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Das GANZE Werk (Nord), 17. August 2008

Die neuen NDR-Kultur-Hörerzahlen von 2008
und die NDR-Stellungnahmen

NDR Kultur wieder auf dem Niveau von 2005, der Zenit war 2007

Ausführliche Hintergrundinformationen und Kommentar

Von Theodor Clostermann

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Verlautbarungen des NDR am 6. August 2008 zu NDR Kultur

„NDR Kultur konnte sich ebenfalls steigern, auf durchschnittlich 270.000 Hörer pro Tag.“ (NDR-Nachrichten1)

„NDR Kultur bleibt das meistgehörte Klassik- und Kulturprogramm im Norden und liegt jetzt in Hamburg mit einer Tagesreichweite von 2,9 Prozent vor dem privaten Konkurrenten Klassikradio (2,8 Prozent).“ (Offizielle Pressemitteilung, Teil zu NDR Kultur im Abschnitt „Besonders bemerkenswerte Ergebnisse“, z.B. auf der NDR-Homepage2)

NDR Kultur - Tatsächlicher Zahlenspiegel

Tagesreichweite, Montag bis Freitag, absolut, in Tausend3, 4, 5

 2002 II |  2004 II2005 I2005 II2006 I2006 II2007 I2007 II2008 I2008 II
HH7283327293333353141
MV21312312101117141520
NDS88101120120114151160122113127
SH31424947444050746251
NDR-Gebiet147203227209197235260245220239
außerhalb59394756465760615231
BRD206242274265243292320306272270

Die Anmerkungen 3 bis 5 und die Quellenangaben stehen am Ende des Artikels.

Der niedrigste Wert seit 2004 II in jedem Gebiet ist rot gekennzeichnet, der höchste grün. Schauen Sie sich bitte selbst die Entwicklung in den einzelnen Gebieten an, dann sehen Sie automatisch die verschiedenen Zacken nach oben und nach unten.

Der allgemeine Trend von NDR Kultur

Wir wollen uns nicht mit den Kleinigkeiten von einer Zählung bis zur nächsten befassen, sondern die längerfristige Entwicklung untersuchen, soweit sie mit solchen Befragungszahlen überhaupt dargestellt werden kann.

Die Entwicklung seit den ersten Zahlen nach der „Reform“ von 2004 ist in den vier Bundesländern des Sendegebietes von NDR Kultur höchst unterschiedlich, selbst die Entwicklung zwischen den beiden jahreszeitlichen Stichproben I und II. Von einem eindeutigen Hörerwillen kann nicht die Rede sein. Aber es zeichnet sich ein allgemeiner Trend ab.

Der Zahlen-Zenit war 2007, infolge von Popularisierung und Trivialisierung. Diese sind aber keine Allheilmittel: Heute ist NDR Kultur zahlenmäßig fast wieder genau auf dem Niveau von 2005 I angekommen - mit kleinen Verschiebungen zwischen Hamburg (plus 8.000) und Niedersachsen (plus 7.000) einerseits und den Hörern außerhalb des NDR-Sendegebietes (minus 16.000) andererseits.

Dem Zuwachs von 10.000 Hörern in Hamburg...

Und diese Zahlen verweisen auf die beiden großen Besonderheiten der neuen Erhebung hin, bei der zum ersten Mal die Kinder im Alter von 10 bis 13 Jahren und die in Deutschland lebenden EU-Bürger hinzugenommen wurden (siehe Anmerkung 4).

Vielleicht auch wegen dieser letzten Ausweitung (eine genaue Feststellung lassen die veröffentlichten Zahlenreihen nicht zu) ist in der Handels-, Medien- und Diplomatenmetropole Hamburg NDR Kultur zu 41.000 täglichen Hörern bzw. zu dem Höchstwert von 2,9 % gekommen (die besonders hervorgehobene Zahl zu NDR Kultur in der NDR-Pressemitteilung, siehe oben).

Wenn NDR Kultur sich aber bundesweit nicht „steigern konnte“, wie in den NDR-Nachrichten behauptet wird (siehe oben), sondern von durchschnittlich 272.000 Hörer pro Tag auf 270.000 gefallen ist, dann muss es woanders einen entsprechend heftigen Rückgang gegeben haben. Der NDR teilt uns in der ganzen Mitteilung dazu nichts mit.

... steht ein Rückgang von 21.000 außerhalb des Sendegebietes gegenüber

So war es auch im Sommer 2004, als der damalige Hörfunkdirektor Gernot Romann mit neuen unvollständigen Zahlen in der „WELT“ und im „NDR Kultur KlassikClub Magazin“ dafür Eindruck machen wollte, „dass der eingeschlagene Weg der richtige ist“. Eine Hörerin aus Braunschweig fragte genau nach einer solchen - sich logisch aus seinen Zahlen ergebenden - Abnahme außerhalb des Sendegebietes. Die bestätigte er dann indirekt in seiner Antwort mit konkreten Zahlen zu den vier Bundesländern (daraus oben die Zahlen zu 2004 II)6.

