Das GANZE Werk - Presseschau

Berliner Zeitung, 20. Juni 2005

"Mit den Marken in die Filme, in die Musikstücke"

"Wir müssen es den Medien schmackhaft machen"

Werbemanager Wolfgang Hünnekens prophezeit, dass es bald viel mehr Schleichwerbung geben wird

Das Interview führte André Mielke

Herr Hünnekens, produzieren Sie Schleichwerbung?

Nein, wir platzieren Markenbotschaften. Und da steht nicht immer "Anzeige" drüber. In der RTL-Show "Big Boss" mit Rainer Calmund sollten die Kandidaten eine Marketingstrategie entwickeln. In diese Aufgabe haben wir zum Beispiel einen unserer Kunden direkt eingebunden.

Können Sie die Debatte um Schleichwerbung beispielsweise im ARD-Vorabendprogramm nachvollziehen?

Ich finde die diesbezüglichen Gesetze überflüssig. In Amerika können sich Firmen auch in den Handlungsverlauf von Shows und Serien einkaufen. Da läuft das als "Branded Entertainment". Beim Network ABC soll es eine Reality-Show geben, bei der die Teilnehmer sich in einem Wal-Mart Möbel kaufen dürfen.

Die Zuschauer von ARD und ZDF zahlen ihre Gebühren nicht, um pausenlos mit Werbung bombardiert zu werden.

Ich könnte mir auch vorstellen, dass man die Gebühren abschafft. Das würde Gleichheit herstellen zwischen allen Sendern. Die Öffentlich-Rechtlichen behaupten doch nur, sie sendeten keine Schleichwerbung. Und machen's trotzdem. Sie brauchen diese Gelder doch, um ihre Sendungen zu finanzieren. Sie kommen unter Druck durch Hunderte von neuen Digitalkanälen. Sie haben riesige Rentenansprüche zu begleichen. Und viel höhere Gebühren kriegen sie sowieso nicht mehr durch. Auch in den Zeitungen gibt es Schleichwerbung, aber das regt im Gegensatz zum Fernsehen keinen auf.

Sie sagten, dass Sie selbst Werbung versteckt platzierten. Wie muss man sich das vorstellen?

Indem wir eine Kunden-Botschaft für die Medien schmackhaft verpacken. Für einen Finanzdienstleister haben wir mal einen Werbefilm hergestellt und Fotografen zu den Dreharbeiten eingeladen. Das war eine attraktive Sache, und am nächsten Tag standen die Fotos in den Lokalteilen mehrerer Zeitungen.

Die Presse hat sich einen Kodex gegeben, der die Werbung und den redaktionellen Teil trennen soll.

Es gibt Redaktionen, die sich daran zu halten versuchen. Aber letztlich kommt es darauf an, ob unsere Geschichte gut genug ist.

Aber in Qualitätsblättern haben Sie es schwerer?

Ich habe der Chefredakteurin der taz vor einigen Wochen eine Wette angeboten. Ich sagte, ich bräuchte höchstens eine Woche, bis eine Geschichte über Easyjet in ihrem Blatt wäre. Wenige Tage hat es gedauert.

Der Beitrag ist aber nicht bezahlt worden.

Doch, die Airline hat das bezahlt.

Ja, Ihnen, aber nicht der Zeitung. In der Redaktion wurde offenbar unabhängig entschieden, die Information sei wichtig genug, um sie zu drucken.

Genau. Die Geschichte muss so gut sein, dass sie sich von einem journalistischen Beitrag kaum unterscheidet. Das beispielsweise macht professionelle Public-Relations aus.

Warum genügen Ihnen die traditionellen Werbeformen nicht mehr?

Weil es inzwischen so viele Markenbotschaften gibt, dass wir neue Wege der Kommunikation brauchen. Wir müssen mit den Marken in die Filme und nicht nur auf die Werbeinseln. In die Musikstücke. In die Reality-Shows.

Ihr Kommunikationsinteresse widerspricht dem der Empfänger.

Die Menschen lesen lauter bunte Magazine, die voll von versteckter Werbung sind. Wer bisher nicht darüber gemeckert hat, wird es beim Fernsehen auch nicht tun. Er ist es gewohnt.

So wie Sie sich das vorstellen, übernehmen PR-Agenturen die Aufgabe der Redaktionen.

Nein, das wäre dann nicht mehr relevant.

Aber die Redaktion soll ja noch die glaubwürdige Kulisse abgeben, vor der die Werbebotschaft funktioniert.

Das ist extrem ausgedrückt. Aber wenn sich der Trend nicht durchsetzt, dann wird es den freien Journalismus bald nicht mehr geben, weil es keine Zeitungen mehr gibt.

Und wenn er sich durchsetzte, gäbe es freien Journalismus erst recht nicht mehr.

Die Verlage haben bei den traditionellen Werbeeinnahmen riesige Einbußen. Wie sollen die denn ihre Mitarbeiter bezahlen? Irgendwann ist jeder offen dafür, sich so lange wie möglich am Leben zu halten.

Lesen Sie zur Dimension von möglicher Schleichwerbung:
• Extremfall: "Mit den Marken in die Filme, in die Musikstücke"
"Wir müssen es den Medien schmackhaft machen"
Werbemanager Wolfgang Hünnekens prophezeit, dass es bald viel mehr Schleichwerbung geben wird
Berliner Zeitung, 20. Juni 2005

• Extremfall: Amerikanisches Genie mit Mark Burnett
Product-Placement: Schleich dich reich
Der Skandal in der Serie "Marienhof" erschüttert die ARD, im US-Fernsehen ist diese Form von PR längst Alltag
Rheinischer Merkur, 9. Juni 2005
• Rüge: Schleichwerbung untergräbt Glaubwürdigkeit der Medien
Printmedien: Presserat fordert klare Kennzeichnung von Werbung
Anhang: Vergleich zwischen gerügter Verlagswerbung und NDR-Lizenzprodukten
Presserat, 9. Juni 2005