wenn es nicht zu irgendeinem Nachdenken geführt hat. Das, finde ich, ist die Aufgabe, und da würde ich sehr gerne von Ihnen noch ein bisschen mehr hören, ob Sie diese Aufgabe überhaupt sehen und ob Sie bereit sind, darauf einzugehen. (S. 28/29)

Dr. Johannes Grotzky (Experte/Hörfunkdirektor Bayerischer Rundfunk): (...) Zum nächsten Punkt, Herr Dr. von Loeffelholz, ich bin gegen die Zerstückelung von Musik. Die Aufführungspraxis, beispielsweise des 18. und 19. Jahrhunderts, hat uns gezeigt, dass auch dort in Konzerten einzelne Sätze aufgeführt wurden. Ich glaube nicht, dass allein das schon Ihren Unmut erregt, aber es erregt sicher Ihren Unmut, wenn von „Die Vier Jahreszeiten“, oder „Eine Kleine Nachtmusik“ immer nur ein Satz genommen wird, der letztlich den Hörern das Gefühl geben soll, „hier könnt Ihr mitpfeifen und dann seid Ihr schon Klassikinteressierte“. Da bin ich auch dagegen. Da soll man einen Mittelweg finden. Ich habe aber nichts dagegen, dass wir auch mit solchen klassischen Formaten Magazine entwickeln, die in der so genannten Primetime, wenn die Leute im Auto sitzen, sich rasieren, sie wenigstens beim Programm halten. Dass wir dazwischen dann aber auch wieder die großformatigen Dinge machen, jedenfalls probieren wir so etwas in einem einigermaßen akzeptablen klassischen Format. Es bleibt immer ein Formatradio. Es gibt nichts anderes als Formatradio, Frau Dr. Wagner. Jedes Radioprogramm, bei dem ich eine Zuverlässigkeit habe, was ich an welcher Stelle höre, ist ein Format. Ich bin deshalb dagegen, dass wir uns einschränken. Nur weil die private Konkurrenz eine bestimmte kleinteilige Formatierung vorgenommen hat, müssen wir das nicht unbedingt kopieren. Ganz im Gegenteil, wir erleben, dass gerade die privaten Mitbewerber auf dem Markt diese engen Formate wieder verlassen. (...) (S. 33/34)

Wolfgang Knauer (Experte/ehemaliger Wellenchef NDR-Kultur): (...) Man darf dabei aber auch nicht vergessen, dass Programme, die Reichweitenverluste erlitten oder sich in einem Bereich bewegt haben, der als unbefriedigend angesehen wurde, ziemlich heftig überlegen mussten, was können wir tun, damit wir mehr Publikum erreichen. Insbesondere junges Publikum, das sich natürlich vielfach schon anderswo hingewandt hatte und ohnehin eine sehr viel weniger intensive Bindung an die herkömmlichen Medien hat. Ein scheinbares Patentrezept, dass in vielen Fällen angewendet worden ist, in mehreren ARD-Hörfunkprogrammen, speziell Kulturprogrammen, hieß, den Wortanteil wenigstens am Tage zu verringern, die Musik zu popularisieren. Der Effekt in manchen Fällen lautete: lieber der Grand-Prix-Bericht als irgendeine komplizierte Theateraufführung, lieber dreimal in 18 Stunden Scherzo Eroica als etwa eine ganze Mahler-Sinfonie. Diese Tendenz, die in mehreren Programmen erkennbar geworden ist, ist für meine Begriffe geprägt von einer gewissen Sorge, man könne Publikum überfordern, man könne zu viel von ihm verlangen. Da hieß es dann, die Programme würden optimiert oder justiert, sie würden reformiert. Alles verschiedene Vokabeln für ein und denselben Effekt. Dass solchen Tendenzen die von Ihnen genannten intelligenten Rock- und Pop- oder Jazzsendungen relativ schnell zum Opfer fallen, dass sie wenigstens aus dem Tagesprogramm weggenommen und in das wenig gehörte Spätabend- oder Nachtprogramm verlegt werden, ist relativ logisch. Das scheint mir wenigstens keine Überraschung zu sein.

