Das GANZE Werk - Presseschau

Zur Stellungnahme von NDR-Intendant Jobst Plog am 26. April 2005
„NDR kann erfolgreiche Arbeit ohne politische Einflussnahme fortsetzen“:

Kommentar
Von Theodor Clostermann, Sprecher der Initiative Das GANZE Werk

Für eine jährliche Berichtspflicht des Rundfunkrates an die vier Länderparlamente!

Jobst Plog - der Programm-Autonome

Worte:
"ohne politische Einflussnahme" + "allein den Interessen der Hörer und Zuschauer verpflichtet"
Fakten (bisher):
Stört unsere Freundeskreise nicht! + Es lebe die Quote!

Noch sind keine Formulierungen des neuen NDR-Staatsvertages bekannt, wie soll da eine aufrechte öffentliche Diskussion, auch im "Interesse der Hörer und Zuschauer" überhaupt möglich sein?

Staatsferne - kein Regierungsradio

Das Grundgesetz garantiert die Staatsferne durch Artikel 5 Absatz 1 Satz 2. Dort heißt es: "Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet." Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts legt fest, wann die Staatsferne verletzt ist: "Der Staat darf keinen bestimmenden Einfluß auf die öffentlichen Anstalten ausüben. Die geforderte Staatsferne ist nach herrschender Meinung dann gegeben, wenn die Mitglieder, die der Staat in die Gremien entsendet, in der Minderheit sind." (Peter Huber, Staatsrechtslehrer, DIE WELT vom 22. Januar 2005). In dieser Rechnung sind Parteien-Vertreter ohne ein Regierungsamt - wie Parlamentsabgeordnete - nicht enthalten.

Die politische Einflussnahme der Parteien

Staatsferne ist allerdings nicht gleichzusetzen mit "...ohne politische Einflussnahme...", da täuscht Plog die Öffentlichkeit. Schon ein Blick auf die offizielle Zusammensetzung des NDR-Rundfunkrates mit seinen 58 Mitgliedern zeigt, dass 11 Mitglieder oder 19 % ausdrücklich und ausschließlich wegen ihrer Parteizugehörigkeit dort sitzen:

Bundesland  CDU    SPD    B 90/Grüne    PDS   
Hamburg11  
Mecklenburg-Vorpommern   11 1
Niedersachsen121 
Schleswig-Holstein11  
Summe4511

"Politische Einflussnahme" nur zu einem Fünftel - ist das denn wenigstens richtig?

Nein. So könnte man die Stellungnahme Plogs nicht korrigieren.

Erstens weiß die Öffentlichkeit noch nicht, wie groß der Rundfunkrat nach dem neuen NDR-Staatsvertrag werden soll und welche gesellschaftlichen Gruppen jetzt zum letzten Mal im Gremium sind. "Daß sich nach der von Wulff gewollten Amputation noch Umwelt-, Natur- und Verbraucherschützer, Sozialverbände, die Aktion Sühnezeichen-Friedensdienste oder ähnliche Bürgerorganisationen in dem Gremium befinden werden, darf bezweifelt werden." schreibt Volker Bräutigam in seinem Aufsatz "Machtkampf um den NDR" in der Zeitschrift Ossietzky. Es ist wenigstens zu erwarten, dass der Anteil der Parteien steigen wird.

Zweitens sagt die offizielle Parteizugehörigkeit noch zu wenig über das tatsächliche Wirken für die Parteien aus. "Die Behauptung, es sei gelungen, parteipolitischen Klüngel herauszuhalten, muß in einer Karnevalsnacht erdacht worden sein. In den NDR-Aufsichtsgremien beraten sich CDU- und SPD-»Freundeskreise« vor allen wichtigen Entscheidungen. Neben dem Sozialdemokraten Plog leitet Joachim Lampe (CDU) als Zweiter Intendant den NDR. Unter den neun Direktoren gibt es nur noch einen einzigen mit SPD-Parteibuch, die meisten anderen sind CDU-Mitglieder oder -Freunde." schreibt Bräutigam weiter. - Zur Vorbereitung der Rundfunkrats-Sitzungen gibt es tatsächlich drei »Freundeskreise«: einen der SPD, einen der CDU und eine "Regenbogen"-Gruppe.

