kulturradiorbb - Hörerstreit

kulturradiorbb, 19. Dezember 2008, 12.20 bis 12.50 Uhr

Einen Kultursender interessiert die Korrektheit einer Aussage nicht so sehr:

Laut RBB wurde in den 80er-Jahren die DKP verboten - na sowas?!

Der Gast-Redakteur, zu dem Fehler befragt, verweist auf den Radikalenerlass von 1972

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Von Jürgen Thomas

Jeweils montags bis freitags in der Sendung Kulturradio am Mittag lädt das kulturradiorbb im Hörerstreit seine Hörer zur Diskussion über ein aktuelles Thema ein. Am 19. Dezember ging es um Überlegungen, erneut das Verbot der NPD anzustreben.

Im Hörerstreit über ein mögliches NPD-Verbot wird ein „Verbot der DKP“ erwähnt

Nach dem Attentat auf den Passauer Polizeidirektor Alois Mannichl (siehe: Wikipedia-Eintrag) am 13. Dezember 2008 wurde unter anderem von bayerischen Politikern die Forderung nach einem Verbot der NPD erneuert. Dies nahm das kulturradiorbb zum Anlass für einen Hörerstreit:

„Nach dem Mordanschlag auf den Passauer Polizeidirektor ist ein Verbot der NPD wieder im Gespräch. Um über das Thema zu beraten, haben sich am Donnerstag die Regierungschefs der Länder getroffen.

2002 war das erste Verbotsverfahren für die rechtsextremistische Partei daran gescheitert, dass der Verfassungsschutz zu viele V-Leute in hohe Gremien der NPD eingeschleust hatte.“


Quelle: www.kulturradio.de (verfügbar bis etwa 19.01.2009)

Als sachverständiger Studiogast beteiligte sich der Leiter der Politik-Redaktion des RBB. In einem missverständlichen Satz erwähnte er das Verbot der DKP (Deutsche Kommunistische Partei). Im weiteren Verlauf wiederholten mindestens zwei der anrufenden Hörer sowie einmal der Moderator und einmal der Studiogast das „DKP-Verbot in den Achtzigern“ (oder ähnlich) als Tatsache.

Nanu, ich war in Berlin (West) seit 1969 politisch sehr aktiv und interessiert und kann mich nicht an ein Verbot der DKP erinnern. Liegt das etwa daran, dass die DKP in Berlin (West) wegen der Drei-Staaten-Theorie der SED/DDR nur im eigentlichen Bundesgebiet aktiv war und es in Berlin stattdessen die SEW gab? Oder gab es gar kein Verbot der DKP?

Parteiverbote in der Bundesrepublik Deutschland

Nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland entscheidet das Bundesverfassungsgericht, ob eine verfassungswidrige Partei verboten wird. Eine schöne Zusammenfassung der Entwicklung ist auf Wikipedia zu lesen. Tatsächlich wurden bisher lediglich 1952 die SRP (Sozialistische Reichspartei) als NSDAP-Nachfolgeorganisation und 1956 die „alte“ KPD (Kommunistische Partei Deutschlands) verboten.

Über ein Verbot der NPD nach 1966 oder der DKP nach 1968 oder der vielen marxistischen Grüppchen wie der „neuen“ KPD ab 1970 wurde in Politik und Presse ausführlich diskutiert. Aus Opportunitätsgründen wurde darauf verzichtet: Verfassungsfeindliche Organisationen könnten besser überwacht werden, wenn sie „offen“ und nicht „im Untergrund“ arbeiteten. Außerdem hielten die Bundesregierungen zur Zeit der Entspannungspolitik unter Brandt, Schmidt und dann auch Kohl ein Verbotsverfahren gegen die DKP (mit ihrer großen inhaltlichen und finanziellen Abhängigkeit von der SED) nicht für angebracht.

Es war also zumindest seltsam, dass das DKP-Parteiverbot im Hörerstreit überhaupt erwähnt wurde, und dann auch noch für den späten, nicht mehr relevanten Zeitpunkt der 80er-Jahre. Fragwürdig ist, warum die RBB-Mitarbeiter im Studio trotz der mehrfachen Wiederholung nicht stutzig wurden und warum die Falschinformation nicht richtiggestellt wurde.

Der Moderator - ein Alleskönner?

Der RBB hat höchstes Vertrauen in die umfassende Kompetenz seiner Moderatoren. Der Moderator bei Kulturradio am Mittag konnte in der betreffenden Woche sachkundig die folgenden Themen behandeln:

· Sollen Orchester für bessere Bezahlung streiken?
· Sollen Polizisten verpflichtet werden, Namensschilder zu tragen?
· Sollen Schwarzfahrer mit Gefängnis bestraft werden?
· Sollen Jungen und Mädchen beim Unterricht getrennt werden?
· Brauchen wir ein NPD-Verbot?