Ich selber finde, dass man einen Fehler macht, wenn man diese Tendenz, die ich beschrieben habe, übertreibt, wenn man nur noch versucht, ganz populär in Musik und ganz aktuell und interessant im Bezug auf Wort zu sein. Ich glaube schon, dass Radiohörer auch beansprucht werden müssen, dass sie auch durchaus den Wunsch haben, Neues und Interessantes kennen zu lernen. Man hat nur jetzt schon, glaube ich, den Effekt erkennen können, dass speziell jüngere Hörer den Eindruck gewonnen haben, in den Programmen höre ich sowieso nichts Neues, die interessieren mich gar nicht, ich wende mich ins Internet oder ich kaufe in irgendwelchen Spezialgeschäften besondere CDs oder sonst etwas. Und wenn die Radiosender nun ihr Programm noch weiter popularisieren, weil sie feststellen, die Jüngeren sind gar nicht mehr da, werden sie natürlich diese jungen Hörer noch viel weniger zurückgewinnen können. Das ist ein Teufelskreis, der da anfängt, wo Radiomacher aus, wie ich finde, völlig verständlichen Gründen den Wunsch haben, mit ihren Kulturangeboten einfach mehr Hörer zu gewinnen. Die Situation gibt es insgesamt in der ARD seit mehreren Jahren. Das Publikum wird im Durchschnitt immer älter und die Jüngeren bleiben immer mehr weg. Dass man also Versuche macht, finde ich richtig und notwendig.

Ich finde es auch zweckmäßig, dass man Musikangebote nach bestimmten Tageszeiten und den vermuteten Verhaltensweisen des Publikums differenziert. Aber ich finde es eben falsch, wenn man es übertreibt und zu sehr auf einen Ansatz der totalen Popularität verfällt, jeden Anreiz nimmt und jede Erwartung von vorneherein abtötet, man könnte in diesem Programm noch irgendetwas Neues erfahren oder sich auch irgendwann nur einmal überraschen lassen. Was Sie feststellen, dass solche Sendungen entweder ganz verschwinden oder an den Rand gedrängt werden, ist sicher eine in Teilen richtige Beobachtung. Sie könnte nur dann widerlegt werden, wenn Radiomacher ein bisschen mehr Zutrauen zu dem gewinnen, was die Hörer bereit sind, ihnen als Rezeptionsverhalten entgegen zu bringen. (S. 36/37)

Ernst Elitz: Frau Prof. Binas-Preisendörfer hat gefragt, ob denn die GfK die richtige Methode anböte, um die Einschaltquoten, Marktanteile oder die Reichweiten für Fernsehen und Radio zu ermitteln. Im Fernsehen ist das ja von einer Exaktheit, dass man fast für jede einzelne Minute sehen kann, wann hat wo wer zugeschaut.

Beim Radio gibt es zweimal im Jahr über einen längeren Zeitraum telefonische Umfragen, weil das Radio mobil gehört wird, nicht nur im Automobil, sondern auch in der Wohnung und wo auch immer. Es gibt keinen festen Anschluss wie für das Fernsehgerät, das man koppeln kann mit einem entsprechenden Messinstrument; deshalb geht das beim Radio über Umfragen. Nun sind solche telefonischen Abfragen natürlich immer mit einer Fehlerquote behaftet und das sind, wie der Kollege Grotzky vorhin gesagt hat, Richtwerte. Aber auch für die sog. anspruchsvollen oder gehobenen Programme, also Informationsprogramme mit ausführlicher Hintergrundinformation, wie für die Kulturprogramme ist es natürlich wichtig zu wissen, wie viele Leute hören zu, denn wir sind ja Journalisten oder Kulturarbeiter geworden, damit wir ein Publikum haben, sonst wären wir Einsiedler geworden.

Ich bedauere immer, dass man für die einzelne Radiosendung nicht so genaue Messinstrumente auf die einzelne Uhrzeit hin hat. Es ist einmal ein technisches Instrument in der Schweiz erprobt worden, das ich mit mir herumtrage in Form eines Siegelrings, Krawattennadel oder eines Ohrgehänges. Damit wird automatisch aufgezeichnet, welches Programm gerade gehört wird. Das bringt zwei Schwierigkeiten mit sich: Die Welt ist so voller Geräusche, dass Sie schon gar nicht mehr ermitteln können, hört der Radio oder geht er im Supermarkt einkaufen. Das andere ist: Die Hörer des DeutschlandRadios würden sich nicht etwas ins Ohr knipsen lassen, damit man messen kann, wie häufig sie den Deutschlandfunk und das DeutschlandRadio Kultur hören. Für bestimmte Zielgruppen mag das sogar einen gewissen Pfiff haben, dass sie zu denen gehören, mit denen gemessen wird, was sie hören. Aber für ein anderes Publikum wäre das sicher eher nachteilig mit dem Ergebnis, dass die Kultur dann niedrigere Einschaltquoten hat, weil deren Hörer so etwas nicht mit sich machen lassen.

