Das GANZE Werk - Presseschau

Hörzu, Print-Ausgabe, 26. August 2005

„Schleichwerbung war sozusagen Dauertagesordnungspunkt“

„Macht’s, tragt nur nicht zu dick auf!“

Ein Insider packt aus: Martin Buchhorn, Regisseur, Produzent und Ex-Fernsehfilmchef, enthüllt, wie die Schleichwerbung bei der ARD intern toleriert wurde

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Seit Juni läßt der Skandal um bezahlte Schleichwerbung der ARD keine Ruhe. Produzenten wurden öffentlich an den Pranger gestellt und entlassen, Filme in Windeseile umgeschnitten. Jetzt sagt der einstige Fernsehfilmchef des Saarländischen Rundfunks Martin Buchhorn, daß auch die davon wußten, die die Mißstände in den eigenen Häusern bisher verurteilten.

Herr Buchhorn, Schleichwerbung ist hierzulande verboten. Sie haben sie trotzdem betrieben. Sie sind ein Krimineller.

MARTIN BUCHHORN: Wenn Sie das so sehen, sitzen überall in den öffentlich-rechtlichen Sendern, in denen derartige „Etataufbesserungen“ übliche Praxis sind, Kriminelle, von den Redaktionen und Produktionen über die Intendanten bis zu den Gremien. Die einen tun es, und die anderen wissen und decken es. Der Mitwisser wird am Ende zwar zur tragischen Figur. Das ändert juristisch aber nichts an seiner Mitschuld.

ZUR PERSON
Grass und Grimme
Martin Buchhorn (61) war von 1970 bis 2004 beim Saarländischen Rundfunk u.a. als Fernsehfilmchef tätig. Dort erfand er die Figur von „Tatort“-Kommissar Palu. 1997 verfilmte er Günter Grass‘ Werk „Die Rättin“. Zweimal gewann er den Grimme-Preis. Heute arbeitet Buchhorn als freier Produzent.

Wie legitimieren Sie Ihr Handeln?

BUCHHORN: Für mich ist Schleichwerbung nur dann in Ordnung, wenn sie einzig und allein dem Film zugute kommt. Ich halte sie auch für moralisch gerechtfertigt, wenn ich bei schwindenden Etats und steigenden Kosten nicht mehr weiß, wie ich ein Spitzenprodukt herstellen kann. Gerade auch bei der Konkurrenz zu den Privaten, die wir lange nicht ernst genug genommen haben.

Sie wurden also vom Sender quasi zum Betteln bei der Industrie genötigt.

BUCHHORN: Das kann man sagen, ja. Jedoch sind direkte geschäftliche Kontakte zu Industrie und Wirtschaft schwierig, weil wir sie ja nicht haben dürfen. Dadurch sind Agenturen entstanden, die sehr gut verdienen. Die Frage war: Verzichten wir aus Kostengründen auf einen tollen Filmstoff, oder finden wir zusätzliche Geldquellen? Wir haben so außerdem geholfen, die Rundfunkgebühren im Rahmen zu halten. Wir haben die Qualität der Filme gesteigert und unsere Zuschauergehalten.Währenddessen haben die Öffentlich-Rechtlichen immer öfter statt ins Programm in unglaubliche Neubauten und Umstrukturierungsmaßnahmen investiert.

Welches Ausmaß hat die Schleichwerbung tatsächlich?

BUCHHORN: Inzwischen ist sie fast überall zu finden, nicht nur im Film- und Unterhaltungsbereich. Nur ein paar augenfällige Beispiele: Die Zigarettenindustrie zahlt allein dafür Geld, daß in Filmen geraucht wird. Die Zigarrenindustrie zahlt dafür, wenn ein Protagonist Zigarren statt Zigaretten raucht. Die Gasindustrie dafür, daß unser „Tatort“-Kommissar Palu nicht auf einem Elektroherd, sondern auf einem Gasherd gekocht hat. Redaktion, Produzent, Ausstattung, Requisite, Regie, Produktionsleitung haben alle ihre Kontakte über Agenturen.

Können Sie weitere Beispiele nennen?

