Das GANZE Werk - Presseschau

Kritische Masse, 5. Februar 2005

Die Gräfin!

Dürfen Sie sich jetzt schon aussuchen, von wem Sie Kritik annehmen?

Von Huflaikhan (Martin Hufner, Regensburg)

Die Beschwerden der Initiative „Das ganze Werk“ zur Veränderung des Programms bei NDR „Kultur“ sind abgewiesen worden. Die Rundfunksratsvorsitzende des NDR, Dagmar Gräfin Kerssenbrock (Ironie des Schicksals, als Vertreterin des Landesnaturschutzbundes Schleswig - Holsteins), hat dies den Beschwerdeführern gegenüber so geäußert:

Die Fülle der Beschwerden und die aufgeführten Details und Verbesserungsvorschläge, mit denen sich der Programmausschuß u.a. in einer eigenen Arbeitsgruppe befaßt hat, ändern - wie bereits oben erwähnt - nichts an der grundsätzlichen Feststellung des Programmausschusses, daß die eingeleitete Reform und Neuorientierung des Programms richtig gewesen sind.
Ein weiterer Handlungsbedarf jenseits der regulären Programmbeobachtung und des gefaßten Beschlusses wird daher nicht gesehen.

Na prima. Der Hund miaut, wenn der Vogel bellt. Dass sich im öffentlich-rechtlichen Rundfunk leider vieles so verändert, dass man darüber fast weinen möchte, ist eigentlich noch hinnehmbar. Aber, dass man sich zur Strohgräfin macht?

Ergänzen möchte ich, daß der Kreis der Beschwerdeführer — so auch in den Schreiben vermerkt — in der Regel aus der „Initiative das GANZE Werk“ oder der Telemann-Gesellschaft kommt. Für hohe Verärgerung und die Abkehr von jeder Bereitschaft, sich länger mit den Details von Beschwerden aus dem Kreis der „Initiative das GANZE Werk“ und der Telemann-Gesellschaft zu befassen, haben Veröffentlichungen im Internet durch die Initiative geführt.

Das ist interessant: Die Unkenntnis der Gräfin und des durch sie vertretenen Rundfunks sind kollossal. Über 1.600 Mitglieder hat die Initiative. Sagen Sie mal, Frau Gräfin, welches Verständnis haben Sie denn von Vereinen oder Verbänden. Wenn der Hundt was sagt, dann steht der für seinen Verband da vorne und meckert; wenn die Merkel plaudert, dann auch für ihre CDU. Und wenn Sie, Frau Gräfin, dann für den Rundfunkrat — und wohl leider auch für die Insititution, die Sie mitkontrollieren sollten. Eigentlich jedenfalls.

Darf ich Sie erinnern, was eine der wichtigsten Aufgaben des Rundfunksrates ist. Ich zitiere die entsprechende Seite des NDR:

Der Rundfunkrat vertritt die Interessen der Allgemeinheit im Sendegebiet des NDR. Dabei berücksichtigt er die vielfältigen Meinungen der Bürger und Bürgerinnen.

Es steht da tatsächlich: Er berücksichtigt, es steht da nicht: Er ignoriert die vielfältigen Meinungen der Bürger und Bürgerinnen. Ich wollte das nur einmal in Erinnerung rufen, Frau Dagmar Gräfin Kerssenbrock. Ihre Antwort dagegen offenbart nur Ignoranz.

Was Sie da auffahren ist geradezu eine unhöfliche Beleidigung aller Mitglieder dieser Initiative, die, soweit ich das sehen kann, nur zu einem kleinen Teil aus Mitgliedern der Hamburger Telemann-Gesellschaft besteht. Ich persönlich empfinde Ihren Vorwurf als Beleidigung meines Engagements dafür.

Noch etwas: Darf ich den ersten Satz so verstehen, dass nur, weil die Kritik von der Initiative „Das ganze Werk“ kommt, diese dann untriftig ist? Wie bitte? Aber wenn sie der Papst gemacht hätte, wäre sie angenommen worden. Dürfen Sie sich jetzt schon aussuchen, von wem Sie Kritik annehmen? Ein Witz!

Komplett absurd aber wird es doch, wenn Sie sich zu folgendem einlassen:

So schreckten diese Kritiker nicht vor der Geschmacklosigkeit zurück, NDR Kultur als reale Antwort auf den internationalen Terrorismus zu bezeichnen und darüber hinaus im Internet eine Satire zum Tod des ehemaligen Ministerpräsidenten Barschel in einer Badewanne in der Schweiz zu gestalten und für ihre Kritik an NDR Kultur heranzuziehen. Die niveauvolle Ebene, auf der Gespräche über Kulturthemen geführt werden sollten, wurde damit verlassen und macht eine weitere Diskussion unmöglich.