Aber für uns ist es als Orientierungsmaßstab wichtig, wie schneiden wir ab? Qualität lässt sich sicher nicht so messen wie eine Einschaltquote, das ist klar. Aber natürlich gibt es Kriterien, wie sie auch bei der BBC schon eingehen in die Bewertung der Programme insgesamt. Das ist die Zahl der Erstausstrahlungen oder wiederhole ich nur? Der Eigenproduktion, der eigenen Idee, oder kupfere ich nur Formate ab, die woanders schon erfolgreich gewesen sind? Die Vielfalt der Genres, die ein Programm anbietet, zu welcher Sendezeit werden diese Genres angeboten? Und der Mut zum Experiment, nicht nur das Gängige, nicht nur den Mainstream zu bedienen, der Mut zum Experiment, selbst wenn vielleicht nur ganz wenige Leute zuschauen und das rezipieren, aber nur das Experiment bringt ja die Kultur voran und nicht das allgemein Gängige. (...)

Ich bin neulich bei einer Veranstaltung gewesen, da hat der künftige Direktor des Grimme-Instituts gesagt, dass das eine interessante Aufgabe für das Grimme-Institut wäre; ich stimme dem zu. Wenn häufig gesagt wird, Qualität in den Medien lässt sich nicht messen, ich glaube das nicht. Natürlich lässt es sich in gewisser Weise messen, denn der Grimme-Preis wird für alle Genres verliehen, es gibt den Bayerischen Fernsehpreis, Hörspiele, CD-Produktionen werden ausgezeichnet usw. Wenn alle diese Jurys keine Kriterien hätten und wir davon ausgehen, dass durch Bleigießen oder Würfeln entschieden wird, wer den ersten Preis bekommt, dann könnten wir das mit der Qualitätsbewertung abschreiben. Aber wenn wir davon ausgehen, dass die Kriterien haben und wir auf deren Urteil Wert legen, dann ist der Schluss sehr nahe liegend, dass es nachprüfbare, ich sage mal nicht messbare und vor der Öffentlichkeit begründbare, Qualitätskriterien gibt. Ich gehe sogar soweit, dafür zu plädieren, dass man im Rahmen der Gebührenbemessung - mein Rundfunkrat ist dieser Auffassung und hat eine entsprechende Entschließung verabschiedet - denjenigen, die solche Qualitätsangebote nachprüfbar machen, ein „Incentive“ gibt. Da ist die Gebühr dann gut aufgehoben. Solche Überlegungen sollte man weiter vorantreiben. (...) (S. 44 - 46)

Dr. Thomas Bellut: Ich beginne mit der Quote und der Frage zur GfK. Dahinter steckt ja der Verdacht, dass die Quote der natürliche Feind der Kulturberichterstattung ist, das stimmt nicht. Es gibt durchaus viele positive Beispiele, auch in der Masse, wo Kultursendungen und Wissenschaftssendungen - auch bei jüngeren Zuschauern - sehr erfolgreich sind. (S. 47)

Dr. Dieter Swatek (Sachverständiger): Prof. Dr. Fuchs hat vorhin darauf hingewiesen, dass insbesondere das öffentlich-rechtliche Qualitätsfernsehen im Zeitalter der Digitalisierung eine Chance in der Qualität haben würde. Darauf aufbauend die Frage an Herrn Knauer: Verstößt der NDR mit seinem „Experiment Klassik Radio AG“ - ich formuliere das bewusst so - nicht gegen diesen Qualitätsauftrag? Denn in meinem ganzen Umfeld habe ich selten eine solche Diskussion erlebt über das, was in NDR 3 oder NDR Kultur, wie es jetzt heißt, in den letzten zwei Jahren läuft, und wie wenig dieser Sender offensichtlich noch akzeptiert wird, Sie haben das ja sehr dezent und sehr freundlich formuliert. Hat dort nicht ein Austausch von Hörerinnen und Hörern stattgefunden? D. h. diejenigen, die diesen Sender früher gehört haben, sind weggegangen. Ich kenne niemanden mehr, der diesen Sender noch hört - und es sind nicht die hinzugekommen, die aus dem Bereich „Klassik Radio AG“ kommen. Meine zweite Frage richtet sich an Prof. Dr. Fuchs oder auch an Herrn Dr. Bellut. An den anderen Qualitätskriterien, die Herr Elitz eben vorgeschlagen hat, müsste doch eigentlich bei der ARD und beim ZDF ein großes Interesse bestehen, so etwas aufzumachen. Ich habe eingangs die Kennziffern erwähnt. Aber wenn man zusätzliche Qualitätskriterien einführt, dann sind Sie ja auch in der Diskussion gegenüber den Politikern, den Abgeordneten in einer ganz anderen Position, wenn Sie nachweisen können, dass Qualität tatsächlich gesendet wird. Die Frage der Quote ist dann natürlich immer noch da und ich stimme Ihnen ja zu, man muss nachschauen, von wievielen Leuten das noch gehört und gesehen wird. Aber ich finde, der Spruch „Quote durch Qualität“ geht eigentlich am Problem vorbei, es muss zusätzliche Kriterien geben. (S. 47/48)