BUCHHORN: Plötzlich steht eine bestimmte Flasche Wein in der Szene. Oder ein Schauspieler nimmt mal eben ein Aspirin, ohne daß es groß auffallen darf. Und kein Kommissar fährt mit einem Auto im Film, das nichts mit geldwerten Vorteilen zu tun hätte. Solange es dem Film nicht schadet, Dramaturgie und Inszenierung nicht leiden, ist das meiner Meinung nach auch völlig okay.


Martin Buchhorn (links) mit HÖRZU-Redakteur Häusler

Bei welchen Summen fangen Kooperationen mit der Industrie für gewöhnlich an?

BUCHHORN: Im unteren fünfstelligen Bereich. Zählt man die einzelnen Deals zusammen, kommt man zum Teil auf über 100.000 Euro pro Film. Durch diese Mittel kann ein Regisseur viel opulenter und konkurrenzfähiger arbeiten.

Erklären Sie das genauer.

BUCHHORN: Der Drehbuchautor schreibt eine Verfolgungsjagd mit Polizeiautos, Hubschrauber und einem Unfall ins Skript, inklusive Explosion. Da ist mir sofort klar, daß das etwa 50.000 Euro kosten wird. Man kann es billiger machen, und das habe ich auch immer erst versucht, solange es dramaturgisch vertretbar war. Aber da das Publikum immer mehr an Spezialeffekte aus Hollywood und Computerspielen gewöhnt ist, würde die Sparversion extrem mickrig aussehen. Man muß bildlich „aufmotzen“. Das kostet. Dann macht man sich auf die Suche.

Jeder Fall
war mit dem
Justitiar und
der Intendanz
abgestimmt

Über die Jahre hat sich also ein wahres Schleichwerbesystem etablieren können. Man muß fragen: Wer hat davon gewußt?

BUCHHORN: Wer behauptet, erst heute sei man darauf gestoßen, der redet Unfug. Schleichwerbung und Produktplazierungen waren immer wieder Thema in den einzelnen Häusern, selbst in den Gremien, in ARD-Koordinationssitzungen. Schleichwerbung war sozusagen Dauertagesordnungspunkt. Und unterm Strich stand immer: Macht's, aber tragt nicht zu dick auf!

Wer hat an den Sitzungen teilgenommen?

BUCHHORN: Alle hatten turnusgemäße Sitzungen: die Fernsehfilmchefs aller ARD-Anstalten, die Unterhaltungschefs, die Fernsehdirektoren. Und alle berichteten in ihrer Hierarchie nach „oben“. Was meine Filme anging, war jeder Fall mit dem Direktor, dem Intendanten, dem Justitiar und der Geschäftsführung der Produktionstochtergesellschaft abgestimmt. Jede Mark war kontrolliert. Natürlich habe ich auch manchmal den Satz gehört: „Wenn’s hart kommt, ich weiß von nichts!“ Wir haben beim Saarländischen Rundfunk eine Sprachregelung dafür gefunden, die dann auch weitgehend in der ARD übernommen wurde. Wir haben das nicht Schleichwerbung genannt, sondern „Kooperation mit Dritten“. Auch ein ARD-Programmdirektor Struve weiß das alles.

Wenn es sogar die Intendanten wußten, warum reagieren die jetzt so empört?

BUCHHORN: Weil sie's offiziell nicht wissen dürfen. Seit Jahren hatten alle mehr oder weniger kalte Füße deswegen und gehofft, daß das Thema nicht den Weg in die Öffentlichkeit findet. Selbst die Programmbeiräte, die Kontrollorgane der ARD-Anstalten also, haben die mit Kooperationen teilfinanzierten Filme durchgewunken.

Was ist also jetzt zu tun?

BUCHHORN: Wir brauchen endlich neue Rundfunkgesetze. Denn wenn ich den Begriff Schleichwerbung ernst nehme, darf ich auch keine Sportberichterstattung mehr machen. Die Banden bei Fußballspielen, die durch Rotationsmechanismen mehrere Firmen präsentieren können, sind mit der Bildregie koordiniert. Die Bildregisseure wissen genau, welche Kamera wann in welche Richtung blickt. Das wird mit der Bandenschaltung abgestimmt. Nichts wird dem Zufall überlassen. Es spricht nur keiner darüber. So kommen wir in dieser Grauzone jedenfalls nicht mehr weiter.

Interview: Martin Häusler

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toleriert wurde

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