Materialien für eine Grundsatzdiskussion - Dokumentation

Das GANZE Werk, 8. Februar 2008 (Veröffentlichung)

Staatliche Festlegungen zum Kulturauftrag: Rundfunkstaatsvertrag, NDR-Staatsvertrag und Bundesverfassungsgericht

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1.) Rundfunkstaatsvertrag, Festlegung in § 11, Absatz 2, Satz 3 zum Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Sein Programm hat der Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Er hat Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten. Quelle u.a.: http://www.lfk.de/gesetzeundrichtlinien/rundfunkstaatsvertrag/abschnitt2.html#para11

2.) NDR-Staatsvertrag, Festlegung in § 5, Absatz 1, Satz 2 und 3 zum Programmauftrag des NDR

Sein Programm hat der Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Er hat Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten und ist berechtigt, sich an Filmförderungen zu beteiligen. Quelle u.a.: http://www1.ndr.de/unternehmen/organisation/rundfunkstaatsvertrag2.pdf

3.) Bundesverfassungsgericht (BverfG), Urteil vom 4. November 1986 („Niedersachsenurteil“, BVerfGE 73, 118), Ausführungen zum Kulturauftrag

Leitsatz 1.a) zur „Grundversorgung“ durch die öffentlich-rechtlichen Anstalten

In der dualen Ordnung des Rundfunks, wie sie sich gegenwärtig in der Mehrzahl der deutschen Länder auf der Grundlage der neuen Mediengesetze herausbildet, ist die unerläßliche „Grundversorgung“ Sache der öffentlich-rechtlichen Anstalten, deren terrestrischen Programme nahezu die gesamte Bevölkerung erreichen und die zu einem inhaltlich umfassenden Programmangebot in der Lage sind. Die damit gestellte Aufgabe umfasst die essentiellen Funktionen des Rundfunks für die demokratische Ordnung ebenso wie für das kulturelle Leben in der Bundesrepublik. Darin finden der öffentlich-rechtliche Rundfunk und seine besondere Eigenart ihre Rechtfertigung. Die Aufgaben, welche ihm insoweit gestellt sind, machen es notwendig, die technischen, organisatorischen, personellen und finanziellen Vorbedingungen ihrer Erfüllung sicherzustellen.

Abschnitte unter C. I. 2. a. - Hinweis: Am Schluss der beiden folgenden Zitate verlangt das BverfG vom Rundfunk in Deutschland, dass er zur Erfüllung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) „die ganze Breite umfassender Information“ bieten muss. Weil die privaten Anbieter dieses aus wirtschaftlichen Gründen nicht können, sind zur Erfüllung des Informations- und Kulturauftrags öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten notwendig. Indem das BverfG ausführt, was die privaten Anbieter nicht erfüllen können, formuliert es gleichzeitig Maßstäbe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk:

a) Die Programme privater Anbieter vermögen der Aufgabe umfassender Information nicht in vollem Ausmaß gerecht zu werden.

(...) Zum anderen ist, wie auch die Antragsteller hervorheben, damit zu rechnen, dass die Rundfunkprogramme privater Anbieter Information nicht in der vollen Breite der Meinungen und kulturellen Strömungen vermitteln werden. Im Bereich des Fernsehens liegt das bereits wegen der geringen Zahl von Anbietern nahe. Unabhängig davon kann von privatem Rundfunk kein in seinem Inhalt breit angelegtes Angebot erwartet werden, weil die Anbieter zur Finanzierung ihrer Tätigkeit nahezu ausschließlich auf Einnahmen aus Wirtschaftswerbung angewiesen sind. Diese können nur dann ergiebiger fließen, wenn die privaten Programme hinreichend hohe Einschaltquoten erzielen. Die Anbieter stehen deshalb vor der wirtschaftlichen Notwendigkeit, möglichst massenattraktive, unter dem Gesichtspunkt der Maximierung der Zuschauer- und Hörerzahlen erfolgreiche Programme zu möglichst niedrigen Kosten zu verbreiten. Sendungen, die nur für eine geringere Zahl von Teilnehmern von Interesse sind und die oft - wie namentlich anspruchsvolle kulturelle Sendungen - einen hohen Kostenaufwand erfordern, werden in der Regel zurücktreten, wenn nicht gänzlich fehlen, obwohl erst mit ihnen die ganze Breite umfassender Information zu erreichen ist, ohne die es keine „Meinungsbildung“ im Sinne der Garantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geben kann.

