Das GANZE Werk - Presseschau

Hamburger Abendblatt, 19. August 2002

Alarm beim NDR: Radio 3 in der Krise

Von Hans-Jürgen Krug

Hamburg - Als Anfang August die jüngste Media-Analyse (MA) veröffentlicht wurde, da jubelte am Hamburger Rothenbaum zwar die NDR-Schlagerwelle 90,3, doch bei dem Kultur- und Klassikprogramm Radio 3 herrschte tiefe Trauer. Denn der Norddeutsche Rundfunk verliert die Kulturinteressierten - und zwar dramatisch.

Gerade mal 0,5 Prozent der Hörer schalten in Hamburg das teure und anspruchsvolle Radio 3 noch ein; genauso viele wie die Amateurfunker vom Offenen Kanal. 1998 waren es noch 2,7 Prozent. Das private Klassic Radio (3 Prozent) hat die Öffentlich-Rechtlichen deutlich überholt.

Was ist nur los mit der Kultur beim NDR? Zwar meinen viele, die neue Media-Analyse gebe Rätsel auf. Aber das Problem liegt tiefer: 1956 entstand Radio 3 (unter dem Namen NDR 3) als anspruchsvolles Zuhörprogramm, doch seither hat sich die Radionutzung radikal verändert. In Hamburg wollte man das nicht sehen, in Hannover, wo das „kulturelle Wort“ angesiedelt ist, noch weniger. Und so sendete man stolz weiter, als sei (fast) nichts geschehen. Das Programm wurde zwar formatiert, doch war das alter Wein in neuen Schläuchen.

Heute sendet Radio 3 (als Gemeinschaftswelle von NDR und ORB, die jeweils eigene Regionalfenster haben) tagsüber klassische Musik, abends gibt es Wortkultur und Konzerte. Das oft schwerfällige Literaturmagazin „Texte und Zeichen“ wurde über den Tag verteilt, wirklich neue Radioformen aber gibt es nicht. Radio 3 (90 Prozent Musik, zehn Prozent Wort) fehlt heute eindeutig ein modernes Profil.

„Handlungsbedarf“ sieht auch NDR-Hörfunkdirektor Gernot Romann. „An der Erkenntnis, dass Radio selbst im Bereich der Kultur zunehmend als Nebenbei-Medium genutzt wird, führt kein Weg vorbei“, sagt er.

So viel steht fest: Zum 1. Januar 2003 wird Radio 3 umgebaut. Vor allem der Morgen und der Nachmittag werden diskutiert, die Musik soll „kulinarischer“ werden, sogar die Musikuhr ist nicht mehr tabu. Die Inhalte werden der Tageszeit angepasst - und dann will Radio 3 endlich „Kultur als Ereignis“ bieten.

Ob das ausreicht? Andere Kulturwellen setzen inzwischen umfassend auf das „Kulturereignis Radio“ - auch im NDR wird man wohl um wirklich mutige Innovationen nicht herumkommen.

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