Das GANZE Werk - Presseschau

DIE ZEIT 38/2000

Zwangsgebühren für ARD und ZDF sind nur so lange legitim, wie die Qualität stimmt

Vorsicht, Quotenfalle

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das öffentlich-rechtliche Fernsehen dem privaten Fernsehen in seiner „Quotengeilheit“ immer ähnlicher wird

Von Robert Leicht

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Spitzen wir die Frage einmal für die Zukunft zu, dann lautet sie: Worin liegt die Legitimation für ein öffentlich-rechtliches Fernsehen, das durch Zwangsgebühren aller Fernsehzuschauer finanziert wird?

Weshalb ist diese Frage sinnvoll gestellt? Dafür gibt es zwei Gründe. Der erste Grund ist ein zunächst technischer: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Zahl möglicher Fernsehprogramme sich geradezu vervielfacht. Experten sprechen von 300, gar 400 Kanälen. Wenn dieser Zustand einmal erreicht sein sollte, könnte es doch sein, dass ein Zuschauer - warum auch nicht? - sagt: „Ich möchte gewiss gern fernsehen - aber bestimmt nicht die Programme von ARD und ZDF. Ich bin sogar bereit, meinen Apparat gegen deren Programme absolut sicher sperren zu lassen. Ich bin aber nicht bereit, deren Programme mit Zwangsgebühren zu bezahlen, obwohl ich sie weder anschauen will noch werde.“ Was gibt man diesem Manne zur Antwort - und zwar mit verfassungsrechtlicher Durchschlagskraft?

Zwischen Krimi und Komödienstadl, Symphoniekonzert und Volksmusik

Der zweite Grund, aus dem die anfängliche Frage sinnvoll zu stellen ist, ist ein programmatischer: Es ist - so, wie die Dinge sich entwickeln - nur eine Frage der Zeit, bis das öffentlich-rechtliche Fernsehen dem privaten Fernsehen in seiner „Quotengeilheit“ immer ähnlicher wird. Die Gebühren für das öffentlich-rechtliche Fernsehen sollen aber nicht Quoten sicherstellen, sondern - Qualität. Was aber wird aus der Berechtigung der Gebühren, wenn die Qualität der Programme sinkt? Und muss nicht, wer in einen Quotenwettbewerb mit den privaten Fernsehveranstaltern eintritt, letztlich auch den Finanzierungswettbewerb zu gleichen Bedingungen in Kauf nehmen?

Diese Zukunftsfragen lassen sich klarer beantworten, wenn man sich die Vorgeschichte unseres dualen Fernsehwesens klarmacht. Am Anfang stand die „Stunde Null“ der Bundesrepublik. Der Rundfunk, damals nur der Rundfunk!, hatte sich im „Dritten Reich“ dem nationalsozialistischen Staat prostituiert; er war zum reinen Propagandainstrument geworden. Also hieß es für die Zukunft: Der Rundfunk (und später auch das Fernsehen) muss staatsfrei bleiben.

Sodann aber war man sich im Klaren darüber, dass der Rundfunk - wegen seiner sozusagen monopolartigen Struktur - gleichwohl von hoher Bedeutung für die öffentliche Kommunikation und für die demokratische Verfassung der Gesellschaft ist.

Also durfte er nicht in die Hände privater Kapitalgeber und Profitnehmer fallen, sondern er musste eben öffentlich-rechtlich organisiert und die Aufsicht von allen gesellschaftlich bedeutenden Gruppen zur gesamten Hand wahrgenommen werden.

Dieses Argument wurde im Übrigen durch die Knappheit der Frequenzen gestützt: Die Möglichkeit, demokratische Offenheit - ähnlich dem Zeitungsmarkt - durch die freie Konkurrenz (theoretisch: unendlich) vieler Anbieter zu gewährleisten, war rein technisch nicht gegeben. Und noch ein Weiteres wurde durch die Technik geboten: Wenn es (später) nur ein Fernsehprogramm und noch später nur noch ein zweites Fernsehprogramm gab, dann musste das Fernsehen eben alles in allem zugleich sein: Politik, Information, Kritik, Kultur, Unterhaltung, Krimi und Komödienstadl, Volksmusik und Symphoniekonzert. (Erst die Einführung der dritten Programme brachte so etwas wie ein Spartenfernsehen, anfangs mit der Tendenz zum Höheren, wenn auch zum regional, um nicht zu sagen provinziell Schulmeisterlichen.)

Da es also keine Außenpluralität durch externen Wettbewerb gab, musste es innere Ausgewogenheit durch die Vertreter gesellschaftlich relevanter Gruppen geben - und durch Gremien. Und in jedem Fall: Finanzierung durch Gebühren! Plus einiges an Werbeeinnahmen.

Als aber die Technik mit einem Mal sehr viel mehr Kanäle zur Verfügung stellte, kamen private Fernsehveranstalter zum Zuge, die sich nun ausschließlich über Werbeeinnahmen finanzierten - und deren Programme, der kommerziellen Logik und der Kapitalrendite folgend, sich auf ein Maximum an Werbeeinnahmen ausrichten mussten. Das duale System war geboren.

Und es zeitigte paradoxe Konsequenzen: Hatten die (konservativen) Politiker gehofft, die privaten Programme würden ein konservatives Gegengewicht gegen den „Rotfunk“ bieten, so bekamen sie stattdessen ein entpolitisiertes, trivialisiertes Programm: Porno statt Politik. Nicht gerade das, was in ein konservatives, wohl aber etwas, was in ein kommerzielles Weltbild passt. Und das öffentlich-rechtliche Fernsehen passte sich dem Quotentrend an - statt ihm entschieden zu widerstehen.

Was also wird aus dem durch Gebühren finanzierten öffentlich-rechtlichen Fernsehen, wenn dieser Trend sich fortsetzen sollte? Der beste Freund und stärkste Verteidiger des Status quo ist das Bundesverfassungsgericht. Die Richter in Karlsruhe haben den beiden Anstalten immerhin eine „Bestands- und Entwicklungsgarantie“ zugesprochen.

Dieser Rahmen erlaubt es ihnen, so steht es im Gerichtsurteil aus dem Jahr 1994, „unabhängig von Einschaltquoten und Werbeaufträgen ein Programm anzubieten, das den verfassungsrechtlichen Anforderungen gegenständlicher und meinungsmäßiger Vielfalt entspricht“. Zusätzlich heißt es: „Andere Finanzierungsquellen sind neben der Gebührenfinanzierung zulässig und können sogar die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stärken. Das gilt auch für Einnahmen aus Werbung. Doch dürfen sie wegen der mit ihnen verbundenen programm- und vielfaltverengenden Tendenzen die Gebührenfinanzierung nicht in den Hintergrund drängen.“

Diese Bestands- und Entwicklungsgarantie ist also spiegelverkehrt auch als Anforderungsprofil zu lesen. Die öffentlich-rechtlichen Programme dürfen nicht nur, sie müssen unabhängig von Einschaltquoten und Werbegeldern gestaltet werden, die Programme dürfen nicht engspurig auf Quote getrimmt, ihre Vielfalt darf nicht eingeengt werden.

Die Legitimation der Zwangsgebühr hängt, mit anderen Worten, an Nimbus und Niveau; sie stirbt mit hohler Quote und niedriger Qualität. Wenn es die hohe Qualität ist, die für hohe Quoten sorgt - umso besser. Wenn es die Sucht nach der hohen Quote ist, welche die Qualität abstürzen lässt, dann: Ade, du öffentlich-rechtliches Fernsehen. Dann: Fort mit den Zwangsgebühren!