Abgeordnete Ursula Sowa (B 90/Die Grünen): Ich stelle als eine Zwischenbilanz fest, dass sich ja herausgestellt hat, dass alle Anwesenden den Kulturauftrag teilen, als eigentlichen Unterschied zwischen den Öffentlich-Rechtlichen und den Privaten feststellen und der Meinung sind, dass er erhalten bleiben muss. Wir müssen aber feststellen, dass dieser Kulturauftrag nicht definiert ist. Alle wollen ihn, aber keiner weiß so recht, was dahinter steckt. Meine Frage an die Vertreter des ZDF und der ARD: Warum sperren Sie sich, diese Definition enger zu fassen? (...) (S. 50)

Abgeordneter Günter Nooke (CDU/CSU): Herr Elitz hat von Qualitätskriterien und -maßstäben gesprochen; und in letzter Zeit ist in der Öffentlichkeit der alte Vorschlag einer „Stiftung Medientest“ wieder aufgenommen worden. Ich möchte daher an Herrn Elitz, Herrn Knauer und Herrn Prof. Stock die Frage stellen, ob es aus Ihrer Sicht für eine solche Einrichtung eine Chance gibt, die Medieninhaltsanalyse und Qualitätskriterien, natürlich nicht in Richtung auf Gesinnung und Zensur, sondern auf das, was wir hier diskutieren, kommentiert? Diese Einrichtung muss ja nicht bei den Ländern, oder beim Deutschen Bundestag oder bei der Bundeszentrale für politische Bildung liegen. Wie schaffen wir es, dass die Zahlen, die hier aus verschiedenen Ecken vorgetragen werden, und die Preise, die es alle schon gibt, sowohl den Inhaltsvergleichen in den Medien als auch der Qualität von Medienprodukten quasi auf indirekte Weise eine größere Bedeutung verleihen? (S. 50)

Thomas Frickel: (...) Es hat bei einer Tagung der KEF jemand mal vorgerechnet, das darf ich Ihnen kurz zitieren: 9 Personen schauen jeweils eine Stunde lang Programm A. Ein Zuschauer sieht 11 Stunden lang Programm B, was man ja macht, wenn man morgens den Fernseher einschaltet und dann läuft der den ganzen Tag. Bei der GfK wird das als ständiges intensives Zuschauen gemessen. Diese 9 Personen haben aber eine Stunde lang wirklich ein Programm angeschaut, haben etwas dabei erfahren, haben sich damit auseinandergesetzt, während es im anderen Fall Hintergrundberieselung ist, die bei der GfK mit gleicher Elle gemessen wird. Dieses Programm B, was 11 Stunden eingeschaltet war, hat also einen Marktanteil von 55 %. Dieses intensiv von 9 Personen geschaute Programm hat einen Marktanteil von 45 %. Da verschieben sich doch die Relationen, das kann man doch nicht ernsthaft ins Feld führen, wenn man Qualitätsfernsehen messen will. Da muss dringend etwas geschehen. Das andere Qualitätsmesskriterium sind die Preise, u. a. der Grimme-Preis. Da ist es in der Tat auffällig, dass eine Sendung wie „Das rote Quadrat“ zwei Grimme-Preise bekommen hat, inzwischen aber aus dem ARD-Programm fast verschwunden ist. (...) (S. 53)

