NDR Kultur - Korrespondenz

zu:
Ein Radioprogramm ist kein Konzertsaal
Generelle Trendwende in der Hörfunknutzung

Von Gernot Romann, NDR Programmdirektor Hörfunk

Leserbrief von Frau I. Kossebau

Zurückweisung einer Beleidigung

Zahlenspiegeleien, Teil 2

15. September 2004

An den
NDR-Programmdirektor Hörfunk
Herrn Gernot Romann
Rothenbaumchaussee 132 - 134
20149 Hamburg

Sehr geehrter Herr Romann,

mit nicht gelindem Entsetzen mußte ich u. a. der "Braunschweiger Zeitung" entnehmen, dass Sie unsereins, die sich unterstanden haben, mit der neuen NDR-Hörfunk-Programm-"Kultur" nicht einverstanden zu sein (...), als "Geschmackspolizisten", "sich als Elite begreifende Minderheit" bzw. "selbsternannte Kultur-Ajatollahs" beschimpfen. Hiergegen verwahre ich mich entschieden: hier gehen Sie zu weit und haben Sie sich im Ton vergriffen: verstehen Sie das unter Toleranz?

Ich weise diesen Umgang mit Andersdenkenden entschieden zurück und verbitte mir derartige Vergleiche.

Ist es nicht umgekehrt so, dass Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen sich anmaßen, mit den Werken von Künstlern, die sich nicht mehr dagegen wehren können, willkürlich umzugehen?

Darf ich wirklich
nicht sagen, dass mir
das nicht gefällt?
Mir am Sonntagmorgen das Rondo aus der Kleinen Nachtmusik hinzuplatschen, noch ein Stückchen Forellenquintett zu bieten und ein Teilchen Beethoven-Sinfonie: darf ich wirklich nicht sagen, dass mir das nicht gefällt? Da "Die Glocke" zu lang ist oder auch "Die Füße im Feuer": Wäre das vielleicht Ihr nächster "Bildungsauftrag", diese verschenweise zu bringen?? Oder hier eine Gedicht- oder da eine Liedstrophe einzustreuen - wollen Sie mir abstreiten, dass ich das nicht möchte?

Ich habe lange genug in der Schule guten und vielseitigen Musikunterricht erleben dürfen, um die Verstümmelung von Werken, die Komponisten im Zusammenhang geschaffen haben, mit Schaudern zu registrieren. Und ich denke, hier hört die von Ihnen beanspruchte Rundfunk"freiheit" auf, die nicht dazu da ist, einer Minderheit (ich drehe jetzt einfach einmal den Spieß um!) von Programmverantwortlichen und Programmmachern als Spielwiese, sondern dazu, den Ansprüchen eines Bildungsauftrages für die Allgemeinheit zu dienen. Und da dürften Sie sich m. E. nicht einer allgemeinen Verflachung anpassen, sondern es müßte Ihr Anliegen sein, die Kultur der vollständigen Werke zu vermitteln, die Freude daran zu wecken, sie zu verstehen.

Das ist mein Verständnis von der Erfüllung eines Bildungsauftrages, und diese erwarte ich von Programmgestaltern(!).

Wieso führen Sie eigentlich für NDR-Kultur-Hörer nur Vergleichszahlen aus Hamburg und Deutschland(!) für Juli 2002 und 2004 an, da doch der NDR mit seinem Programm den ganzen Norden bedienen soll? Liegen hier, bitte, nicht auch die jeweiligen Vergleichszahlen vor für Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen, damit das Bild vervollständigt wird? Diese Zahlen würden mich in diesem Zusammenhang dann auch brennend interessieren. Oder verstehen Sie Hamburg als den Nabel des NDR - und vielleicht passen die Zahlen der Nachbarländern nicht in Ihre Argumentation?

Seit der Krise 2002 außer-
halb von Hamburg nur ein
Plus von 15.000 Hörern
Denn den angeblich 21.000 zusätzlichen Hörern in Hamburg seit 2002 stehen 36.000 zusätzliche in ganz Deutschland gegenüber, das würde bedeuten, außerhalb von Hamburg ein Plus von 15.000 Hörern, und wie viele davon sind, bitte, nachgefragt, aus den nördlichen Bundesländern, oder können Sie das vielleicht sogar nach allen Bundesländern aufdröseln?

Ich bitte darum, dass Sie mir auch diese Zahlen einmal offen legen.

Nach meiner Milchmädchen-Rechnung "umgarnen" Sie nämlich mit Ihrer neuen Struktur vorwiegend die "aufgeschlossenen" Hamburger, um dem kommerziellen(!) Klassikradio "örtlich"(!) Konkurrenz zu machen, und begeben sich dazu auf dessen "Wellenlänge". Nennen Sie das die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags?