In der Tat: Einen großen Verlust hat NDR Kultur nach der neuen Stichprobe bei den Hörern außerhalb seines Sendegebietes gemacht. Die Zählung 2002 II hatte den verhältnismäßig guten Wert von 59.000 Hörern für den damaligen NDR 3 (vor der „Reform“) festgestellt. Von 2005 bis 2008 I schwankte diese Zahl für NDR Kultur zwischen 46.000 und 61.000 (siehe Zahlenreihe oben). Und jetzt sind es auf einmal nur 31.000, trotz der erweiterten Zahlenbasis.

Ein schwerer Einbruch. Bei genauerem Nachsehen fand er vor allem in Nordrhein-Westfalen, dem WDR-Sendegebiet, statt: Von der Zählung 2008 I bis zur Zählung 2008 II fiel die Hörerzahl von 28.000 auf 10.000, also um 18.000 (siehe www.reichweiten.de).

Fünf Gründe, warum die Zahlen nicht nur als Zustimmung zu werten sind

Die ermittelten Zahlen sind kein Gradmesser für die Zustimmung der Gezählten zum Programm von NDR Kultur. Dazu fünf wichtige und typische Situationen:

• Wer aus Mangel an einem anderen öffentlich-rechtlichen Sender regelmäßig NDR Kultur hört und nicht auf Dauer zum Deutschlandfunk oder zu Deutschlandradio Kultur wechseln will (z.B. wegen der Musik tagsüber auf diesen Sendern),
• wer sich nur „Am Morgen vorgelesen“, die beliebteste Sendung von NDR Kultur, oder auch sonst nur „Am Abend vorgelesen“ aus Gewohnheit anhört,
• wer einen großen Bogen um die weit gestreute und die sich ständig wiederholende Kulturberichts-Hektik im Tagesprogramm von NDR Kultur macht und sich stattdessen als Einschalthörer im „Journal“ von 19.03 bis 19.30 Uhr dieselben Kulturberichte gebündelt und ausführlicher anhört,
• wer durch Musikhäppchen und unentwegte Musikunterbrechungen genervt ist und sich nur das Mini-Radio-Musikprogramm „Musica“ von 19.30 bis 20.00 Uhr (mit meistens ein oder zwei ganzen Werken) anhört,
• wer zu den zahlenmäßig wenigen Hörern zählt, die das qualitativ bessere Abendprogramm von NDR Kultur zwischen 20.00 und (normalerweise) 22.00 Uhr einschalten,

ist ebenfalls registriert und wird vom Sender als zustimmender Hörer gewertet, obwohl er sich gerade ein anderes Haupt-, Tagesprogramm wünscht.

Die „Media-Analyse“ (MA) ist eine rein quantitative Befragung

Am 6. August 2008 wurden die neuesten Hörer-Zahlen der „Media-Analyse“ veröffentlicht. Die MA-Zahlen gibt es zweimal pro Jahr. Treibendes Motiv für die Untersuchungen ist das Interesse der werbetreibenden Wirtschaft, die Hördauer für die jeweiligen Sender zu ermitteln („Marktanteile“). Denn danach lassen sich berechnen:
- für die Werbenden die gezielte Erreichbarkeit bestimmter Radiohörer und
- für die Radiosender die Werbepreise (auf der Basis der Währung „Marktanteile“).

Als Nebenprodukt fällt die Ermittlung der „Tagesreichweite“ der Sender ab, d.h. der Anteil der Hörer, die am Vortag der Telefon-Befragung einen Sender mindestens 15 Minuten lang gehört haben. Es handelt sich um eine rein quantitative Befragung - darauf weisen wir seit Jahren hin - und nicht um eine qualitative Befragung, wie sie Ö1 durchführt und veröffentlicht.

Die quantitativen Zahlen geben einen begrenzten Hinweis auf Erfolg oder Schwächen eines Senders. Als ausschlaggebende Richtschnur für eine Programmplanung bergen sie allerdings das Risiko der Popularisierung und der Trivialisierung - bei einem Kultursender auf Kosten von Qualität sowie Bildungs- und Kulturauftrag.

Der Sender Ö1, der ein vorbildliches Programm und - allerdings landesweit ausstrahlend - eine zur Zeit unerreicht hohe Tagesreichweite hat, zeigt, dass sich Qualität und Quote auf der Erfolgsstraße gegenseitig fördern.

Vom Sender nicht eingeplant: Quotenrückgang wg. Popularisierung

NDR Kultur zeigt demgegenüber, dass die ausgewählten Versuche der Quotensteigerung mit
- intensiver Höreransprache (in der Kritik: „Anbiederung“),
- Hörertipps (in der Kritik: „Schleichwerbung“) und
- kurzatmiger populärer Klassik (in der Kritik: „Häppchen“ und „Klassik-Schlager“)
der Qualität schaden und den Bildungs- und Kulturauftrag nach hinten rücken.