In den gleichen Sendungen bewies er außerdem hervorragende Musikkenntnisse, indem er im Zwiegespräch mit einem Musikredakteur in der CD-Kritik neue CDs aus den verschiedensten Genres vorstellte:

· Barock: „furore“ Händel, Opernarien, Joyce di Donato
· Alte Advents- und Weihnachtslieder: Magnum Mysterium - Kammerchor der Humboldt-Universität
· Jazz: Arve Henriksen (Trompete & Elektronik und Band), Recording Angel, Famine's Ghost, Poverty and its Opposite
· Frühklassik: Carl Philipp Emanuel Bach, Magnificat und Weihnachtskantate
· Vorklassik: Antonio Vivaldi, Fagottkonzerte; Tamás Benkócs, Fagott, Niklaus Esterházy Sinfonia

Da der RBB „Ost“ und „West“ vereinigt (sowohl bei den Hörern als auch bei den Mitarbeitern), haben seine Moderatoren zwangsläufig sehr gute Kenntnisse über die politische Entwicklung in beiden deutschen Staaten.

Umso überraschender ist angesichts dieser umfassenden Kenntnisse, dass der Moderator den Fehler mit dem „DKP-Verbot“ überhaupt nicht beachtete.

Der Studiogast - Sachverständiger, Lobbyist oder einfach überfordert?

Zum Hörerstreit holt der RBB meistens einen Sachverständigen aus seinen Redaktionen, aus Wissenschaft, Politik oder betroffenen Organisationen. Bei diesem Thema handelte es sich um den Leiter der Politik-Redaktion des RBB, der sich natürlich gut vorbereitet hatte und sowieso über ein solches Thema gut Bescheid weiß.

Ich hatte den RBB nach dem Lapsus und der fehlenden Berichtigung auf die Falschinformation hingewiesen und folgende Antwort erhalten:

„Ich bezog mich im Hörerstreit auf den Radikalenerlass von 1972, der unter Hinweis auf Verfassungsfeindlichkeit (dem Kriterium für Parteiverbot) DKP-Mitgliedern den Zugang zum Öffentlichen Dienst verwehrte. Die Praxis wurde in mehreren nachfolgenden Gerichtsentscheidungen bestätigt, auch wenn sie nicht in ein formelles Parteiverbot mündete. Ich hätte dies, da haben Sie Recht, klarer ausdrücken sollen, war bei der Beantwortung der Frage aber schon auf einen anderen Aspekt konzentriert, den ich darstellen wollte.“

„... von 1972“ für eine Informatation „in den Achtzigern“... So etwas kann schon vorkommen. - Es macht zudem einen Unterschied, ob ein Bewerber wegen eigener verfassungsfeindlicher Einstellung (also wegen eines persönlichen Merkmals) nicht in den öffentlichen Dienst übernommen wurde („Berufsverbot“ als damaliges Schlagwort) oder ob eine ganze Partei wegen verfassungswidriger Ziele verboten wird („Parteiverbot“). Spätestens nach den Wiederholungen der Falschinformation „DKP-Verbot“ hätte der Sachverständige den Fehler erkennen und berichtigen sollen.

Als Hörer bekommt man oft Zweifel, ob der Studiogast wirklich Ahnung vom Thema hat, nur über geringe Sachkenntnis verfügt oder gar als Lobbyist eigene Interessen vertritt. Auch ein RBB-Redakteur kann solche Zweifel hervorrufen.

Die RBB-Programmstruktur provoziert problematische Äußerungen

Der Hörerstreit gehört zu den Maßnahmen, mit denen der RBB sich im Tagesprogramm vorzugsweise an „Nebenbei-Hörer“ wendet und sie an sich binden will. Dazu gehören die durchgehende Struktur als Magazinsendung, ständiger Wechsel von kurzen Wortbeiträgen (in der Regel drei bis fünf Minuten) und kurzen Musikstücken (in der Regel drei bis acht Minuten) und einzelnen Sendungen, an denen sich die Hörer per Telefon beteiligen.

Zwangsläufig kann der RBB die Qualität der Hörerbeiträge nicht steuern. Umso wichtiger ist es, dass Moderator und Studiogast sich bestens auf das jeweilige Thema vorbereiten und unpassende Beiträge ausgleichen oder korrigieren. Damit sind sie aber wegen der ständigen Mischung vielfältiger Themen und Beiträge offensichtlich überfordert. Diese Einschätzung hatte der RBB-Redakteur in seiner oben zitierten Antwort bestätigt:

„Ich war bei der Beantwortung der Frage aber schon auf einen anderen Aspekt konzentriert, den ich darstellen wollte.“

Durch vielfaches gleichzeitiges Denken, Handeln und Reden entstehen Fehler, die dem Anspruch auf „Kultur im Radio“ zuwiderlaufen.

Verfasst am 21. Dezember 2008