Wolfgang Knauer: Ich will mal das aufgreifen, was Herr Prof. Fuchs gesagt hat über seine Reaktion, dass er sehr ärgerlich wird, wenn die Wissenschaftssendung von Pro 7 besser abschneidet als seine eigene. Genauso ärgerlich wurde der Hörfunkdirektor im NDR, als er feststellte, dass das kommerzielle Klassikradio in der jährlichen Mediaanalyse regelmäßig besser abschnitt als das öffentlich-rechtliche Kulturprogramm des NDR. Die Folge davon war eine Reform. Das ist ohnehin immer das Zauberwort in den Rundfunkanstalten. Wenn es nicht so richtig läuft, macht man eine Reform. Auf jeden Fall hat man versucht, das Programm so zu verändern, dass es für ein größeres Publikum attraktiver würde. Das ist bis heute insofern nicht gelungen, als die Hörerzahlen von Klassikradio - wenn auch nicht mehr in dem Umfang, aber immer noch ein bisschen - besser sind als die vom NDR-Programm. Dass da ein Austausch von Hörern stattgefunden hat - das haben Sie vermutlich auch gar nicht ernst gemeint -, halte ich eher für fraglich. Ich will auch, was die Gesamtcharakteristik des NDR-Programms angeht, beileibe nichts Negatives sagen, das werden Sie mir nachsehen. Ich möchte etwas Positives über dieses Programm sagen: Ich halte es für ein gutes Beispiel, dass man mit Formatierung, Popularisierung und mit Reduzierung des Wortanteils auch ein bisschen zu weit gehen kann. Ich würde immer vorschlagen, da ein gewisses Mindestmaß einzuhalten, eben nicht nur nach dem Rezept zu verfahren, das der NDR-Hörfunkdirektor mal genannt hat: Radiohören muss unterhaltsam sein, Radiohören muss Vergnügen bereiten. Das muss es sicher auch, aber wenn man das zum ausschließlichen Kriterium macht und ausschließlich verlangt, ein Musikprogramm im Kulturprogramm muss „kulinarisch“ sein und dem guten Wetter draußen entsprechen, ich glaube, dann tut man des vermeintlich Guten zu viel.

Nach meinem Eindruck ist die Formatierung ein Stück zu weit getrieben worden, das müsste man nicht machen. Was das Messen von Einschaltquoten oder Reichweiten angeht, wäre ich natürlich auch froh, wenn gerade für den Hörfunk andere Kriterien maßgeblich sein könnten als nur die nackten Zahlen, zumal die für Minderheitenprogramme immer höchst ungenau sind. Ich finde sehr viel wichtiger zu überprüfen, wie intensiv werden Radioprogramme überhaupt genutzt und gehört? Denn dass ein Mensch das Radio im Hintergrund laufen lässt, sagt wirklich noch nichts über die Qualität der gehörten Sendungen aus. Wenn man irgendwie herausfinden könnte, wie intensiv, wie aufmerksam hört jemand eine Radiosendung, wäre natürlich weitaus mehr gewonnen. Aber offen gestanden habe ich da auch kein Rezept. (S. 56/57)

Die Vorsitzende: Vielen Dank, Herr Prof. Stock, meine sehr verehrten Damen und Herren, insbesondere geschätzte Experten. (...) Für mich persönlich möchte ich folgende drei Feststellungen treffen:

Erstens, die gute Nachricht: Niemand hat sich hier in diesem Saal von dem Kultur- und Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Medien verabschiedet. Die weniger gute Nachricht: Wie dieser Auftrag angemessen zu erfüllen ist, scheint jeder anders zu definieren, wobei sicherlich Einigkeit bei uns in der Enquete-Kommission dahingehend besteht, dass der Kultur- und Bildungsauftrag sicherlich nicht in einem Programmformat von der Art und Größe eines Feigenblattes erfüllt werden kann Es reichen sicherlich auch nicht einige kulturelle Feuerwerksraketen zur Geisterstunde. Ich glaube, ich spreche im Namen aller, jedenfalls der Enquete-Mitglieder, dass damit der öffentlich-rechtliche Olymp der Kultur nicht hinreichend erleuchtet wird. Es braucht dort mehr Kontinuität, mehr Konzeption, oder auch mehr Transparenz, wie Herr Prof. Stock zuletzt gesagt hat.