Der Sprecher und der Sprecherrat der Initiative haben sich schon sehr abwägend dazu geäußert. Da ich zwar Mitglied, aber nicht Sprecher bin, darf ich etwas härter replizieren!

Ich prangere Extra3 an, ihre hauseigene Sendung, die ganz unsatirisch geworden ist offenbar. Leider hat die Satire der Initiative sogar Biss gehabt. Und ich will dabei nicht einmal auf die Kunstfreiheit der Satire abheben. Bei den Beispielen der Initiative handelt es sich um waschechte Glossen. Soll ich Ihnen erklären, welche Funktion dieses literarische Genre hat?

Was „geschmacklos“ ist, dass wissen Sie aber am besten, und es hilft Ihnen nach diesem Verdikt, sich mit den tatsächlichen Vorgängen gar nicht mehr zu beschäftigen. Prima.

Ich könnte hier stundenlang Ausführungen darüber machen; über die Verderbtheit und zunehmende Verdummung innerhalb der Grenzen des NDR „Kultur“ und sowieso. Ich lasse es, es sind darüber schon so viele Artikel geschrieben worden und Bücher auch.

De facto ist es doch so: An den NDR kommt man gar nicht heran, weder mit Argumenten noch mit Satire oder Glosse. Selbst die Realsatire, wie sie auf der Homepage der Initiative zu finden ist, scheint Ihnen wohl nicht lachhaft genug. Es gibt da den Jingle: Die Initiative kommentierte das so:

Der Weg der Jingle-Produktion für NDR Kultur
Für die Musikproduktionen hat der NDR die Firma BCI Group GmbH & Co. KG in 90571 Schwaig bei Nürnberg beauftragt, die die Jingles in dem Partner-Studio Groove Addicts in Los Angeles herstellen lässt.
Man höre und staune: Sechs Komponisten waren beteiligt, um für „das anspruchsvolle Programm von NDR Kultur“ ein „eigenständiges, musikalisch großartiges Werk“ zu schaffen. [mehr Hintergrund dazu]

Da braucht es keines Verweises auf den internationalen Terrorismus, wenn es sich um internationalen Blödsinn handelt, der, ich muss das leider konstatieren, noch gefährlicher ist.

Viel schlimmer: Das Signal, das Sie nach außen mit diesen Äußerungen setzen, Frau Dagmar Gräfin Kerssenbrock. Sie machen damit klar: Lasst uns in Ruhe, lasst uns unsere Arbeit so machen, wie es die Intendanz und der Programmdirektor wünschen (d.h. sie liegen zu lassen, die Arbeit!). Denn die sind die wirklichen Volksvertreter. Sie vollstrecken nur das Urteil an den Hörern. Sie arbeiten, wie man es gut kennt, an ihren Schreibtischen und lesen die Heeresberichte Media-Analysen. Hinter dieser Waffe hat sich schon fast einmal ein ganzes Volk verstecken können. Auch das mögen Sie geschmacklos finden, von mir aus. Ich finde es geschmacklos, wie man sich selbst so aufgeben kann und wie man sich so benutzen lässt.

Dass mir dann irgendwann keiner kommt und sagt, er habe es nicht gewollt.

Wenn in Zukunft dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch mehr Gegenwind aus Brüssel entgegenschlagen wird, wenn auch im gegenwärtigen Entwicklungszustand der Wirtschaftsvormacht irgendwann dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk der, wie man so schön sagt, Arsch auf Grundeis geht, dann wundern Sie sich bitte nicht, dass diejenigen, die ihnen einmal durch ihr Engagement zu Hilfe kommen wollten, keine Lust dazu haben. Denn wo nichts zu retten ist, da muss man auch nichts mehr retten.

Einstweilen ist es nicht so weit. Aber, wie unschön heißt das doch, die Bombeneinschläge gegen das duale System im Rundfunk kommen näher. Und ich möchte mal sehen, wie Sie dann mit Ihren Media-Analysen herumfuchteln, weil Ihnen die Menschen fehlen, die Sie unterstützen könnten.

Vor allem, am wenigsten könnte ich es leiden, wenn darunter andere Rundfunkanstalten zu leiden hätten, weil einmal der NDR eine falsche Entscheidung getroffen hat. Ich bitte Sie: Machen Sie mir den Bayerischen Rundfunk nicht kaputt durch die Abstumpfung Ihres Programmes — dieser Vorwurf geht an die Gräfin gleichermaßen wie an den Rundfunkdirektor Romann und den Intendanten Plog.