Das GANZE Werk - Presseschau

NDR Kultur, 8. Juni 2005, 13 bis 14 Uhr, Klassik à la Carte
aus Anlass der Veröffentlichung der Anzeige mit Anne Will: „Ich höre NDR Kultur“

Anne Will macht NDR Kultur: Moderation der „Zwischentöne“

Anne Will als Themen-Geberin - nur die Musik von NDR Kultur kann Alice Schwarzer in ihrem Engagement bremsen

Dokumentation von drei Ausschnitten

Geschichte der Sexualität: Nachgefragt zu einer absoluten Formulierung
Zeitgeschichte: der Appell der 374 im „Stern“, 1971
Ein heftiges und ungewöhnliches Gespräch über Elvis Presley


Anzeige mit Anne Will: „Ich höre NDR Kultur“

13.20 Uhr

Geschichte der Sexualität:
Nachgefragt zu einer absoluten Formulierung

Anne Will:
Ich will mal einen Satz nehmen, um klarer zu machen, vielleicht, was ich meine, wenn ich von der Tonlage im politischen Kampf spreche. Selbstverständlich verstehen Sie sehr geschickt zu überraschen. Aber: Sie setzen ja auch bestimmte Themen und setzen bestimmte Thesen. Meine Frage ist: Muss man die immer absolut setzen in einem politischen Kampf? Beispiel: der Satz „Heute wissen wir, dass die Sexualität zwischen Männern und Frauen noch nie in der Geschichte etwas mit Lust zu tun hatte.“ Noch nie in der Geschichte, da wird die These absolut gesetzt, muss das so sein?

Alice Schwarzer:
Ja, da haben Sie einen Satz rausgenommen, nicht?

W: (stolz lachend) Jaaa.

S: Drum herum steht's sicherlich sehr viel komplexer. Nun ja, es ist einfach in der Tat so, dass über Jahrtausende Frauen Besitz waren von Männern, wirklich Besitz, und Männer mit Frauen und Kindern machen konnten, was sie wollten, dass sie absolute Gewalt über sie hatten und Sexualität zur Reprodution da war oder zur Unterwerfung. Dieses heißt aber nicht, dass es nicht Individuen gegeben hätte in der Geschichte, die es immer wieder geschafft haben, ja, sich ganz nebenher doch ein Stück Lust zu stibitzen, nicht. Also, das ist natürlich schwer so einen Satz aus einem Kontext eines theortischen Textes zu ...

W: (unterbricht) Ich habe ihn herausgenommen aus Ihrer „Zwischenbilanz“, die Sie...

S: Ja, ja.

W: ... als solche vorgelegt haben, „Alice im Männerland“, und das ist ein Artikel, der in der „Emma“ erschienen ist 1993, daher hatte ich ihn. Es wäre aber, glaube ich, falsch gewesen, um auf dieses Absolutsetzen der Thesen zurückzukommen, hier das gleich mitzudenken das, was Sie gerade gesagt haben, und zu sagen, die meisten Frauen, zum Beispiel, hatten Beziehungen, die noch nie etwas mit Lust zu tun hatten. Das wär nicht gegangen, oder?

S: Nein. Objektiv in der Geschichte hatte Sexualität nicht den Stellenwert, Lust zu verschaffen. Sehen Sie mal, für den katholischen Papst und, ja, die offizielle katholische Kirche ist es auch heute noch nicht so, das können Sie genau lesen. Menschen sollen nicht den sexuellen Austausch und die sexuelle Begegnungen haben, um Lust (betont) zu haben, sondern um sich zu reproduzieren (auch betont). Das, können Sie jetzt sagen, gefällt mir nicht. Aber da bin nicht ich absolut, sondern die Verhältnisse sind absolut. Menschen aber sind natürlich, Gott sei Dank, keine Programme, und Menschen, so auch katholische Menschen, hoffe ich doch und weiß ich (lacht), leben eben auch außerhalb dieser Programme und unterlaufen sie. Aber das Programm lautet so. Das habe nicht ich erfunden.

13.22 Uhr, Dauer: 2 1/2 Minuten

NDR Kultur: Musik
Leonard Bernstein, Candide, daraus: Ouvertüre
Berliner Philharmoniker, Leitung: Simon Rattle
Zur weiteren Information: Inhaltsangabe


Kommentar zur Musik:
Die Musik wird unpassenderweise dazwischengefahren.
1. Der Hörer erfährt nicht, ob Anne Will bei ihrem Vorwurf bleibt oder nicht.
2. Die fetzige, in den Bereich der klassisch-modernen Unterhaltungsmusik gehende Ouvertüre zerstört den zum Nachdenken vorgetragenen Inhalt.
3. Schließlich ist das Stück für Hörer von NDR Kultur ein alter Hut: in 365 Tagen erklingt es nun zum 22. Mal.