In einem Interview mit pro media (Berlin) spricht der niedersächsiche Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) davon, dass "Vertreter der Politik über gesellschaftliche Gruppen benannt wurden". Die derzeitige Vorsitzende des NDR-Rundfunkrates, Dagmar Gräfin Kerssenbrock, ist beispielsweise  d i e  Vertreterin des Landesnaturschutzverbandes Schleswig-Holstein e.V. Auf der entsprechenden Homepage sucht man nach ihr vergebens, sie ist nicht als Mitglied des Vorstands genannt. - Für die CDU ist sie jedenfalls aktiv. In der WELT findet man mehrere ungewöhnliche Berichte über die "streitbare" Gräfin in der CDU, die sogar in einem Brief an die CDU-Vorsitzende Merkel und andere CDU-Prominenz gegen den Spitzenkandidaten Peter Harry Carstensen und für Volker Rühe zu Felde gezogen ist.

»Freundeskreise« der Parteien stören eine wirkliche Kontrolle

In der Diskussion über NDR Kultur hat Gräfin Kerssenbrock den Rundfunkrat mehrheitlich auf ihren Kurs eingeschworen. Das spürt man, wenn man mit einzelnen Mitgliedern spricht. Im Dezember 2004 und Januar 2005 haben viele Hörer zu NDR Kultur Briefe und Beschwerden an die einzelnen Rundfunkratsmitglieder geschrieben. Fast alle - uns sind nur vier Ausnahmen bekannt - haben auf persönliche Antworten verzichtet und Gräfin Kerssenbrock schreiben lassen. Haben die Rundfunkratsmitglieder gewusst, wie rigide der Brief ausgefallen ist und dass er einen Schweige-Erlass für die Mitglieder des Rundfunkrates enthält?

Damit fällt die "politische Einflussnahme" von außen in sich zusammen: Der Einfluss der Parteien ist zwar groß, sie richten sich aber in den »Freundeskreisen« mit dem NDR friedlich ein, folglich findet eine Kontrolle von außen nicht mehr statt. Plogs Idealzustand, siehe Stellungnahme.

Die Interessen der Bürger und Bürgerinnen

Aber im Widerspruch zum Geist des jetzt noch gültigen NDR-Staatsvertrages. Dort steht in § 18 Absatz 1: "Der Rundfunkrat soll die Interessen der Allgemeinheit auf dem Gebiet des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vertreten. Dabei berücksichtigt er die Vielfalt der Meinungen der Bürger und Bürgerinnen. Er wirkt darauf hin, dass der NDR seine Aufgabe nach diesem Staatsvertrag erfüllt, soweit dafür nicht der Verwaltungsrat zuständig ist."

Damit sind wir beim zweiten Element von Plogs Stellungnahme: der NDR sei "allein den Interessen der Hörer und Zuschauer verpflichtet". Das sollte er sein. Aber nicht so unbestimmt, dass man an die große Masse denkt, hinter der die Quote lauert, sondern breit aufgefächert: "Er berücksichtigt die Vielfalt der Meinungen der Bürger und Bürgerinnen". Dazu gehören die "Ansprüche und Wünsche des traditionellen Bildungsbürgertums" (Wolfgang Knauer, ehemaliger Wellenchef von Radio 3 und NDR Kultur, in seiner Experten-Stellungnahme für die Enquete-Kommission Kultur in Deutschland) bzw. - mediensoziologisch - die Interessen der "Klassisch Kulturorientierten". Die Gruppe der Musikliebhaber hat sich deutlich genug zu Wort gemeldet: mit ihrer Kritik an dem Formatradio NDR Kultur und mit ihrem Wunsch, ganze Werke in einem vernünftigen Zusammenhang zu hören.