Ich bin gespannt auf Ihre Stellungnahme und die Beantwortung meiner Fragen,

gez. I. Kossebau

Lesen Sie die Korrespondenz zwischen der Hörerin I. Kossebau und Herrn Romann:

Zahlenspiegeleien, Teil 5
29.11.2004: Herr Romann lässt die Fachabteilung antworten
Welch eine Überraschung: Die errechneten Zahlen sollen falsch sein!
Die von Ihnen formulierten Reichweitenrechnungen entbehren jeglicher wissenschaftlichen Grundlage

Zahlenspiegeleien, Teil 4
31. Oktober 2004: Frau Kossebau bittet um weitere Zahlen
Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie mir zu den von Ihnen aufgeführten Zahlen auch die Ausgangszahlen der Media-Analyse Juli 2002 nennen könnten

Zahlenspiegeleien, Teil 3
8. Oktober 2004: Antwort von Herrn Romann
Der Hörfunkdirektor gibt Zahlen-Geheimnisse preis - gnädigerweise
Vor allem in Hamburg, aber auch in den übrigen Sendegebieten kann sich NDR Kultur so deutlich verbessern, dass ich Ihnen die Ergebnisse nur allzu gerne offen lege

Zahlenspiegeleien, Teil 2
15. September 2004: Brief der Hörerin I. Kossebau an Herrn Romann
Zurückweisung einer Beleidigung und eine Frage zu Zahlen
Gibt es außerhalb von Hamburg nur ein Plus von 15.000 Hörern?

Zahlenspiegeleien, Teil 1
Anfang September: Der Artikel von Herrn Romann
Ein Radioprogramm ist kein Konzertsaal
Generelle Trendwende in der Hörfunknutzung

Weitere Leserbriefe und Kommentare zu dem Artikel:

Beschwerde eines Hörers an den Intendanten des NDR, von P. Schwiesow
Nun entdecken alle Ihre Hörer wieder, was Lessing vom ‚denkenden Zuschauer/Zuhörer' schreibt Kommentar von G. Ossenbrunner, Bremen

Die Waage gleicht der großen Welt:
Das Leichte steigt, das Schwere fällt.

Lessing, zitiert von HWeblog
Es wäre ein positives Zeichen, wenn Sie sich mit dieser Bewegung in einen kritisch-konstruktiven Dialog begeben würden., Leserbrief von Tom Pause
Es wäre fair, wenn NDR Kultur mit seinen Clubmitgliedern im Magazin in einen Dialog träte, statt es als Propagandablatt zu mißbrauchen., Leserbrief von C. Meffert
Die Aufgeschlossenen, Leserbrief von M. Siebert
Nicht empfehlenswert: Medienpartnerschaft mit NDR Kultur in Niedersachsen
Leserbrief von L. Baucke
Ein dankbarer Hörer..., Leserbrief von H. Jühlke
Gibt es pünktlich um 19 Uhr einen wundersamen Geschmackswandel?
Leserbrief des Hörers Schrader aus Burgdorf

Der Werdegang bis zur Polemik von Herrn Romann im KlassikClub Magazin:

Artikel im KlassikClub Magazin 09/2004:
Ein Radioprogramm ist kein Konzertsaal, September 2004
Vorläufer-Artikel im Feuilleton Hamburg der WELT:
Ein Radioprogramm ist kein Konzertsaal, 27. Juli 2004
Hauptartikel vorher im Feuilleton Hamburg der WELT:
Ein Hörfunkprogramm kann Gegensätze gut nutzen
Leserbriefartikel von Theodor Clostermann zum Romann-Interview, 21. Juli 2004
Nicht warten, bis der Mond aufgeht
Interview von Lutz Lesle mit Programmdirektor Romann, 25. Juni 2004
NDR-Kultur: Ein Radioprogramm zum gepflegten Weghören
Bericht von Lutz Lesle über die Gründungsveranstaltung des Initiativkreises Das GANZE Werk, 17. Juni 2004

Lesen Sie außerdem zur Korrespondenz der Hörerin I. Kossebau:

Herr Professor Quasthoff, haben Sie wirklich gewußt, wofür Sie sich aussprechen?
Brief der unzufriedenen Hörerin I. Kossebau an Thomas Quasthoff, 30. März 2005
Das ist Verstümmelung von Kunstwerken und Mißachtung der Komponisten!
Wie kann man selbst Beethoven-Sinfonien nur satzweise fallen lassen?
Brief von I. und F. Kossebau an den Intendanten Plog