Quelle u.a.: http://www.telemedicus.info/urteile/Rundfunkrecht/Die-duale-Rundfunkordnung/83-BVerfG-Az-1-BvF-184-4.-Rundfunkentscheidung-Niedersachsen.html

4.) Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 11. September 2007 („Rundfunkgebührenfestsetzung“, Aktenzeichen: 1 BvR 2270/05, 1 BvR 809/06, 1 BvR 830/06), Ausführungen zum Kulturauftrag und zur publizistischen Vielfalt

Ausschnitt aus den Absätzen 116 und 117

Anlass der gesetzlichen Ausgestaltung der Rundfunkordnung ist die herausgehobene Bedeutung, die dem Rundfunk unter den Medien wegen seiner Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft zukommt. Seine Breitenwirkung zeigt sich in der Reichweite und der Möglichkeit der Beeinflussung großer Bevölkerungsteile. So prägen die audiovisuellen Massenmedien seit langem bei den meisten Bürgern große Zeiteinheiten des Tagesablaufs. (...) Rundfunk kann für die Verfolgung nicht nur publizistischer, sondern auch wirtschaftlicher Ziele eingesetzt werden. Der publizistische und ökonomische Wettbewerb führt jedoch nicht automatisch dazu, dass für die Unternehmen publizistische Ziele im Vordergrund stehen oder dass in den Rundfunkprogrammen die Vielfalt der in einer Gesellschaft verfügbaren Informationen, Erfahrungen, Werthaltungen und Verhaltensmuster abgebildet wird. (...) Bei einer Steuerung des Verhaltens der Rundfunkveranstalter allein über den Markt (ist) das für die Funktionsweise einer Demokratie besonders wichtige Ziel der inhaltlichen Vielfalt gefährdet. (...)

Ausschnitt aus dem Absatz 119 und Absatz 122

Auch wegen der mit der Konzentration im Rundfunk verbundenen Risiken einer einseitigen Einflussnahme auf die öffentliche Meinungsbildung hat das Bundesverfassungsgericht Vorkehrungen zum Schutz der publizistischen Vielfalt als geboten angesehen (...). Die gesetzlichen Regelungen sollen es dem öffentlichrechtlichen Rundfunk ermöglichen, seinen klassischen Funktionsauftrag zu erfüllen, der neben seiner Rolle für die Meinungs- und Willensbildung, neben Unterhaltung und Information seine kulturelle Verantwortung umfasst. Nur wenn ihm dies gelingt und er im publizistischen Wettbewerb mit den privaten Veranstaltern bestehen kann, ist das duale System in seiner gegenwärtigen Form, in der die privatwirtschaftlich finanzierten Programme weniger strengen Anforderungen unterliegen als die öffentlichrechtlichen, mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar.

Ausschnitte aus den Absätzen 126 und 127

Der Funktionsfähigkeit öffentlichrechtlichen Rundfunks dient die vorrangige Finanzierung über öffentlichrechtliche Gebühren. (...) Die Finanzierung des öffentlichrechtlichen Rundfunks auf der Grundlage des Gebührenaufkommens soll eine weitgehende Abkoppelung vom ökonomischen Markt bewirken und dadurch sichern, dass sich das Programm an publizistischen Zielen, insbesondere an dem der Vielfalt, orientiert, und zwar unabhängig von Einschaltquoten und Werbeaufträgen. Allerdings sind auch andere Finanzierungsquellen neben der Gebührenfinanzierung von Verfassungs wegen nicht ausgeschlossen. Das gilt grundsätzlich auch für Einnahmen aus Werbung oder Sponsoring. Doch dürfen sie wegen der mit ihnen verbundenen vielfaltverengenden Wirkung die Gebührenfinanzierung nicht in den Hintergrund drängen. (...) Der Gesetzgeber hat Vorsorge dafür zu treffen, dass der öffentlichrechtliche Rundfunk seine Funktion unbeeinflusst von jeglicher Indienstnahme für außerpublizistische Zwecke, seien sie politischer oder ökonomischer Natur, erfüllen kann.

Quelle: http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20070911_1bvr227005.html#abs112

Das GANZE Werk (Nord), Sprecherrat, 5. November 2007

Lesen Sie außerdem aus der Materialsammlung „Der Kulturauftrag im Hörfunk“,
herausgegeben vom Sprecherrat der Bürgerinitiative Das GANZE Werk (Nord),
24. Februar 2008:
„Der Kulturauftrag im Hörfunk“ (die ganze Broschüre, 16 Seiten)
Titelseite (mit Kulturniveau-Grafik)
Detailliertes Inhaltsverzeichnis, Hinweis und Herausgeber
A. Das Zuhören fördern
B. Staatliche Festlegungen zum Kulturauftrag: Staatsverträge, Bundesverfassungsgericht
C. Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ - Schlussbericht - Zitate
D. Kultursender und -sendungen für „Einschalthörer“
E. Neue Erkenntnisse der ARD-Medienforschung zu Kulturinteressierten
F. Die bisherige Programmstrategie für NDR Kultur

Lesen Sie zum Schlussbericht der Enquete-Kommission:
• Leitartikel (Bericht, Dokumentation und Einschätzung)
Ein Meilenstein zu mehr Qualität im Rundfunk
Eine Empfehlung lautet: Mehr zusammenhängende musikalische Werke in der Hauptsendezeit
Von Theodor Clostermann
Neun Handlungsempfehlungen zum Kulturauftrag des Rundfunks
Zusammengestellt von der Enquete-Kommission
Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ - Schlussbericht - Zitate
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Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“