Die zweite kurze Feststellung zu den Quoten: Wenn von Quoten gesprochen worden ist, Herr Dr. Bellut, bezog sich das sicherlich nicht auf Kulturquoten, sondern es wurde immer von Einschaltquoten gesprochen, die unterschiedlich bezeichnet wurden, sei es als qualifizierende Quote von Herrn Dr. Grotzky oder von Herrn Prof. Fuchs als Quote durch Qualität, wobei er aber auch sagte, Kultur muss sich fernsehgerecht darstellen. Zum Teil war es beruhigend zu hören, was gesagt wurde, aber man kann auch den Eindruck gewinnen, was im Zeitalter des Glaubens die Inquisition war, ist im Zeitalter der Medien die Quote, und zwar die Einschaltquote. Dabei scheint es ja mit der Validität der Messungen, Prof. Stock hatte darauf hingewiesen und auch aus anderen Stellungnahmen war das zu erfahren, nicht so weit her zu sein. Aber unabhängig davon, was diesen Kulturauftrag angeht, sollten wir uns wünschen, unabhängig von dieser Zensur zu sein. Stellen Sie sich die Frage, was aus der europäischen Kultur geworden oder was von ihr geblieben wäre, wenn wir damals schon die Quote gehabt hätten.

Die dritte Feststellung betrifft die Feststellung zu den Klangkörpern. Sie haben gemerkt, dass das ein Thema ist, das die Mitglieder der Enquete-Kommission in besonderer Weise bewegt. Ich stelle nichts Neues fest, wenn ich sage, dass unter den Kulturpolitikern hier Konsens besteht, für ihren Erhalt zu plädieren. Das bedeutet nicht, dass wir dies unkritisch tun. Wir haben interessante Vorschläge erhalten, z.B. von Herrn Knauer, diese Klangkörper stärker als bisher in der musikalischen Bildung einzusetzen. In der Enquete-Kommission haben wir uns im Vorfeld bereits sehr stark mit den Fragen der kulturellen Bildung befasst und auch mit der Frage, ob es nicht, wie es in anderen Ländern bereits bewährte Praxis ist, sinnvoll wäre, die Vergabe von öffentlichen Mitteln zu konditionieren, auch an Leistungen für die kulturelle Bildung zu binden. Ich denke, hier liegt ein für beide Seiten viel versprechender Ansatzpunkt.

Diese Anhörung hat aber auch gezeigt, dass es noch einiges gibt, worüber wir intensiv in der Enquete-Kommission werden beraten und auch mit Ihnen das Gespräch fortführen müssen. Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal für Ihre sehr konstruktiven Beiträge und die vielfältigen Hinweise bedanken, insbesondere auch für die Zeit, die Sie aufgewendet haben für die Erarbeitung der schriftlichen Stellungnahmen, aber auch heute. Sie sind mit großer Ruhe und Geduld der Fülle der Fragen unermüdlich und auch unerschrocken begegnet. Danken möchte ich aber auch den Gästen für Ihr großes Interesse an diesem Thema, verbunden mit der Hoffnung, dass Sie auch die weitere Arbeit der Enquete-Kommission mit Interesse begleiten werden. Mein herzlicher Dank geht an Herrn Dr. Bellut, an Herrn Elitz, an Herrn Frickel, an Herrn Prof. Fuchs, Herrn Dr. Grotzky, Herrn Knauer und Herrn Prof. Stock. Vielen Dank und einen guten Heimweg. Ich schließe hiermit diese Anhörung (...). (S. 58 - 60)

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Die Experten und ihre Stellungnahmen:

Bezugsquelle:
Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland", Sekretariat

Lesen Sie dazu:

Bericht von Martin Hufner in der neuen musikzeitung, Nr. 05/05
Öffentlich-rechtliche Medien unter Druck
Öffentliche Meinung und öffentliche Kultur brauchen öffentliche und weit reichende Programme, eben auch zu „guten“ Sendezeiten in den Hauptprogrammen

Ausschnitt aus der Aufzeichnung von PHOENIX, 19. April 2005
Wolfgang Knauer vor der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“
Wenn Klangkörper und Programme wieder enger miteinander arbeiten würden...

Stellungnahme von Wolfgang Knauer (ehem. Wellenchef von NDR Kultur)
Schonungslose Kritik an NDR Kultur im Dienste von Musik und Kultur

Stellungnahme von Stellungnahme von Thomas Frickel, AG DOK
HR-Intendant Reitze: „Ich schiele nicht nach der Quote,
ich schaue mit der Lupe drauf“

Lesen Sie die einzelnen Stellungnahmen der Experten
Bezugsquelle: Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland", Sekretariat

Lesen Sie den vollständigen Fragenkatalog an die Experten vom 14. Februar 2005:

A.1. Vollständige Fragen
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B. Auswahlfragen zu
NDR Kultur