Typisch dafür ist, dass es insgesamt oder auch nur regional immer wieder
- Schübe der Quotensteigerung durch neue Hörerschichten,
- parallel dazu aber auch heftige Quotenrutscher durch wegbleibende Enttäuschte
gibt.

Damit sind wir wieder bei den obigen Zahlen. Unser Gegenvorschlag zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen Sender und Hörern:

In der Hauptsendezeit, d.h. vor- und nachmittags, richtet NDR Kultur in größerem Umfang gestaltete Wortsendungen (mit längeren Beiträgen zur Kultur) und Musiksendungen (mit zusammenhängenden musikalischen Werken) ein.

Recherchiert am 16. August 2008, verfasst am 17. August 2008

Anmerkungen

1 Die vollständige NDR-Nachricht lautet:

„NDR Info gewinnt Hörer hinzu
Hamburg: NDR Info hat seine Position als führender Informationssender auf dem norddeutschen Radiomarkt ausgebaut. Täglich schalten rund 480.000 Menschen das Informations-Programm des Norddeutschen Rundfunks ein. Das geht aus der neuen Media-Analyse hervor, die heute vorgestellt wurde. Bei dieser allgemein verbindlichen Erhebung wurden erstmals nicht nur Bundesbürger ab 14 Jahren, sondern auch Kinder ab 10 Jahren und in Deutschland lebende EU-Ausländer nach ihren Hörgewohnheiten befragt. Im Vergleich zur vorangegangenen Media-Analyse erreichte NDR Info einen Zugewinn von knapp 80.000 Hörern. NDR Kultur konnte sich ebenfalls steigern, auf durchschnittlich 270.000 Hörer pro Tag. Insgesamt hören der Media Analyse zufolge täglich knapp sieben Millionen Menschen die Radioprogramme des NDR.“

z.B. im Internet belegt bei NDR Info um 15.15, 17.15 und 20.00 Uhr

2 Der vollständige Text zu NDR Kultur in der NDR-Pressemitteilung vom 6. August lautet:

Im Abschnitt „Besonders bemerkenswerte Ergebnisse“
„NDR Kultur bleibt das meistgehörte Klassik- und Kulturprogramm im Norden und liegt jetzt in Hamburg mit einer Tagesreichweite von 2,9 Prozent vor dem privaten Konkurrenten Klassikradio (2,8 Prozent).“
Im ausführlichen Abschnitt
„NDR Kultur kann täglich 270.000 Menschen an sein Programm binden. Beim weitesten Hörerkreis kommt NDR Kultur auf 8,4 Prozent im Norden, das entspricht bundesweit 1,3 Millionen Menschen (in der MA 2008 I waren es 1,28 Millionen). Das meistgehörte Klassik- und Kulturprogramm im Norden kommt auf eine Tagesreichweite von 2,0 Prozent im Sendegebiet und liegt damit 1,4 Prozentpunkte vor Deutschlandradio Kultur sowie 0,8 Prozentpunkte vor dem kommerziellen Angebot Klassik Radio.

3 Tagesreichweite, d.h. Hörer gestern, Montag bis Freitag, soweit berechnet: siehe Quellen

4 Bei der Stichprobe 2008 II wurden zum ersten Mal die in Deutschland lebenden EU-Bürger und die Kinder im Alter von 10 bis 13 Jahren berücksichtigt. Dadurch erhöhte sich die absolute Basiszahl um:

     Hamburg+ 125.000 (+ 9,6 %)
     Schleswig-Holstein+ 157.000 (+ 6,9 %)
     Niedersachsen+ 437.000 (+ 6,9 %)
     Mecklenburg-Vorpommern   +   34.000 (+ 2,3 %)
     NDR-Sendegebiet+ 751.000 (+ 6,6 %)

befragte Menschen.

5 Die Hörerzahl von 7.000 für Hamburg bei der Erhebung 2002 II war der offizielle Grund für die „Reform“ zum jetzigen Programm von NDR Kultur (umstrittene Zahl)

6 siehe auch: Übersicht zur vollständigen Korrespondenz

Quellen

1. Brief von NDR Hörfunkdirektor Gernot Romann vom 08.10.2004: 2002 II und 2004 II

2. NDR-Intranet: von 2005 I bis 2007 I
Davon lagen uns für das Jahr 2005 nur gerundete Prozentzahlen vor, wodurch sich bei dem Zurückrechnen zu den absoluten Hörerzahlen unweigerlich Rechenfehler in der Größenordnung von maximal 1.000 Hörern ergeben.

3. www.reichweiten.de: 2007 II bis 2008 II (Hörer gestern, Mo - Fr)