13.35 Uhr

Zeitgeschichte: der Appell der 374 im „Stern“, 1971

Anne Will:
Klassik à la Carte auf NDR Kultur mit Alice Schwarzer zu Gast. - Die Initiatlzündung der deutschen Frauenbewegung war zweifellos der Appell der 374, im „Stern“ damals erschienen im Juni 1971, 374 Frauen, die zugaben, abgetrieben zu haben. Das war ein Donnerschlag, der die Republik veränderte, ausgelöst durch Sie. Sie waren damals zarte 29 Jahre alt. Haben Sie mit den französischen Erfahrungen im Rücken trotzdem eine Vorstellung davon gehabt, was das auslösen könnte und auslösen würde?

Alice Schwarzer (nach einer Pause):
Ja. Manchmal denkt man heute, ich sei [aus Frankreich, ergänzt] hierhin gekommen, habe das in Gang gesetzt und ab dann war ich die Chefin der Frauenbewegung, die ich zu meiner Freude gegründet habe. (Beide lachen.) Mal ganz davon abgesehen, dass die Frauenbewegung eine Bewegung (betont) ist, die ganz andere Strukturen hat, es kommt etwas in Gang und keine Chefin hatte usw. - bin ich eigentlich nur gekommen und wollte diesen Impuls geben. Ich hab ja danach in Frankreich weiter gelebt und gearbeitet, und ich habe auch in den ersten zehn, fünfzehn Jahren diese Funktion verschleiert, die ich da hatte.

W: Wie: verschleiert?

S: Es war nicht bekannt, dass in einem solchen Ausmaß die Aktion von mir gemacht worden ist. Wenn Sie heute den „Stern“ lesen, wo ich den Text geschrieben habe, dann werden Sie sehen, dass das da nicht klar wird. Dass ich im Grunde versuche den Eindruck zu erwecken (sie lacht) - das war meine politische Idee dabei -, dass wunderbarerweise an verschiedenen Stellen in Deutschland ein paar Frauengruppen sagen: „Jetzt ist es soweit, jetzt muss es passieren und nun brechen die Frauen auf!“ So passierte es dann ja auch. Aber wahr ist, dass ich mit dieser französischen Erfahrung im Rücken hierhinkam, dieses aus rein politischen, nicht aus journalistischen Gründen. Ich führte damals ein Doppelleben, ich war Korrespondentin und machte meine Beiträge, und dann war ich engagiert in der Frauenbewegung - und das gehörte zu engagiert in der Frauenbewegung. Aber da habe ich zum ersten Mal etwas gemacht, was ich später öfter gemacht habe, manchmal mit Erfolg. Ich habe mein Professionelles - Kenntnisse, Wissen und Kontakte - in den Dienst der Sache gestellt. Ich habe den Deal mit dem „Stern“ gemacht, habe ihnen gesagt: Wenn ich euch das bringe, diese über 300 Unterschriften, darunter das notwenige Dutzend Prominenter, seid ihr dann bereit, das unter bestimmten Umständen - mit kollektivem Cover, Berichterstattung darüber und deren Tenor zu veröffentlichen? Da haben die höflich gelächelt und gesagt: „Gut, das machen wir, Frau Schwarzer.“ und haben sich gesagt: „Das schafft die nie.“ Vier Wochen später hatte ich das auf dem Tisch. Man muss wissen, und darum hat es auch diese ungeheure Wirkung gehabt, damals war die Frage der Abtreibung völlig tabu. Eine Frau, die ungewollt schwanger war, sprach darüber noch nicht einmal mit der eigenen Mutter oder der besten Freundin. Es war ein Drama.

W: Ein Verbrechen.

S: Ja. Heimlich wurden dann Adressen getuschelt. Sie gingen irgendwohin, und wenn sie Pech hatten, verbluteten sie. Der Leidensdruck war ungeheur groß. Darum ging es dabei, bei dieser Aktion. Nicht etwa, wie heute fälschlicherweise manchmal behauptet wird oder obszönischerweise, die Abtreibung zu propagieren. Das kann ja immer nur ein trauriger Schritt sein, wenn man das tun muss. Aber zu sagen, es gibt ungewollte Schwangerschaften je weniger aufgeklärt Frauen sind je weniger selbstbestimmt sie ihre Sexualität haben, umso öfter gibt es ungewollte Schwangerschaften Und wenn eine Frau kein Kind will, soll sie dieses selber unbevormundet und unter maximalen medizinischen Bedingungen entscheiden. Das war die Forderung, die damals mit dem Appell verbunden war. Und das vor diesem völligen Tabu. Wissen Sie, auch die sogenannten Prominenten, die paar Schauspielerinnen, die dabei waren, oder so, niemand wusste: Was wird morgen sein? Kommen wir ins Gefängnis dafür? Sprechen unsere Nachbarn noch mit uns?