Der NDR hat im Einklang mit den beiden »Freundeskreisen« der großen Parteien im Rundfunkrat diese gewichtige Meinung von Bürger und Bürgerinnen ignoriert, ebenso die Festlegung im NDR-Staatsvertrag.

Was meint Plog also mit "allein den Interessen der Hörer und Zuschauer verpflichtet"? Die Quote. Je höher die Quote, desto mehr Wünsche von Hörern und Zuschauern werden erfüllt. So einfach ist das. Kultur und Bildung, Musiksendungen mit Niveau gehen da unter.

Programm-Autonomie darf nicht nur ein Schutzwall sein

Was bleibt übrig? Eine heile Welt für Jobst Plog. Das ist die Programmautonomie, seine Programm-Autonomie. "Wenn Ministerpräsidenten fordern, dass die ARD bestimmte Sportrechte verkauft, dann ist dies ein unzulässiger Eingriff in die Programmautonomie." (Plog in seinem Grundsatzartikel in der ZEIT vom 20. Januar 2005). Und wie zur Belustigung folgen darauf zwei Riesenanzeigen für die Harald-Schmidt-Show.

    Jeweils die Hälfte von
Seite 17 und Seite 19
mit einer Fläche
von 36,5 cm x 26 cm
  
"Und wenn Herr Clostermann drei Millionen Unterschriften sammelt, werden wir auf unsere Programmautonomie nicht verzichten" (Plogs Hörfunkdirektor Romann in der Frankfurter Rundschau vom 10. Dezember 2004).

Hier Intendanz, Direktoren und »Freundeskreise«, die sich kennen, Freunde sind.
Und sonst? "Politische Einflussnahme" nicht erwünscht.

Dort Jagd nach Quote mit Harald-Schmidt-Show, Sportrechtekauf, Flachlegung des Niveuas, Formatradio usw.
Und sonst? Zuschauer- und Hörer-Einflussnahme nicht erwünscht?

Die Quote ist nur ein Entscheidungsmittel, aber kein Entscheidungsträger

"Zur Beurteilung kultureller Werte, von Bildungsinhalten und Programm-Qualität ist die Quotenmessung völlig untauglich." Die Quote ist "ursprünglich die 'gemeinsame Währung' zwischen der werbetreibenden Wirtschaft und dem Privatfernsehen". (Thomas Frickel, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm, Experten-Stellungnahme für die Enquete-Kommission Kultur in Deutschland, S. 6 und S. 5) Die Quote ist das Spiegelbild einer Situation, deren Zustandekommen nicht gemessen werden kann. Die Quote ist nur ein begrenztes Entscheidungsmittel, aber kein Entscheidungsträger. Entscheidungsträger außer dem Sender selbst sind: die Hörer und Zuschauer, der Rundfunkrat und die Parlamente.

Wer sich "allein den Interessen der Hörer und Zuschauer verpflichtet" ist, sollte mit ihnen den Dialog über Programminhalte führen. Die Initiative Das GANZE Werk ist dazu bereit. Sie ist auch nur für diesen Zweck gegründet worden und steht immerhin für ca. 4.000 erreichte Hörer.

Man sollte darüber nachdenken, ob die vier Länderparlamente eine Festlegung in den neuen NDR-Staatsvertrag aufnehmen, dass der Rundfunkrat ihnen jährlich über seine Arbeit und seine Entscheidungen Bericht erstattet. Damit das Geschehen nicht autonom bleibt, nicht verschwiegen wird, kein Geheimnis der »Freundeskreise« ist, sondern an die Öffentlichkeit gelangt.

Lesen Sie die Stellungnahme von Intendant Plog:

Der Staatsvertrag wird den Landesparlamenten zur Zustimmung zugeleitet
„NDR kann erfolgreiche Arbeit ohne politische Einflussnahme fortsetzen“
NDR, 26. April 2005