Das Formatradio

Es wird wohl das Verdienst von Mike Haas sein,
den Begriff "Format" in die deutsche Radiolandschaft eingeführt zu haben

Hörzeit-Formatierung

Vom medialen Verschwinden des Programms aus dem Radio

Von Wolfgang Hagen
Überarbeitete Fassung des Aufsatzes in Paech, Strukturwandel:1999, 155-184

Format ist ein Wort, das erstaunlicherweise eine sehr alte, und dementsprechend aufgeladene Bedeutung hat. Sie kennen den Ausdruck: ‚Er oder Sie hat Format', d.h. ‚Größe, Gestalt, Maß', ein stark ausgeprägtes Persönlichkeitsbild. Diese, auf die menschliche Person bezogene Bedeutung scheint aber erst spät in den Sprachgebrauch gekommen zu sein, irgendwann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert. Denn der Eintrag ins Grimmsche Wörterbuch von 1862 besagt noch ebenso lapidar wie kurz: "Format" das ist: "modus libri", also "Format eines Buches". Die Verdeutschung "Format" aus Lateinisch ‚formatio' kommt also aus den Nomenklatur eines Mediums, eines technischen Mediums, nämlich der Buchdruckerzunft. Seit dem 16. Jahrhundert nennt die Buchdruckersprache "'Papiergröße, Höhe und Breite eines Bogens, eines Buches' danach allgemein ‚Größe, Geformtes, Ausgeprägtes, Bedeutendes'" ein Format.

Das wiederum geht einher mit dem Aufkommen eines nahe verwandten Begriffs, nämlich dem der "Formation", der gleichfalls im 16. Jahrhundert bedeutend wird, und zwar in der Militärwissenschaft, in der Sprache der Fortifikateure. "Formation" bezeichnet die besondere Aufstellung von Soldatenheeren kurz vor dem Dreißigjährigen Krieg. Allen voran ist es Moritz von Oranien, der Erfinder der oranischen Heeresreform von 1580, der nicht nur die kunstvollsten neuen Geometrien beschreibt, in denen Soldaten fortan exerzieren, kämpfen und schießen sollen, sondern vor allem die Art und Weise ihrer Herstellung:

Ein Radioprogramm, das wir formatiert nennen, hat zwar in all seiner Harmlosigkeit nichts Militärisches, aber vielleicht geht es ja irgendwie auch dort um ein "Reihen" und "Gliedern", um ein "Linksrum und Rechtsrum", ein "Kehret Euch" und ein "Herstellt Euch". Jedenfalls zeigt uns Wolfgang Schäffner (der diesen Begriff der Formation untersucht hat), daß hier der Kontext liegt für eine sehr ursprüngliche Denkfigur der Neuzeit, - vor Descartes, der ja selbst als Militär bei den Niederländern gelernt hat, vor der Philosophie der Aufklärung und am Geburtsort der modernen Leitwissenschaft Physik, - eine Denkfigur, ein Dispositiv, das möglicherweise erst am Ende der nachfolgenden Periode der Moderne, also heute, zu voller formatisierender Wirksamkeit kommt.

Wie auch immer, im heutigen Deutsch sind Buch- und Personen-"Format" immer noch das gebräuchlichste. Formationen im Militärischen kennen wir, aber von "Radioformaten" wußte die deutsche Sprache lange nichts. Ich weiß nicht einmal genau, wielange wir Radioleute das Wort schon in den Mund nehmen, aber ich weiß noch, daß "Format" in den frühen achtziger Jahren völlig ungebräuchlich war. Damals redeten wir bestenfalls von "Tagesbegleit"-Programmen, im Unterschied zu "Vollprogammen", oder man sprach auch schon von "Service-Wellen", "Jugendwellen", Magazinprogrammen oder ähnlichem.

Der Begriff "Format" tauchte bis Mitte der achtziger als Leitbegriff einer neuen Struktur von Hörfunk und Hörfunkorganisation nicht auf und es wird wohl das Verdienst von Mike Haas, dem Mitbegründer und langjährigen Chef von Antenne Bayern bleiben, die Begrifflichkeit und den Zusammenhang, der sie trägt, in die deutsche Radiolandschaft und in den Diskurs eingeführt zu haben, wo er sich jetzt eingenistet hat.

Für Antenne-Bayern-Chef Mike Haas, der ja zuvor langjährig amerikanischer Radiooffizier beim AFN gewesen war, und Deutschland von daher gut genug kannte, wird es wohl selbstverständlich gewesen sein, etwas ganz Amerikanisches auf deutsch und sogar auf Privatfunk-Bayrisch zu übersetzen. Sein mit den Kollegen Frigge und Zimmer verfaßtes "Radio-Management"-Handbuch von 1991 ist seither eine Art Bibel des Privaten Rundfunks in Deutschland geworden, in dem alles das nachzulesen ist, was die Zieldefinition der erfolgreichsten privaten Radiostationen ausmacht.

In unseren öffentlich-rechtlichen Häusern wurde das Buch natürlich nur mit der Zange angefaßt und zum Teufelskatechismus des ‚Dudelfunks' erklärt, jedenfalls anfänglich. Unter den öffentlich-rechtliche Anstalten kenne ich derzeit nur eine, die ein Hörfunkprogramm macht, das tatsächlich einigermaßen lupenrein diesen Radiomanagement-Leitlinien des Haas'schen Buches folgt, nämlich "Njoy", das "jüngste Programm im Norden", eine komplette Ausgründung aus dem Mutterhaus NDR, mit eigenen Räumen, eigenem Personal und eigener Adresse an der Alster. (...)

Vollständiger Text: http://whagen.de/Habilitation/HoerZeitFormatierung.htm
Lebenslauf von Mike Haas: www.medientage-muenchen.de/kongress/referenten/...