W: (dazwischen gehend) Also, boten sich doch...

S: (setzt ungestört fort) Lässt sich der Ehemann scheiden? Diese 374 haben einen Löwinnen-Mut gehabt. Sie haben, in das Komplott des Schweigens rein, sich auf den Marktplatz gestellt und haben gesagt: Ja! (betont)

13.40 Uhr, Dauer: 5 Minuten

NDR Kultur: Musik
Eric Coates, London Suite, daraus: Covent Garden (Tarantella)
Royal Liverpool Philharmonic Orchestra, Leitung: Charles Groves


Kommentar zur Musik:
Akustisch vielleicht als Nachahmung eines Ja-Schreis inmitten von Schweigen gedacht - die Tarantella beginnt mit einem heftigen Paukenschlag. Aber als schmissiges Stück ist sie - mögen die Kommentare der Moderatoren auch immer wieder noch so geschraubt sein - auf NDR Kultur schon längst zu einem Unterhaltungsschlager verkommen: in 365 Tagen wurde sie mindestens 33x gesendet (immer in derselben Interpretation).

13.56 Uhr

Ein heftiges und ungewöhnliches Gespräch über Elvis Presley

Anne Will (genau):
Der chinesische Pianist Yundi Li mit dem Impromptu Nr. 1 As-Dur opus 29 von Frédéric Chopin.

Alice Schwarzer:
Liebe Anne Will, Sie verdienen Ihr Honorar. Donnerwetter, das sind ja Ansagen (beide lachen laut).

W: Nun haben wir die ganze Zeit über Tonlagen, aber eben nicht über die Musik gesprochen. (Sinnentstellender Schnitt der Regie.) Nun, das habe ich nicht geplant, nicht gemacht, weil Sie lieber Elvis gehört hätten, oder?

S: Nein.

W: (Lebhaft) Dooooch.

S: Nein, das widerspricht sich doch nicht. Es ist nicht so, weil man ein Elvis-Fan ist, will man nur Elvis hören.

W: Aber, Sie haben mal gesagt, er sei eine ganz große Liebe von Ihnen gewesen. So ein schmalziger Typ (betont), eine ernsthaft große Liebe von Alice Schwarzer?

S: Schmalzig? Liebe Anne Will, jetzt muss ich mal etwas sagen, was ich nicht gerne zugebe. Ich glaube, Sie sind zwei bis drei Jahre jünger als ich. Nur daran kann es liegen, dass Sie im Zusammenhang mit Elvis Presley von schmalzig reden. Elvis Presley war einfach die Verkörperung einer Revolte (betont), das war Sinnlichkeit, das war Rebellion. Schmalz - der späte Elvis, der gezähmte, der gebrochene, weil er einfach zu gefährlich war. Das war vielleicht manchmal schmalzig, aber selbst wenn Elvis schmalzig war, war er es nicht... Nein... Das... Nein, also sonst verlasse ich das Studio, wenn es hier so weitergeht (Anne Will lacht), in dieser Art und Weise über meinen Elvis Presley reden.

W: Die Grübchen liebten Sie, andere haben ganz woanders hingeguckt.

S: Ja, die Silhouette war natürlich auch toll. Aber ich glaube überhaupt nicht... Es fällt mir doch auf in all den Jahrzehnten, dass Frauen eine Schwäche haben, dass die großen Frauenidole oft Männer sind, vor denen sie keine Angst haben müssen, die auch etwas Feminines haben. Mit denen sie auch das Gefühl haben, reden zu können. Oder die so einen Buben-Charme haben. Und das hatte er ja. Und zwar bis zu allerletzt. Ich erinnere mich, er war ja nie zynisch, er hat sein Publikum nie verachtet. In der Hawaii-Show hat er einem Mädchen das Tuch zugeworfen, das hat er mit so einem lieben Lächeln gemacht, dass ich dachte: Ach Mensch, da ist er ja immer noch (lacht).

W: Wieder eine schöne Vorlage...

S: Die Hüftlinie ist natürlich auch nicht zu verachten gewesen, klar.

W: Deshalb schwingen wir uns jetzt mit der Hüftlinie auch raus.

S: Ja wie schade. Schon zu Ende? So schnell geht das?

W: Ja. Ich danke Ihnen herzlich, Alice Schwarzer.

Dauer: 2:20 Minuten

Anzeige mit Anne Will: „Ich höre NDR Kultur“